Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe). Оскар Уайльд
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Читать онлайн книгу Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe) - Оскар Уайльд страница 89
»Ganz und gar nicht«, versetzte der Anwalt.
»Dann«, sagte Mr. Britain und reichte ihm die Schenkungsurkunde zurück, »fügen Sie noch die Worte hinein: ›und Fingerhut‹, und ich will diese beiden Symbole im Wohnzimmer aufhängen lassen, anstatt des Bildes meiner Hausfrau.«
»Mir aber«, ließ sich eine Stimme hinter ihm vernehmen – es war der Fremde, Michael Warden – »laßt den Inhalt dieser Symbole zugute kommen. Mr. Heathfield und Doktor Jeddler, ich hätte Ihnen beiden großes Herzeleid antun können. Daß es nicht so kam, geschah nicht durch mein Verdienst. Ich will nicht sagen, daß ich um sechs Jahre klüger oder besser geworden bin. Aber auf alle Fälle habe ich so lange bereut. Ich verdiene keine schonende Behandlung von Ihrer Seite. Ich mißbrauchte die Gastfreundschaft Ihres Hauses und lernte meine Schwächen kennen – mit einer Beschämung, die ich nie vergessen habe, aber ich hoffe, auch nicht ohne Nutzen – von einer«, er sah auf Marion, »die ich demütig um Verzeihung bat, als ich ihren Wert und meinen Unwert erkannte. In kurzem werde ich diesen Ort für immer verlassen. Ich bitte Sie alle um Vergebung. Wie ihr wollt, daß euch die Leute tun, so tut ihnen auch! Vergeßt und verzeiht!«
* * *
Die Zeit – die mir den letzten Teil dieser Geschichte mitteilte, und die ich zu meiner Freude seit etwa fünfunddreißig Jahren persönlich kenne – benachrichtigte mich, gelassen auf ihre Sense gestützt, daß Michael Warden England nie verließ und sein Haus nicht verkaufte, sondern daß er es wieder mit großzügiger Gastlichkeit eröffnete und eine Gattin hatte, der Stolz und die Ehre der ganzen Umwelt, namens Marion. Aber da ich erfahren habe, daß die Zeit zuweilen Tatsachen durcheinander bringt, so weiß ich wahrhaftig nicht, wieviel Wert ich auf ihre Mitteilung legen soll.
Ende.
Die Silvester-Glocken
(Charles Dickens)
Erstes Viertel
Es gibt nicht viele Leute – und da es wünschenswert ist, daß ein Geschichtenerzähler und seine Leser so bald als möglich sich gegenseitig verstehen, so erlaube ich mir, zu bemerken, daß ich diese Beobachtung weder auf junge Leute, noch auf kleine Leute beschränke, sondern daß sie allen Arten von Leuten, kleinen und großen, jungen und alten, noch heranwachsenden und bereits wieder zurückwachsenden gilt; – es gibt, sage ich, nicht viele Leute, die gern in einer Kirche schlafen möchten. Ich meine, nicht während der Predigt bei warmem Wetter (wo es wirklich ein-oder zweimal geschehen ist), sondern bei Nacht und allein. Eine große Menge von Menschen würde diese Behauptung, wenn ich sagen wollte: am lichten Tage, gewaltig in Erstaunen setzen. Aber es handelt sich um die Nacht. Es muß genau verstanden werden: um die Nacht. Und ich will dies erfolgreich an einem ersten besten stürmischen Wintertage mit dem ersten besten Gegner beweisen, der allein mit mir auf einen alten Kirchhof, vor eine alte Kirchentür kommen und mir im voraus die Vollmacht geben will, ihn bis zum frühen Morgen, wenn dies zu seinem besonderen Vergnügen notwendig ist, einzuschließen.
