Ausgewählte Erzählungen & Abenteuerromane (21 Titel in einem Band). Robert Louis Stevenson

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Ausgewählte Erzählungen & Abenteuerromane (21 Titel in einem Band) - Robert Louis Stevenson

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versuchte. Das war auch nicht zu verwundern, denn des Kapitäns Antwort war sehr kavaliermäßig gewesen, aber Silver lachte ihn laut aus und klopfte ihm auf den Rücken, wie wenn es lächerlich gewesen wäre, sich irgendwie zu beunruhigen. Dann trat er an die Palisaden heran, schwang seine Krücke herüber und stieg mit großer Kraft und Gewandtheit über den Zaun, auf dessen anderer Seite er wohlbehalten ankam. Ich will gestehen, daß ich von den Vorgängen zu sehr in Anspruch genommen war, um hier als Schildwache auch nur das geringste nützen zu können; ich hatte meine Schießscharte an der Ostwand verlassen und war hinter den Kapitän gekrochen, der sich jetzt auf die Schwelle gesetzt hatte. Er stützte seine Ellenbogen auf die Knie, seinen Kopf auf die Hände und sah auf die Quelle, die aus dem alten eisernen Kessel über den Sand sprudelte, und pfiff vor sich hin die Melodie: »Kommt, Jungens und Deerns!«

      Silver hatte eine harte Arbeit, den Abhang hinaufzukommen. Zwischen den dicken Baumstümpfen und in dem losen Sand des steilen Hügels war er mit seiner Krücke so hilflos wie ein steuerloses Schiff. Aber er quälte sich tapfer ab, ohne ein Wort zu sagen, und stand vor dem Kapitän, den er mit großem Anstand grüßte. Er hatte seinen besten Anzug angezogen: ein ungeheuer großer blauer Rock mit unzähligen Messingknöpfen ging ihm bis zu den Knien herunter; ein Dreimaster, der mit schöner Goldspitze besetzt war, saß ihm auf dem Hinterkopf.

      »So, da seid Ihr ja, mein Mann,« sagte der Kapitän, indem er aufblickte. »Es ist wohl am besten, wenn Ihr Platz nehmt.«

      »Sie wollen mich nicht hereinkommen lassen?« sagte Long John in vorwurfsvollem Tone. »Es ist ganz gewiß ein verdammt kalter Morgen, Herr, so im Freien auf dem Sande zu sitzen!«

      »Na, Silver,« sagte der Kapitän, »wenn es Euch genügt hätte, ein ehrlicher Mann zu bleiben, hättet Ihr in Eurer Kombüse sitzen können. Ihr seid selber schuld. Ihr seid entweder mein Schiffskoch – und als solcher wurdet Ihr anständig behandelt, – oder Ihr seid Käpp’n Silver, ein gemeiner Meuterer und Seeräuber, und dann könnt Ihr Euch hängen lassen!«

      »Nu, schön, Käpp’n,« antwortete der Schiffskoch, indem er sich auf den Sand setzte, wie ihm befohlen war. »Sie werden mir die Hand reichen müssen, damit ich wieder hoch komme, das ist alles. Ein recht nettes Plätzchen haben Sie ja hier. Ah, da ist ja Jim! Recht schönen guten Morgen, Jim. Doktor, Ihr ergebener Diener. Na, da sitzen ja alle beisammen, wie eine glückliche Familie sozusagen.«

      »Wenn Ihr mir etwas zu sagen habt, mein Mann, so ist es besser, Ihr sagt es!« sagte der Kapitän.

      »Da haben Sie recht, Käpp’n Smollett!« antwortete Silver. »Pflicht ist Pflicht – ganz gewiß. Na, nun hören Sie mal: da haben Sie gestern abend einen guten Streich gemacht. Ich glaube nicht, daß es ein guter Streich war. Einige von Ihnen sind recht fix mit einer Handspeiche! Und ich will auch nicht leugnen, daß einige von meinen Leuten einen kleinen Schrecken bekamen – vielleicht bekamen sie alle einen; vielleicht bekam ich selber einen Schrecken; vielleicht ist das der Grund, warum ich hier bin, um über Ihre Bedingungen zu sprechen. Aber merken Sie sich das, Kapitän: ich werde das nicht zum zweitenmal tun, zum Donnerwetter nochmal! Wir werden einen Postendienst einrichten müssen und ein bißchen sparsamer mit dem Rum umgehen. Vielleicht denken Sie, wir hätten alle einen kleinen sitzen gehabt. Aber ich sage Ihnen, ich war nüchtern! Ich war bloß hundemüde. Wenn ich eine Sekunde früher aufgewacht wäre, hätte ich Sie dabei abgefaßt. Er war noch nicht tot, als ich zu ihm kam.«

      »Nun?« sagte Kapitän Smollett, vollkommen gleichgültig und kalt.

      Jedes Wort, das Silver sagte, war für den Kapitän ein Rätsel; aber das hätte seinem Ton kein Mensch anmerken können. Übrigens begann mir eine Ahnung aufzugehen. Ben Gunns letzte Worte kamen mir in den Sinn. Ich begann zu vermuten, daß er den Piraten einen Besuch abgestattet hatte, während sie alle betrunken um ihr Feuer herumlagen, und ich rechnete mir mit Vergnügen aus, daß wir nur noch mit vierzehn Feinden zu tun hatten.

      »Na, also die Sache ist so,« sagte Silver: »Wir wollen den Schatz haben, und wir kriegen ihn – das ist für uns die Hauptsache! Sie möchten ebenso gerne Ihr Leben retten, denke ich mir; und das ist für Sie die Hauptsache. Sie haben eine Karte, nicht wahr?«

      »Das mag wohl sein,« antwortete der Kapitän.

      »Oh, Sie haben eine, das weiß ich! