Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe). Оскар Уайльд
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Читать онлайн книгу Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe) - Оскар Уайльд страница 63
»Du!« rief der Fuhrmann. »Du!«
»Ja freilich, ich!« versetzte der andre. »Und ich fand Gegenliebe. Ich habe es immer geglaubt, und jetzt weiß ich es ganz gewiß!«
»Gott steh’ bei mir!« rief der Fuhrmann. »Das ist ja noch schlimmer als alles andere!«
»Treu, wie ich ihr geblieben«, begann Eduard von neuem, »kam ich nach vielen Gefahren und Leiden hoffnungsvoll zurück, um meinen Teil unseres gegenseitigen Schwures zu erfüllen … da hörte ich einige Meilen von hier, daß sie mir untreu geworden war, daß sie mich vergessen und sich einem andern, reichen Manne geschenkt habe. Ich hatte nicht die Absicht, ihr Vorwürfe zu machen, aber ich wollte sie sehen und mich mit eigenen Augen überzeugen, daß es wahr sei. Ich hoffte, sie möchte dazu gegen ihren Wunsch und Willen gezwungen worden sein. Es wird das nur ein ganz kleiner Trost sein, dachte ich, aber doch immerhin ein Trost, und so kam ich. Um die Wahrheit zu erfahren, die wirkliche Wahrheit und selbst frei beobachten und urteilen zu können, ohne Hindernisse von ihrer Seite und ohne von meinem Einflusse auf sie – wenn ich noch welchen hätte – meinerseits Gebrauch zu machen, verkleidete ich mich – Ihr wißt wie, und wartete an der Landstraße – Ihr wißt wo. Ihr hegtet keinen Verdacht gegen mich; auch sie nicht« – hier deutete er auf Dot – »bis ich ihr da am Kamin ein Wörtchen ins Ohr flüsterte und sie mich fast verraten hätte.«
»Aber als sie erfuhr, daß Eduard noch lebte und zurückgekommen war«, schluchzte Dot, die jetzt selbst das Wort ergriff, worauf sie während der ganzen Erzählung des Matrosen ungeduldig gewartet hatte; »und als sie seine Absicht merkte, riet sie ihm dringend, die Sache geheimzuhalten, denn sein alter Freund Peerybingle wäre von Natur viel zu offenherzig und auch zu linkisch in allen Kunststücken, um das Geheimnis bewahren zu können, – wie er überhaupt ein linkischer Mann ist«, setzte Dot halb lachend, halb weinend hinzu. »Und als sie – das heißt ich, John – ihm alles erzählt hatte, wie sein geliebtes Mädchen ihn für tot gehalten, und wie sie sich schließlich von ihrer Mutter zu einer Heirat habe überreden lassen, die die gute alte Dame in ihrer Einfalt vorteilhaft nannte, und als sie – das heißt wieder ich, John – ihm erzählte, daß sie noch nicht verheiratet (wenn auch kurz davor) seien und daß, wenn diese Heirat zustande käme, es nur eine Aufopferung für die Mutter wäre, da auf ihrer Seite gar keine Liebe vorhanden sei, und als er bei dieser Nachricht vor Freude fast toll wurde, da sagte sie – das heißt nochmals ich, John – daß sie ihm helfen wolle, wie sie das früher schon oft getan, daß sie John und sein Liebchen ausforschen werde und daß sie überzeugt sei, daß das, was sie – wieder ich, John – dachte und tun würde, das Richtige sei. Und es war das Richtige, John! Und da wurden sie zusammengebracht, John! Und dann wurden sie getraut, John – vor einer Stunde! Und hier steht die junge Frau! Und Gruff und Tackleton kann sich als Junggeselle begraben lassen! Und ich bin eine glückliche kleine Frau, May und der Himmel schenke Euch seinen Segen!«
Nebenbei bemerkt – und das muß festgestellt werden –: sie war ein unwiderstehliches kleines Geschöpf; aber nie war sie so absolut unwiderstehlich gewesen, wie in ihrer augenblicklichen Freude. Niemals hat es so zärtliche Glückwünsche gegeben wie die, die sie jetzt an sich selbst und an die junge Frau verschwendete.
Inmitten des Tumults der Gefühle, der sich in seiner Brust erhob, hatte der ehrliche Fuhrmann ganz verdutzt dagestanden. Jetzt eilte er auf sie zu; aber Dot streckte ihm abwehrend die Hand entgegen und wich vor ihm zurück.
»Nein, John, nein! Höre alles! Liebe mich nicht eher wieder, als bis du alles gehört hast, was ich dir zu sagen habe. Es war unrecht von mir, etwas vor dir zu verbergen, John, und ich bereue es bitter. Ich hielt es nicht für so schlimm, bis ich mich gestern abend neben dich auf den kleinen Sessel setzte. Aber als ich auf deinem Gesicht las, daß du mich mit Eduard in der Galerie auf und ab hattest gehen sehen; als ich merkte, was du von mir dachtest, da fühlte ich erst, wie leichtsinnig und ungerecht ich gehandelt.
