Der eiserne Gustav. Hans Fallada

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Der eiserne Gustav - Hans  Fallada Hans-Fallada-Reihe

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mit dir!«

      Mit einem Ruck schob der Vater den Sohn in den Keller, die Tür schlug zu. Von innen warf sich der Sohn dagegen. »Vater! Vater …!«

      Der Vater schloß ab.

      Fäuste trommelten von innen. Eine beinahe unkenntliche Stimme schrie: »Tyrann! Schinder! Henker!«

      »Komm füttern, Otto«, sagte der Vater und ging.

      »Du bist zu hart, Vater«, flüsterte Otto.

      »Wie?!« rief der Vater und blieb stehen. (Der im Keller Eingesperrte schrie weiter.) »Wie?! Und ist er etwa nicht hart zu mir!« Er sah den Sohn streng an. »Tut es mir nicht weh? Komm füttern, Otto!«

      10 Morgen auf dem Droschkenhof

      Der Vater stieg vor dem Sohn Otto die Kellertreppe hinauf, wie ein sehr alter Mann.

      »Jaja«, murmelte er. »Nun helfe uns allen Gott!«

      Als er aber auf den Hof trat, wurde seine Haltung straffer. Fast im alten befehlenden Ton rief er zu den Frauen im Fenster hinauf: »Habt ihr nichts zu tun? Macht, daß ihr an eure Arbeit kommt!«

      Gleich verschwanden die Gesichter. Hackendahl trat in den Stall. »Alles in Ordnung, Rabause?«

      »Im Stall ist alles in Ordnung, Chef«, antwortete Rabause. Aber das war auch die einzige Andeutung, die er auf die Geschehnisse eben zu machen wagte.

      In der nächsten Stunde gab es viel zu tun: Eilige, stumme Arbeiterei, um halb sieben mußten die Pferde zur Tagestour bereit sein.

      Aber doch fand Otto immer wieder einen Augenblick Zeit, unter die Stalltür zu treten, nach dem Keller zu lauschen. Er hörte nichts – aber das sagte noch nicht, daß der Bruder sich gefügt hatte. Die Aussichten auf ein Fügen des Bruders schienen gering – fast so gering wie die Aussicht auf ein Nachgeben des Vaters. Schwer seufzend machte sich Otto wieder an seine Arbeit. Er merkte, auch der Futtermeister Rabause sah öfter als sonst aus der Stalltür – nur der Vater tat, als sei nichts gewesen.

      Erst als die Nachtdroschken hereinkamen, ging der alte Hackendahl aus dem Stall. Wie immer sprach er mit jedem Kutscher, sah selbst die Taxuhr nach, berechnete die Gelder, kassierte und trug ein in sein Buch. In der vergangenen Nacht war das Geschäft ungewöhnlich gut gewesen, die Droschken hatten fast gar nicht an den Halteplätzen zu warten gehabt. Hackendahl kassierte viel Geld, er belebte sich etwas, es war nicht alles hoffnungslos, das Geschäft ging.

      Er rief Rabause zu, daß die Pferde von den Nachtdroschken eine Extraration Hafer bekommen sollten. Dann fragte er den Kutscher: »Und wo bist du hingefahren, Willem?«

      »Es war ja ville los in der Stadt«, sagte der Kutscher. »Die Leute sind mächtig uffjeregt wejen die Ermordung von dem Erzherzog. Dreimal habe ich bei Scherl jemußt, wo die Telegramme anjeschlagen sind. Den Mörder haben se ja fest, Herr Hackendahl, es is ein Studente, seinen Namen hab ich aber nich behalten. Er hat gleich Jift geschluckt, aber er hat’s wieder rausgekotzt …«

      »Ein Student, so«, sagte der eiserne Gustav. »Und wegen so was schlagen sich die Leute die Nacht um die Ohren. Den Hintern blutig gehauen, das gehört so einem, Hinrichtung geht viel zu schnell, erst muß der mal Schmerzen spüren … Aber es ist keine Zucht mehr auf der Welt …«

      Der alte Kutscher sah von den blauen Tuchkissen hoch, die er gerade für die Tagfahrt ausbürstete. »Meenen Se det, Herr Hackendahl? Ick denk immer, es is zu ville Zucht auf der Welt, alles jeht nach Drill un Kommando, und der Mensch is doch keine Maschine nich, er is gewissermaßen was Lebendiges, mit Jefühlen …«

      Aber der alte Wilhelm hatte einen schlechten Augenblick gewählt, denn gerade kam sein Kollege Piepgras auf den Hof gefahren, und der hatte bei seiner Droschke trotz des milden Sommermorgens das Verdeck hochgeschlagen, und das Kotleder war auch zugeknüpft, als regne es Pickelsteine. Aber das war nicht an dem, sondern …

