Der rote Komet. Robert Heymann

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Der rote Komet - Robert Heymann

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gewesen war, nach Hause.

      Eine Viertelstunde später saß er wieder in dem großen, kühlen Raume der astronomischen Sternwarte. Die fabelhaften Riesengläser glotzten ihn mit ihren schwarzen, unheimlichen Augen an. Das Firmament schien ein unendlicher Teppich von blauer Farbe zu sein, in den ungezählte blitzende Diamanten gewebt waren. Über alles spannte sich ein greller, roter Bogen.

      Das war der Himmel.

      Angesichts der gigantischen Unendlichkeit begann Romulus Futurus einen Abzug von der Platte zu machen. Warum zitterte er? Warum nahm dieses nebensächliche Geschäft seine Aufmerksamkeit dermaßen in Anspruch, dass er in jener Nacht sogar vergaß, seine gewöhnlichen Beobachtungen zu machen und zu registrieren, dass der rote Komet sich der Erde wiederum ein verhängnisvolles Stück genähert hatte? – —

      Es war etwa drei Uhr morgens, als Romulus Futurus den sprechenden Abzug vor sich auf den Knien liegen hatte.

      Da war er so bleich wie die weißen Wände des Sternwartensaales und seine Augen glühten beinahe so rot wie der Komet. Auf dieser Platte stand ein furchtbarer Roman, mit blutiger Tinte geschrieben, mit hässlichen Wahrheiten durchsetzt. Er bemerkte nicht, dass Frau Fabia leise und unhörbar, das weiße Gewand gerafft, dass es nicht rauschen konnte, in die Sternwarte getreten war. Und wie sie nun einen Blick über die Schultern ihres Gatten hinweg auf das Bild geworfen hatte, schrie sie plötzlich auf und rang verzweifelt die Hände:

      »Ich bin unschuldig! Ich schwöre dir, Romulus, ich bin unschuldig!«

      Er aber packte sie an ihren langen, wunderschönen schwarzen Haaren und stieß sie zu Boden, dass sie beinahe die Besinnung verlor und zusammengekauert liegen blieb, gleich einem verwundeten Reh. Romulus Futurus aber rannte wie ein Rasender auf und nieder; indem er zu seiner Gattin Fabia sprach, deutete er von Zeit zu Zeit auf das Bild, dann wieder gestikulierte er mit den Händen in der Luft.

      »Ich wusste es ja!« schrie er, »ich wusste es ja! Die ›Lumen‹-Platte ist so empfindlich, dass sie die schwächsten Reaktionen mit genauester Deutlichkeit wiedergibt! Die Platte hat nicht nur die Gesichter all dieser Elenden fotografiert, sondern auch ihre heimlichsten, tiefsten und innerlichsten Gedanken. Ha! Ich halte also jetzt den Schlüssel zu einer neuen, geheimnisvollen und furchtbaren Wissenschaft in Händen! Ich werde imstande sein, von heute ab zu wissen, was jeder Mensch denkt!«

      Selbstverständlich hatten sich die Gedanken, von denen Romulus Futurus sprach, nicht in Schriftzeichen auf der Fotografie kopiert. Es ist eine alte Weisheit, dass jedes Ding auf Erden einen Reflex hinterlässt, jede Bewegung, jede Schall-, jede Lichtwelle. Ebenso gibt auch der menschliche Gedanke, so schnell er immer gedacht sein mag, einen unwillkürlichen Reflex in den menschlichen Mienen, so deutlich, dass jedes Kind den Gedanken lesen könnte, wenn sein Auge nur scharf genug wäre, den Reflex zu sehen.

      Romulus Futurus hätte kein so großer Psychologe sein müssen, um nicht die Empfindung, die sich in den Mienen des Einzelnen in dem Moment der photographischen Aufnahme ausgeprägt hatte, lesen zu können.

      »Es ist ein Wunder! Ein unnennbares Wunder!« murmelte Frau Fabia, die immer noch nicht die Kraft besaß, sich zu erheben, und mit einer Miene wahnsinnigen Entsetzens auf ihren Gatten blickte. »Ich habe deutlich gesehen, dass aller Augen auf den photographischen Apparat gerichtet waren. Und doch blickt jetzt auf der entwickelten Fotografie jeder nach einer anderen Seite!«

      »So groß ist die Beweglichkeit des menschlichen Auges, so enorm die Verwandlungsmöglichkeit der Iris!« stieß Romulus Futurus zwischen den Zähnen hervor. Plötzlich beugte er sich zu Frau Fabia nieder.