Aber du mein Gott, lieber John, wie konntest du, wie konntest du nur so etwas von mir denken!«
Diese kleine Frau, wie sie wieder schluchzte. John Peerybingle wollte sie wieder in seine Arme schließen. Aber nein, das konnte sie nicht zugeben!
»Bitte, John, noch darfst du mich nicht wieder liebhaben! Noch lange nicht! Daß mich diese beabsichtigte Heirat so traurig machte. Lieber, das geschah, weil ich an May und Eduard dachte, die sich schon als junge Leute so sehr liebten, und weil ich wußte, daß ihr Herz gar nicht an Tackleton dachte. Das glaubst du doch jetzt auch – nicht wahr, John?«
Bei diesem Appell wollte John einen neuen Angriff auf sie machen. Aber sie wehrte ihn noch einmal ab.
»Nein, bleib noch zurück, John, ich bitte dich! Wenn ich dich, wie ich das ja bisweilen tue, auslache und dich linkisch und einen lieben alten Einfaltspinsel und so weiter nenne, so geschieht das nur, weil ich dich so sehr liebe, John, und deine Art und Weise mir so sehr gefällt, daß ich sie um nichts in der Welt anders haben möchte, und solltest du noch morgen am Tage König werden!«
»Hurra hoch!« rief Kaleb begeistert aus. »Ganz meine Meinung!«
»Und wenn ich von Leuten von reifem und gesetztem Alter rede, John, und behaupte, wir gäben ein komisches Paar ab und liefen nur so dahin wie ein hinkendes Gespann, – das geschieht nur, weil ich ein so albernes kleines Geschöpf bin, John, und bisweilen sogar mit dem Wickelkindchen ein wenig Posse spiele.«
Sie sah, daß er sich wieder näherte, hielt ihn aber zum dritten Mal zurück. Doch beinahe wäre es zu spät gewesen.
»Nein, liebe mich ein paar Minuten lang noch nicht, wenn ich bitten darf, John! … Was mir ganz besonders am Herzen liegt, habe ich bis zuletzt aufgespart. Mein lieber, guter, rechtschaffener John, als wir neulich abend von dem Heimchen redeten, da hatte ich ein Geheimnis auf den Lippen, nämlich, daß ich dich anfangs nicht ganz so sehr liebte wie jetzt; daß, als ich zum erstenmal hierher in dein Haus kam, ich fast fürchtete, ich könnte dich nicht ganz und gar so lieben lernen, wie ich hoffte und wünschte – ich war ja noch so jung, John! Aber, lieber John, mit jedem Tage, mit jeder Stunde liebte ich dich mehr. Und wäre es mir möglich, dich noch mehr zu lieben, als es der Fall ist, so geschähe es wegen der edlen Worte, die ich heute morgen von dir hörte. Aber das ist unmöglich. All die Zärtlichkeit, die ich besaß, – und das ist eine große Menge, John – habe ich dir geschenkt, wie du es auch verdientest; und zwar schon lange, schon sehr lange, und so habe ich dir nun nichts mehr zu geben. Und jetzt, mein lieber Mann, drücke mich an dein Herz! Hier ist mein Heim, John, und denke nie, nie wieder daran, mich nach einem andern zu schicken!«
Niemals könnt ihr eine solche Freude darüber empfinden, wenn ihr eine wundervolle kleine Frau in den Armen eines andern seht, wie ihr sie empfunden haben würdet, hättet ihr gesehen, wie Dot dem Fuhrmann entgegeneilte. Es war der vollkommenste, ungetrübteste, herzinnigste Ausbruch von Zärtlichkeit, den ihr Zeit eures Lebens gesehen habt.
Das dürft ihr mir glauben, daß der Fuhrmann sich in einem Zustande vollkommener Glückseligkeit befand, und daß es mit Dot ebenfalls so war, ja daß es bei allen der Fall war – einschließlich Tilly Tolpatschs, die vor lauter Freude reichlich Tränen vergoß, und da sie den Wunsch hegte, daß ihr junger Zögling an der allgemeinen Freude sich ebenfalls beteiligte, reichte sie ihn sämtlichen Anwesenden der Reihe nach hin, als wäre er irgendeine Erfrischung gewesen.
Aber jetzt konnte man draußen wieder den Ton von Rädern hören, und jemand sagte, daß Gruff und Tackleton zurückkehre. Wirklich tauchte bald darauf dieser würdige Herr auf, und zwar mit aufgeregtem