Wachtmeister Studer. Friedrich C. Glauser

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Читать онлайн книгу Wachtmeister Studer - Friedrich C. Glauser страница 6

Wachtmeister Studer - Friedrich C.  Glauser Gesammelte Werke bei Null Papier

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be­trach­te­te die Bil­der. Sie wa­ren nicht schlecht, ob­wohl sie von kei­nem kri­mi­no­lo­gisch ge­schul­ten Fach­mann auf­ge­nom­men wor­den wa­ren. Auf bei­den sah man das Un­ter­holz ei­nes Tan­nen­wal­des und auf dem Bo­den, der mit dür­ren Na­deln über­sät war – die Bil­der wa­ren sehr scharf –, lag eine dunkle Ge­stalt auf dem Bauch. Rechts am kah­len Hin­ter­kopf, schät­zungs­wei­se drei Fin­ger breit von der Ohr­mu­schel, ge­ra­de über ei­nem dün­nen Haar­kranz, der zum Teil den Rock­kra­gen be­deck­te, war ein dunkles Loch zu se­hen. Es sah ziem­lich ab­sto­ßend aus. Aber Stu­der war an sol­che Bil­der ge­wöhnt. Er frag­te nur:

      »Ta­schen leer?«

      »War­ten Sie, ich habe hier den Rap­port vom Land­jä­ger­kor­po­ral Mur­mann…«

      »Ah«, un­ter­brach Stu­der, »der Mur­mann ist in Ger­zen­stein. So, so!«

      »Ken­nen Sie ihn?«

      »Doch, doch. Ein Kol­le­ge. Hab ihn aber schon vie­le Jah­re nicht ge­se­hen. Was schreibt der Mur­mann?«

      Der Un­ter­su­chungs­rich­ter dreh­te das Blatt um, dann mur­mel­te er hal­be Sät­ze vor sich hin. Stu­der ver­stand:

      »… männ­li­che Lei­che auf dem Bau­che lie­gen­d… Ein­schuss hin­ter dem rech­ten Ohr… Ku­gel im Kopf ste­cken ge­blie­ben… wahr­schein­lich aus ei­nem 6,5 Brow­ning…«

      »In Waf­fen kennt er sich aus, der Mur­mann!« be­merk­te Stu­der.

      »… Ta­schen leer…«, sag­te der Un­ter­su­chungs­rich­ter.

      »Was?« ganz scharf die Fra­ge. »Ha­ben Sie zu­fäl­lig eine Lupe?« Alle Höf­lich­keit war aus Stu­ders Stim­me ver­schwun­den.

      »Eine Lupe? Ja. War­ten Sie. Hier…«

      Ein paar Au­gen­bli­cke war es still. Durch einen Spalt der Fens­ter­lä­den fiel ein Son­nen­strahl ge­ra­de auf Stu­ders Haar. Schwei­gend be­trach­te­te der Un­ter­su­chungs­rich­ter den Mann, der da vor ihm hock­te, den brei­ten, run­den Rücken und die grau­en Haa­re, die glänz­ten, wie das Fell ei­nes Ap­fel­schim­mels.

      »Das ist lus­tig«, sag­te Wacht­meis­ter Stu­der mit lei­ser Stim­me. (Was, zum Teu­fel, ist an der Fo­to­gra­fie ei­nes Er­mor­de­ten lus­tig! dach­te der Un­ter­su­chungs­rich­ter.) »Der Rock ist ja ganz sau­ber auf dem Rücken…«

      »Sau­ber auf dem Rücken? Ja, und?«

      »Und die Ta­schen sind leer«, sag­te Stu­der kurz, als sei da­mit al­les er­klärt.

      »Ich ver­steh’ nicht…« Der Un­ter­su­chungs­rich­ter nahm die Bril­le ab und putz­te die Glä­ser mit sei­nem Ta­schen­tuch.

      »Wenn…«, sag­te Stu­der und tipp­te mit der Lupe auf die Auf­nah­me. »Wenn Sie sich vor­stel­len, dass der Mann hier im Wal­de meuch­lings über­fal­len wor­den ist, dass ihn ei­ner von hin­ten nie­der­ge­schos­sen hat, so geht aus der Lage der Lei­che her­vor, dass der Mann vorn­über aufs Ge­sicht ge­fal­len ist. Nicht wahr? Er liegt also auf dem Bauch, rührt sich nicht mehr. Aber sei­ne Ta­schen sind leer. Wann hat man die Ta­schen ge­leert?«

      »Der An­grei­fer hät­te den Wit­schi zwin­gen kön­nen, die Brief­ta­sche aus­zu­lie­fern…«

      »Nicht sehr wahr­schein­lich… Was sagt das Sek­ti­ons­pro­to­koll, wann der Tod mut­maß­lich ein­ge­tre­ten ist?«

