Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe). Оскар Уайльд
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe) - Оскар Уайльд страница 83
»Es ist sehr gut«, sagte Ben.
»Ich freue mich, daß du zufrieden bist«, rief seine Frau. »Ich dachte es mir schon; und das, glaube ich, ist alles. Aber jetzt Schluß, Britain. Ha, ha, ha! Hier. Nimm die Papiere und prüfe sie. Doch halt, noch einen Augenblick! Hier ist noch ein gedruckter Zettel. Frisch aus der Druckerei. Wie gut er riecht!«
»Was ist das?« sagte Tim und betrachtete das Blatt.
»Ich weiß nicht«, antwortete seine Frau. »Ich habe kein Wort davon gelesen.«
»Verkauf durch freiwillige öffentliche Versteigerung«, las der Wirt, »unter Vorbehalt früheren Privatübereinkommens.«
»Das schreiben sie immer darauf«, sagte Clemency.
»Ja, aber doch nicht immer dieses«, versetzte er. »Schau her: Herrenhaus und Wirtschaftsgebäude, Park und Garten von Mr. Snitchey und Craggs und das schuldenfreie Gut von Mich. Warden, Esquire, wegen Fortzugs ins Ausland!«
»Wegen Fortzugs ins Ausland!« wiederholte Clemency.
»Hier steht es«, sagte Mr. Britain. »Sieh her.«
»Und heute hörte ich erst von drüben, daß sie bessere und deutlichere Nachrichten bald senden wolle!« sagte Clemency. Dabei schüttelte sie traurig den Kopf und griff wieder nach ihren Ellbogen, als ob die Erinnerung an alte Zeiten auch alte Gewohnheiten erwecke. »Hm, hm, hm! Das wird drüben wieder die Herzen schwer machen, Ben.«
Mrs. Britain seufzte, schüttelte den Kopf und sagte, er könne die Angelegenheit von Grund auf nicht begreifen und habe sie längst aufgegeben. Bei dieser Randbemerkung beließ er es und klebte den Zettel hinter die Büfettfensterscheibe, Clemency aber, nachdem sie eine Weile grübelnd dagestanden, machte sich auf und eilte hinaus, um nach den Kindern zu schauen.
Obgleich der Wirt des Muskatsiebs großen Respekt vor seiner Hausfrau hatte, so blieb diese doch ganz in der alten unterwürfigen Art; und das ergötzte ihn außerordentlich. Nichts hätte ihn in größere Verwunderung gebracht, als wenn ihn ein Dritter darauf aufmerksam gemacht hätte, wie sie allein die ganze Wirtschaft führte und ihn durch kluge haushälterische Weise, frischen Unternehmungsgeist, Ehrlichkeit und Fleiß zum wohlhabenden Manne machte. So leicht ist es in jedem Lebensverhältnis (und gar oft ist es wirklich der Fall), die stillen Naturen, die nie ihre Verdienste zur Schau stellen, nach ihrem eigenen bescheidenen Urteil zu werten und ein unerfreuliches Gefallen wegen äußerlicher Besonderheiten und Scheinvorzüge an Menschen zu finden, deren innerer Wert, wenn wir so tief blicken wollten, uns erröten machen müßte!
Es erfüllte Mr. Britain mit Wohlbehagen, wenn er an die Herablassung dachte, mit der er Clemency geheiratet. Sie erschien ihm als ein beständiges Zeugnis seines edlen Herzens, und er spürte, daß ihre Trefflichkeit nur den alten Spruch bestätigte, daß die Tugend sich selbst belohne.
Er hatte den Zettel angeklebt und die Quittungen über die Geschäfte des heutigen Tages in den Büfettschrank geschlossen – wobei er immer über ihre Geschäftstüchtigkeit vor sich hinschmunzelte – als sie mit der Nachricht zurückkam, daß die beiden Master Britains unter Obhut einer gewissen Betsy im Schuppen spielten, die kleine Clemency aber schlafe »wie ein Engel«. Jetzt ließ sie sich auch zum Tee nieder, der, auf ihr Erscheinen wartend, auf einem kleinen Tisch bereitstand. Es war ein hübsches kleines Büfett mit der üblichen Dekoration von Flaschen und Gläsern und einer gerichteten Uhr, die auf die Minute ging (es war halb sechs). Jeder Gegenstand war an seinem gehörigen Platz und bis auf das äußerste blankgescheuert und poliert.