      »Siehst du dein Gesicht? Siehst du deine Mienen? Siehst du, wie du zu John Crofton hinüberblickst? Ah, nicht genug, dass ich nur einen einzigen Freund besitze! Du willst ihn mir noch rauben! Der starre Blick, mit dem du ihn betrachtest, beweist mir alles! Warum denkst du immer an ihn? Warum beschäftigten sich deine Gedanken in dem Augenblick, da ich die photographische Aufnahme machte, einzig nur mit ihm?«

      »Ich liebe ihn ja nicht, ich hasse und verabscheue ihn!« rief Fabia verzweifelt. Aber Romulus Futurus hörte nicht auf sie. Er fuhr fort, den Blick in die Fotografie förmlich vergrabend:

      »Miss Head-Divina sieht zu dem reichen Krösus hinüber. Ihre Miene ist schrecklich, halb Wahnsinn, halb diabolische Grausamkeit und Schlechtigkeit. Wie sie Ralph Jonathan Wieland anblickt! Ihr Auge taucht förmlich in das seine! Ihr Gesicht, das im Moment der Aufnahme ernst und starr gewesen wie Stein, ihr Gesicht lächelt, und um ihre Mundwinkel ringeln sich abscheuliche Schlangen. Soll ich dir sagen, was sie denkt? Hier steht es geschrieben! Hier steht es! Seid ihr nicht alle gleich, ihr Frauen?«

      »Ja, ich bin geneigt, Ihren Antrag zu erhören, Ralph Jonathan Wieland«, sagt sie. »Aber – Siehst du, Fabia, wie sie sich zu gleicher Zeit halb zu meinem Freunde John Crofton hinüberwendet? Und da! Da!« —

      Romulus Futurus schüttelte sich und heftete den Nagel des rechten Zeigefingers auf das Gesicht Ralph Jonathan Wielands.

      »Siehst du die scheußliche Grimasse des Krösus? Siehst du, wie er meinen Freund John Crofton anstarrt? Die Lippen Wielands sind halb geöffnet. Ich sehe förmlich die gefletschten Zähne! Die Nasenflügel sind hinaufgezogen, wie man dies bei wilden Tieren im Augenblick des Angriffs bemerken kann. Die Augen sind zusammengekniffen, und strahlenförmig spannen sich die Falten um seine Schläfen!«

      Romulus Futurus schwieg. Seine Augen öffneten sich unnatürlich weit, denn er las, las deutlich auf diesem bis zur Scheußlichkeit verzerrten Gesicht den furchtbaren Gedanken, der Ralph Jonathan Wieland im Augenblick der Aufnahme beherrschte.

      Inzwischen blickte Frau Fabia mit nicht minder entsetzten Augen auf das Gesicht der jungen Fürstin Angelika, die Romulus Futurus ansah. Auch ihre Gedanken waren mit unverkennbarer Deutlichkeit fotografiert, und Frau Fabia las, las mit blutendem Herzen die Gedanken der Fürstin:

      »Romulus Futurus, ich liebe dich in Ewigkeit!«

      Und neben der Fürstin saß Dr. Diabel und starrte sie an und dachte:

      »Ich werde dich zu Tode martern, wenn du mich nicht erhörst!«

      Romulus Futurus schrie plötzlich auf und starrte mit fiebernden Augen hinaus in die Nacht.

      »Er will meinen Freund John Crofton töten! Jawohl, so ist es! In dieser Nacht noch! Ralph Jonathan Wieland dachte darüber nach, wie er John Crofton aus dem Wege räumen konnte, um sich selbst in den Besitz seiner Geliebten, der Schauspielerin Happy Head-Divina zu setzen!«

      Und in einer Anwandlung von Abscheu und Verzweiflung warf Romulus Futurus die kostbare Platte zu Boden, zertrat sie mit den Füßen und zerriss die Fotografie in tausend Fetzen, so dass er nicht mehr die Gedanken der Fürstin Angelika lesen konnte, nicht mehr das, was der Student dachte, während Frau Fabia im letzten Augenblick noch deutlich von den Lippen Happy Head-Divina den Gedanken abgeschaut hatte:

      »Ich muss versuchen, alles von dem General zu erfahren, denn die englische Regierung verlangt die Pläne des Kriegshafens von Kiel!«

      Wie gesagt, die Entdeckung, welche Frau Fabia gemacht hatte, kannte Romulus Futurus nicht. Ihn beherrschte nicht nur die Erkenntnis, dass Ralph Jonathan Wieland in dieser Nacht seinen Freund John Crofton töten wollte; und während er darüber nachsann, wie er den Freund retten könnte, kam er auf eine bizarre Idee.

* * *

      III

      Die Sternwarte des Romulus Futurus lag gerade im Tiergarten, etwa dort, wo vor einigen hundert Jahren der »Große Stern« gewesen. Von hier aus beherrschte die Sternwarte ganz Berlin. Die neue Stadt war nämlich in einem großen Halbkreis gebaut

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