      Der Un­ter­su­chungs­rich­ter blät­ter­te in den Ak­ten, eif­rig, wie ein Schü­ler, der ger­ne vom Leh­rer eine gute Note be­kom­men möch­te. Merk­wür­dig, wie schnell die Rol­len sich ver­tauscht hat­ten. Stu­der hock­te im­mer noch auf dem un­be­que­men Stuhl, der si­cher­lich sonst für die vor­ge­führ­ten Häft­lin­ge be­stimmt war, und doch sah es so aus, als ob er die gan­ze An­ge­le­gen­heit in die Hand ge­nom­men hät­te…

      »Das Sek­ti­ons­pro­to­koll«, sag­te der Un­ter­su­chungs­rich­ter jetzt, räus­per­te sich tro­cken, rück­te an sei­ner Bril­le und las: »Zer­trüm­me­rung des Oc­ci­pi­tal­kno­chens… Me­sence­pha­lum… ste­cken­ge­blie­ben in der Ge­gend des lin­ken… Aber das wol­len Sie ja al­les nicht wis­sen… Hier… Tod ap­pro­xi­ma­tiv zehn Stun­den vor Auf­fin­dung der Lei­che ein­ge­tre­ten… Das woll­ten Sie wis­sen, Wacht­meis­ter? Auf­ge­fun­den ist die Lei­che zwi­schen halb acht und vier­tel vor acht Uhr mor­gens von Jean Cot­te­reau, Ober­gärt­ner in den Baum­schu­len El­len­ber­ger… Der Mord wäre also un­ge­fähr um zehn Uhr abends ver­übt wor­den.«

      »Zehn Uhr? Gut. Wie stel­len Sie sich die Sze­ne vor? Der alte Wit­schi kommt von ei­ner Tour zu­rück, er fährt mit sei­nem Zehn­der ru­hig nach Hau­se. Plötz­lich wird er an­ge­hal­ten… Schon da ist vie­les nicht klar. Wa­rum steigt er ab? Hat er Angst?… Neh­men wir an, er sei an­ge­hal­ten wor­den. Gut, er wird ge­zwun­gen, sei­nen Kar­ren an einen Baum zu leh­nen, man treibt ihn in den Wald… Wa­rum nimmt ihm der An­grei­fer nicht auf der Stra­ße die Brief­ta­sche fort und drückt sich?… Nein! Er zwingt den Wit­schi, mit ihm hun­dert Me­ter – es wa­ren doch hun­dert Me­ter? – in den Wald zu ge­hen. Schießt ihn von hin­ten nie­der. Der Mann fällt auf den Bauch… Wol­len Sie mir sa­gen, Herr Un­ter­su­chungs­rich­ter, wann ihm die Brief­ta­sche mit den ver­schwun­de­nen drei­hun­dert Fran­ken aus der Ta­sche ge­nom­men wor­den ist?«

      »Brief­ta­sche? Drei­hun­dert Fran­ken? War­ten Sie, Wacht­meis­ter. Ich muss mich zu­erst ori­en­tie­ren…«

      Stil­le. Eine Flie­ge summ­te dröh­nend. Stu­der hat­te sich kaum be­wegt, sein Kopf blieb ge­senkt.

      »Sie ha­ben recht… Frau Wit­schi gibt an, ihr Mann habe am Mor­gen zu ihr ge­sagt, er wer­de wahr­schein­lich am Abend hun­dert­fünf­zig Fran­ken mit­brin­gen. Es sei­en Rech­nun­gen fäl­lig. Hun­dert­fünf­zig Fran­ken habe er noch be­ses­sen… Te­le­fo­ni­sche Er­kun­di­gun­gen ha­ben er­ge­ben, dass wirk­lich zwei Kun­den des Wit­schi ihre Rech­nun­gen be­zahlt ha­ben. Die eine Rech­nung be­trug hun­dert Fran­ken, die an­de­re fünf­zig…«

      »Die eine hun­dert und die an­de­re fünf­zig? Merk­wür­dig…«

      »Wa­rum merk­wür­dig?«

      »Weil der Schlumpf drei Hun­der­ter­no­ten in sei­nem Be­sitz ge­habt hat. Eine, die er im ›Bä­ren‹ ge­wech­selt hat, und zwei, die ich ihm ab­ge­nom­men habe. Wo ist die Brief­ta­sche hin­ge­kom­men?«

      »Sie ha­ben recht, Wacht­meis­ter. Der Fall hat ei­ni­ge dunkle Punk­te…«

      »Dunkle Punk­te!« Stu­der zuck­te die Ach­seln.

      Ein un­ge­müt­li­cher Mann, dach­te der Un­ter­su­chungs­rich­ter. Er war ner­vös wie sei­ner­zeit beim Staats­ex­amen. Vi­el­leicht war die­ser Wacht­meis­ter für Schmei­che­lei emp­fäng­lich… Da­rum sag­te

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