»Es ist das erstemal, daß ich heute ruhig zum Sitzen komme«, sagte Mrs. Britain und schöpfte tief Atem, als ob sie nun für den Abend festen Sitz gefaßt hätte, aber sie erhob sich doch gleich wieder, um ihrem Mann Tee einzugießen und Butter und Brot zu schneiden! »wie dieser Zettel mich an alte Zeiten denken läßt!«
»Ja, ja!« erwiderte Mr. Britain, packte seine Untertasse wie eine Auster, und schlürfte sie in derselben Weise aus.
»Dieser selbe Mr. Michael Warden«, sagte Clemency grübelnd, »brachte mich um meine alte Stelle.«
»Und verschaffte dir einen Mann«, ergänzte Mr. Britain.
»Na ja«, meinte Clemency, »und dafür will ich ihm auch dankbar sein.«
»Der Mensch ist ein Knecht der Gewohnheit«, sagte Mr. Britain und sah seine Frau über seine Untertasse hin prüfend an. »Ich hatte mich an dich gewöhnt und sah ein, daß ich mich ohne dich nicht recht wohl fühlen würde. Ha, ha! Wer hätte das für möglich gehalten!«
»Ja wirklich!« rief Clemency, »Es war sehr gütig von dir, Ben.«
»Nein, nein, nein«, antwortete Ben mit selbstgefälliger Bescheidenheit. »Nicht der Rede wert.«
»O ja, Ben«, sagte seine Frau herzlich. »Ich glaube es doch und bin dir sehr zu Dank verbunden. Ach!« – sie schaute wieder auf den Zettel – »als es bekannt wurde, daß sie entflohen war, das liebe Mädchen, da konnte ich nicht anders – ihretwegen und der Schwester und des Vaters wegen – zu sagen, was ich wußte, nicht wahr?«
»Jedenfalls erzähltest du es«, bestätigte ihr Gatte.
»Und Doktor Jeddler« , sagte Clemency, ihre Tasse hinsetzend und nachdenklich auf den Zettel schauend, »jagte mich in seinem Kummer und Zorn aus dem Haus! Wie bin ich froh, daß ich damals kein böses Wort gesagt habe und ihm nichts Böses nachtrug; denn er hat es später herzlich bereut. Wie oft hat er hier gegessen und mir immer wieder gesagt, daß es ihm leid tue! – Zum letztenmal gestern noch, als du nicht da warst. Wie oft hat er hier gesessen und stundenlang von dem und jenem geredet, als ob es ihm wohl tue! – aber eigentlich nur aus Liebe zur einstigen Zeit und weil er wußte, daß sie mich gern gehabt hat, Ben!«
»Mein Gott, wie hast du das herausbekommen, Clemency?« fragte ihr Mann, ganz erstaunt, daß sie eine Wahrheit klar erkannte, die in seiner philosophischen Vernunft nur gedämmert hatte.
»Ich weiß es nicht«, sagte Clemency, und pustete über ihren Tee, um ihn abzukühlen. »Himmel! ich könnte es nicht sagen, und wenn man mir eine Belohnung von hundert Pfund verspräche.«
Er hätte feine philosophischen Gedankengänge wohl noch weiter fortgesetzt, hätte er nicht hinter ihm an der Tür der Gaststube eine substantielle Erscheinung in Gestalt eines Herrn in Trauer, der einen Reitanzug trug, wahrgenommen. Er schien auf ihr Gespräch zu achten und gar nicht die Absicht zu haben, sie zu unterbrechen.
Clemency erhob sich. Auch Mr. Britain stand auf und begrüßte den Gast. »Wünschen Sie gefälligst hinaufzugehen, Sir? Es ist ein sehr hübsches Quartier oben, Sir.«
»Ich danke Ihnen«, sagte der Fremde und sah Mrs. Britain aufmerksam an. »Ist es gestattet, hier einzutreten?«
»O, wenn Sie wünschen«, gab Clemency zur Antwort und öffnete das Schankzimmer. »Was wünschen Sie, Herr?«
Er hatte den Zettel bemerkt und las ihn jetzt.
»Ein sehr schönes Grundstück, Herr«, erklärte Mr. Britain.
Er antwortete nicht, sondern drehte sich um, als er die Lektüre beendet, und schaute Clemency mit der gleichen forschenden Aufmerksamkeit wie zuvor an. »Sie fragten«, sagte er, ohne den Blick von ihr abzuwenden –
»Was