Denn der Nachtwind hat die böse Gewohnheit, um ein Gebäude dieser Art herumzujagen und dabei zu seufzen, mit unsichtbarer Hand an die Fenster und Türen zu rütteln und irgendeine Spalte zu suchen, durch welche er hineinkommen könnte. Und wenn er sich schließlich hineingeschlichen hat, dann wimmert und heult er wie einer, der nicht findet, was er sucht, um wieder hinauszukommen, und begnügt sich nicht, durch die Seitenschiffe zu stürmen, um die Pfeiler zu sausen und die feierliche Orgel zu schlagen, sondern schwingt sich zur Decke hinauf und möchte die Balken zertrümmern; dann wirft er sich verzweifelt auf die Steine hinunter und steigt murmelnd in die Grabgewölbe. Heimlich leise kommt er wieder herauf und schleicht sich längs den Mauern hin: dann scheint er leise flüsternd die den Toten geweihten Grabschriften zu lesen. Bei der einen bricht er in ein schrilles Gelächter aus, bei andern klagt und seufzt er. Es klingt auch ganz unheimlich, wenn er sich hinter einen Altar verkriecht; dort ist es schier, als ob er in seiner wilden Weise von Unheil und Mord und von der Anbetung falscher Götzen singe trotz der Gesetzestafeln, die so glatt und schmuck aussehen und doch so oft geschändet und gebrochen werden. Hu! Gott bewahre uns, wie wir so traulich ums Feuer sitzen! Er hat eine schreckliche Stimme, der Mitternachtswind, wenn er in einer Kirche singt!
Doch erst da hoch oben im Kirchturm! Da saust und pfeift er erst, der wilde Gesell! Hoch oben im Kirchturm, wo er durch manch luftigen Bogen und manch Guckloch frei herein-und hinauskommt und sich um die steile Treppe drehen und wenden kann, und wo er den kreischenden Wetterhahn umherwirbelt und den Turm selber erschüttert und beben macht! Hoch oben im Kirchturm, wo der Glockenstuhl ist und eiserne, vom Rost zernagte Riegel und die vom Wechsel der Witterung zusammengezogenen Blei-und Kupferdächer unter dem ungewohnten Tritte knacken und knarren: wo Vögel ihre ärmlichen Nester in die Ecken von alten eichenen Sparren und Balken bauen, und der Staub alt und grau wird, und gesprenkelte Spinnen in gemächlicher Sicherheit mit fettem Leibe unter der zitternden Schwingung der Glocken, ohne in ihren aus Fäden gewobenen Luftschlössern den Halt zu verlieren, sich hin-und herschwingen, oder in plötzlicher Unruhe wie Matrosen klettern oder auf den Boden hinabgleiten und zwanzig zarte Beinchen in Bewegung setzen, um ein armseliges Leben zu retten! Hoch oben in einem alten Kirchturm, weit über dem Licht und dem Geräusch der Stadt und tief unter den eilenden Wolken, welche dieselbe beschatten, ist es bei Nacht ein schauerlicher und gespenstiger Ort; und hoch oben in dem steilen Turm einer alten Kirche befanden sich die Glocken, von denen ich erzählen will.
Es waren alte Glocken, das könnt Ihr glauben. Vor Jahrhunderten waren diese Glocken von Bischöfen getauft worden, und zwar vor so viel Jahrhunderten, daß ihr Taufschein und ihr Taufregister lange, lange vor Menschengedenken verloren gegangen war und niemand ihre Namen wußte. Sie hatten natürlich ihre Paten und Patinnen und ohne Zweifel auch ihre silbernen Becher gehabt (à propos, ich meinerseits möchte lieber die Verantwortung auf mich nehmen, Pate einer Glocke als eines Jungen zu sein). Die Zeit hatte dann ihre Paten abgemäht und Heinrich VIII. ihre Becher eingeschmolzen; und so hingen sie nun namenlos und becherlos in dem Kirchturm.
Indes nicht sprachlos. Vielmehr hatten diese Glocken gar helle, laute, kräftige, klangvolle Stimmen, und weit und breit hörte man sie, auf dem Winde dahergetragen. Jedoch waren es viel zu derbe Glocken, um sich völlig vom Wind abhängig zu machen; und wenn diesen böse Laune plagte, dann klangen sie gebieterisch dem Winde entgegen, und echt königlich drangen ihre heiteren Klänge an ein lauschendes Ohr; und wenn sie sich’s vorgenommen hatten, in einer stürmischen Nacht von einer armen Mutter, die bei ihrem kranken Kinde wachte, oder von einem verlassenen Weibe, deren Mann auf der See war, gehört zu werden, dann sollen sie bisweilen einen tosenden Nordwestwind übertäubt haben, wie Toby Veck erzählte: denn sein Name war Toby, obwohl sie ihn alle Trotty Veck nannten, und niemand konnte ohne besonderes Parlamentsgesetz etwas anderes daraus machen (außer etwa Tobias), da er seiner Zeit ebenso gesetzlich, wie die Glocken zu der ihrigen, wenngleich nicht mit ebenso großer Feierlichkeit oder Volksfreude getauft worden war.