Das Wirthshaus an der Heerstrasse. Иван Тургенев

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Das Wirthshaus an der Heerstrasse - Иван Тургенев

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wenn er anfing von  P i t e r  (Peter dem Großen) zu erzählen, oder von den tscherkessischen Steppen, oder gar von den überseeischen Ländern. Natürlich verstand er auch sein Gläschen zu leeren und that es gern, wenn er mit einem guten Kameraden beisammen saß; übrigens trank er niemals im Uebermaß, sondern blos der Gesellschaft wegen, um seinen Gästen Bescheid zu thun, So äußerten sich die Reisenden über ihn.

      Insbesondere waren ihm die Kaufleute sehr gewogen und überhaupt alle Leute von altem Schrot und Korn, die Kernrussen, welche sich nie auf den Weg machen ohne ihre Lenden gehörig zu gürten, in kein Zimmer eintreten, ohne das Kreuz zu schlagen und keinen Menschen anreden, ohne ihm vorher eine gute Gesundheit zu wünschen.

      Schon das Aeußere Akim’s war ganz gemacht für – ihn einzunehmen: er war von hohem Wuchs, ein bischen mager, aber sehr wohlgebaut und hielt sich selbst in seinen älteren Jahren noch vortrefflich. Sein langes regelmäßiges Gesicht hatte einen angenehmen Ausdruck, er hatte eine hohe, freie Stirn, eine gerade, feine Nase und schmale Lippen. Der Blick seiner hervorstehenden braunen Augen glänzte von herzgewinnender Freundlichkeit; sein weiches, dünnes Haar schlängelte sich bis um den Hals; der Scheitel war beinahe schon kahl. Der Ton seiner Stimme war äußerst angenehm, obwohl schwache in seiner Jugend hatte er vortrefflich gesungen, allein die fortwährenden Reisen in freier Luft und im Winter hatten seine Brust angegriffen; dagegen sprach er sehr fließend und einschmeichelnd. Wenn er lächelte, bildeten sich um seine Augen strahlenförmige Falten, welche ihm einen sehr lieben Ausdruck gaben; – nur bei guten Menschen sieht man solche Falten. In seinen Bewegungen war Akim langsam und gemessen; es zeigte sich darin eine große Zuversicht und ernste Höflichkeit, wie bei einem Manne, der viel in der Welt herumgekommen ist, viel gesehen und erfahren hat.

      In der That besaß Akim – oder Akim Ssemenowitsch, wie man respectvoll im herrschaftlichen Hause ihn nannte, wohin er oft kam und Sonntag Nachmittags niemals verfehlte seinen Besuch zu machen – in der That besaß Akim Ssemenowitsch Alles, um glücklich zu sein, und wär’ es auch wohl immer gewesen, wenn er nicht eine Schwäche gehabt hätte, die schon Manchen in’s Unglück gebracht hat, und auch ihn in’s Unglück bringen sollte, nämlich seine Schwäche für die sogenannte schönere Hälfte des Menschengeschlechts. In der Verliebtheit leistete er das Unglaubliche; sein Herz konnte dem Blicke keiner hübschen Frau widerstehen – es zerschmolz darin wie der erste Schnee in der Sonne. Schon oft hatte er für seine Empfindsamkeit schwer zu leiden gehabt.

      Während des ersten Jahres nach seiner Niederlassung auf der großen Heerstraße war Akim dergestalt mit dem Ausbau seines Hauses, der Einrichtung seiner Wirthschaft und den vielen dazu gehörigen Dingen beschäftigt, daß ihm entschieden keine Zeit blieb an das schöne Geschlecht zu denken und wenn ihm einmal verliebte Gedanken in den Sinn kamen, so suchte er sie gleich zu vertreiben durch das Lesen heiliger Bücher, mit welchen er sich eifrig beschäftigte (Akim hatte schon seit seiner ersten Reise lesen gelernt)« oder durch das halblaute Absingen von Psalmen, oder durch andern Gott wohlgefälligen Zeit vertreib. Außerdem hatte er schon sein sechsundvierzigstes Jahr erreicht – ein Zeitpunkt im Leben, wo die Leidenschaften merklich kühler und ruhiger zu werden pflegen, und zum Heirathen ein wenig spät. Akim glaubte selbst, daß es eine Thorheit sei noch an dergleichen zu denken . . . aber es scheint, daß der Mensch seinem Schicksale nicht entgehen kann.

      – Akim’s Herrin, Lisaweta Prochorowna Kuntze, war, wie ihr verstorbener Gemahl, deutschen Ursprungs, gebürtig aus Mitau, wo sie die ersten Jahre ihrer Kindheit verlebt und eine sehr zahlreiche und arme Familie zurückgelassen hatte, um welche sie sich übrigens wenig kümmerte, besonders seit ihr Bruder, ein Infanterie-Offizier in der Armee, sie einmal unangenehm durch seinen Besuch überrascht und sich dabei so weit vergessen hatte, daß er sie, die Herrin des Hauses beinahe geprügelt hätte, sich aber dann damit begnügte, sie »Du Lumpenmamsell« zu schelten, nachdem er sie Abends vorher in seinem schlechten Russisch »meine verehrte Schwester und Wohlthäterin« genannt.