      »Ja, Herr Hackendahl«, sagte Piepgras und stieg schnaufend über das hohe Wagenrad vom Bock und schob den Lackzylinder mit der Nummer aus seiner buckligen Stirn. »Willste stehen, Ottilje! Das Aas kann nie sein Futter abwarten! – Ja, Herr Hackendahl, nu sagen Sie bloß, was sollte ich machen? Klock einsen die Nacht sind die beiden beim Alten Kuhstall in meine Droschke gestiegen, und über den Lehrter in den Tiergarten hat er gesagt, und dann immer weiter, bis ich klopfe! Und ich hab gar nicht gemerkt, daß er einen auf der Lampe hat, aber gekloppt hat er nich. Und ich fahre und fahre, und manchmal frage ich: ›Ist es noch nicht genug?‹ – Aber nichts, keine Antwort, und wie ich nun schließlich anhalte, sehe ich, die beiden pennen, aber wie! Da hilft kein Schütteln und kein Rufen, er quasselt bloß betrunkenes Zeug, und von Wohnung erfahren und so ist keine Rede.«

      »Immer stellst du solche Geschichten an«, sagt Hackendahl ärgerlich. »Weck sie auf! Rechne schnell mit ihnen ab und sieh, daß sie runterkommen von meinem Hof!«

      Und er trat einen Schritt zurück.

      »Aber, Herr Hackendahl!« sagte der Kutscher vorwurfsvoll. »Wie Sie bloß so sein können. Das sind doch zwei wie die reinen Kinder, so was muß man doch gesehen haben, das freut Vatern, und Muttern freut es auch … Das ist doch noch die wahre Liebe, aus’m Gesangbuch …«

      Und während er so weiterdröhnte, schlug Piepgras langsam das Verdeck seiner Droschke zurück und knüpfte das Kotleder los …

      Es waren eine ganze Menge Leute, die da zuschauten. Müde Droschkenkutscher vom Nachtdienst und ausgeschlafene Droschkenkutscher vom Tagdienst. Auch Otto und Rabause ließen sich diesen Spektakel nicht entgehen. (Der alte Piepgras machte wirklich immer solche Witze.) Selbst die Frauen im Hause hatten eine Witterung von der Sache bekommen und sahen wieder aus den Fenstern, den dreizehnjährigen Bubi zwischen sich …

      Es war kein schlechter Anblick, der sich den Beschauern allen bot, nein, die beiden Schläfer sahen gut und erfreulich aus. Wenn sie wirklich berauscht in die Droschke gestiegen waren, jetzt schliefen sie einen wahren Kinderschlaf. Ihr Kopf lag, ganz wie es sich gehörte, an seiner Brust, und an den Händen hielten sie sich auch, als dürfe ihre Gemeinsamkeit selbst nicht in den Wäldern des Schlafs und in den Dickichten des Traums verlorengehen …

      Alle sahen still auf das freundliche Bild, und nach einer Weile sagte der alte Piepgras ganz friedlich: »Na, Herr Hackendahl, habe ich zuviel gesagt? So was freut einen doch, daß es das auch noch in der Kaiserstadt Berlin gibt, wo sich die Nutten auf der Friedrich geradezu auf die Hacken treten. Aber es jibt eben allens in Berlin …«

      Wer kann sagen, was alles dem alten Hackendahl beim Anblick der beiden jungen Liebesleute durch Herz und Hirn zog? Er war ja auch einmal jung gewesen und sah, daß dies noch Kinderliebe war, etwas Leichtes, Fröhliches …

      Aber da hatte nun Piepgras das Wort gesagt von den Nutten, die sich auf der Friedrich die Hacken abtreten, und in demselben Augenblick war ihm wohl die Tochter eingefallen, die heimlich in ein wirklich recht übel beleumdetes Café schlich, und der Sohn, der heute morgen nach gemeinem Parfüm gerochen hatte. Mit einem Satz sprang er zu der Droschke, riß den Schläfer bei der Schulter und rief zornig: »Wachen Sie auf! Machen Sie, daß Sie von meinem Hof runterkommen, Sie Kerl, Sie!«

      Noch eher aber als der junge Mann wurde das junge Mädchen wach. Sie fuhr hoch und sah auf den fremden Hof und in all die fremden Männergesichter, die auf sie gerichtet waren, die alle erschrocken und böse und finster aussahen. Daß diese Finsterkeit nicht ihr, sondern dem Ausbruch des eisernen Gustav galt, das wußte sie ja nicht.

      Sie faßte ihren Freund bei der Hand, zog ihn hoch vom Sitz und rief: »O komm bloß, Erich, was ist nur?« Und schon

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