Gesammelte Heimatromane. Hermann Stehr
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Der letzte Ton des Liedes schwebte noch zwischen ihren bebenden Lippen wie der Stiel einer blassen Blume, die sie im Begriff stand fallen zu lassen, da hörte sie ihren Mann heimkehren. Wenn es ihr Herz nicht erlauscht hätte, ihr Ohr würde es nicht erraten haben. So achtsam wurde die Tür bewegt, so gleichmäßig, fast schonend strichen lange Schritte durch den Flur. Nun trat er in die Wohnstube und ging leise bis in deren Mitte. Dort blieb er stehen. Sie hörte ihn laut und stürmisch ein paarmal atmen, wie es jemand vor einem bedeutsamen Vorhaben befällt. Obwohl Johanna nun wußte, daß er nicht trunken sei, ging ihr Herz plötzlich wie ein fallendes Blatt vor der tieferen Sorge, den Mann regiere die wache Wut. Und wirklich. Schon ging die Tür lautlos, stand lauernd still, und vor der Öffnung, die als finstere Schlucht sich aus der Nacht heranschob, sah sie langsam das blasse Gesicht ihres Mannes auftauchen und witternd, wie vor dem Anspringen, eine Weile stillhalten. Sie kam entsetzt in die Höh und mußte ihren erschlaffenden Körper mit versteiften Armen stützen. Da, wie wußte sie nicht, lag der Sintlinger an ihrer Brust und schnürte seine Arme wie Seile um sie und atmete erstickt und kochendheiß an ihrem Halse hin. Er sprach stoßend und endlos, aber sie verstand nichts als den seligen Wirbel, von dem sie durch seine Worte aus ihrem Verzagen emporgerissen und fortgetragen wurde. Auf einmal löste er die Arme, bettete sein Weib behutsam aufs Lager, entkleidete sich schweigend und legte sich nieder. Obwohl Johanna nicht nach ihm hinsah, spürte sie doch, daß er auf dem Rücken lag und mit weiten Augen in die Nacht starrte. Nach langem sagte er erschüttert und fast unhörbar: »Ich habe kein Kind, ich habe einen Engel.« Dann drehte er sich um und schlief ein.
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