      Obgleich fremdes Blut in ihren Adern floß, so stand Lisaweta Prochorowna doch, als Herrin, einer gebotenen russischen Edeldame durchaus nicht nach. Sie bewohnte fast ohne Unterbrechung ihr hübsches, durch die Ersparnisse ihres Mannes (der als Ingenieuroffizier Gelegenheit zu Nebenverdiensten hatte) wohlerworbenes Landgut, welches sie selbst verwaltete und zwar durchaus nicht ungeschickt. Lisaweta Prochorowna ließ sich nie den kleinsten Vortheil entgehen, aus Allem wußte sie Nutzen zu ziehen. Hierin, sowie darin, daß sie immer einen Pfennig für einen Groschen ausgab, zeigte sich ihr deutscher Ursprung; in allem Uebrigen war sie durchaus russificirt. Sie hielt ein sehr zahlreiches Hofgesinde und besonders viele Mädchen, welche ihr Brod nicht umsonst aßen. Vom Morgen bis zum Abend kamen sie nicht dazu ihren arbeitsgekrümmten Rücken gerade zu biegen. Sie fuhr gern spazieren oder auf Besuch mit Livreebedienten hinter dem Wagen. Sie hörte gern Klatschereien und Ohrenbläserei und verstand sich selbst vortrefflich darauf. Sie fand ein Vergnügen darin, irgendeinen von ihren Leuten nach Laune mit Gunst zu überhäufen und ihn dann plötzlich wieder fallen zu lassen. Mit einem Worte: Lisaweta Prochorowna spielte ganz die große Dame. Gegen Akim war sie sehr gnädig; er bezahlte seinen hohen Grundzins immer auf das pünktlichste, und sie unterhielt sich freundlich mit ihm und lud ihn sogar oft scherzend ein, sie zu besuchen. Aber gerade im Hause seiner Herrin erwartete Akim das Unglück.

      Unter dem weiblichen Dienstpersonal Lisaweta Prochorowna’s befand sich ein fünfundzwanzigjähriges Mädchen, eine Waise, Namens Dunascha. Sie hatte ein ganz angenehmes Aeußere, war hübsch gewachsen und von behendem Wesen. Ihre Züge waren nicht gerade regelmäßig, aber ansprechend: der frische Teint, die üppigem helllockigen Haare, die lebhaften grauen Augen, das kleine Stumpfnäschen, die blühen den Lippen vereinten sich mit einem gewissen – ungezwungenen, halb spöttischen, halb herausfordernden Ausdruck ihres Gesichtes, sie zu einer anziehenden Erscheinung zu machen. Dazu kam, daß sie, obgleich eine Waise, zurückhaltend, ja fast hochmüthig im Umgange war, eingedenk ihres Ursprunges von alten Hofbediensteten ersten Ranges. Ihr Vater Arefi hatte nämlich dreißig Jahre hindurch des Amt einer fürstlichen Haushofmeisters bekleidet und ihr Großvater Stephan war Kammerdiener des Fürsten gewesen, der in demselben Leibgarderegimente, welches die Kaiserin Katharina als Oberst befehligte, den Rang eines Sergeanten hatte.

      Dunascha kleidete sich immer mit möglichster Sorgfalt und that sich viel zu Gute auf ihre wohlgepflegten und wirklich schönen Hände. Sehr hochmüthig, ja verächtlich behandelte sie ihre Anbeter, deren Huldigungen sie mit selbstvertrauendem Lächeln anhörte, und wenn sie sich einmal herabließ ihnen zu antworten, so geschah das in kurzen Ausrufen, wie z. B.: Versteht sich! Ich werde . . . Das fehlte noch! —

      Dunascha war drei Jahre bei einer französischen Putzmacherin in Moskau in der Lehre gewesen, wo sie das hochtrabende Wesen und die schnippischen Manieren sich aneignete, durch welche alle russischen Kammerzofen sich auszeichnen, die ihre Lehrjahre in der Hauptstadt gemacht haben. Ihre Dienstgenossen hielten sie für ein Mädchen voll Eigenliebe und Ehrgeiz (was im Munde dieser Leute ein großes Lob ist), welches viel in der Welt gesehen und sich doch zu halten gewußt habe. Obgleich sie mit der Nadel gut umzugehen wußte, hatte sie sich doch der Gunst ihrer Herrin nicht sonderlich zu erfreuen, Dank der ersten Kammerfrau Kirillowna, einer schon ältern, verschmitzten Person, die großen Einfluß auf Lisaweta Prochorowna hatte und diesen sehr geschickt durch Fernhaltung aller Nebenbuhlerinnen zu wahren wußte.

      In diese Dunascha verliebte sich Akim und zwar so gründlich, wie er nie zuvor verliebt gewesen war. Er hatte sie zum Erstenmale in der Kirche gesehen, kurz nach ihrer Rückkehr von Moskau . . . dann war er ihr ein paarmal im herrschaftlichen Hause begegnet und endlich ward ihm das Glück, einen ganzen Abend mit ihr beim Verwalter zuzubringen, der einige der angesehensten Hausbedienten zum Thee eingeladen hatte. Diese Leute würdigten ihn ihres Umgangs, obwohl er nicht zu ihnen gehörte und einen Bart trug nach altrussischer Weise; allein er war ein gebildeter Mann, der lesen und schreiben konnte und außerdem ein hübsches Vermögen besaß. Zudem kleidete er sich auch nicht wie ein Bauer, sondern trug einen langen Kaftan von schwarzem Tuch, hohe Stiefeln und ein Halstuch. Freilich, wenn die Hofbediensteten unter sich waren, sagten sie wohl, daß er eigentlich doch nicht zu ihnen gehöre noch passe, aber im Verkehr mit dem wohlhabenden Mann zeigten

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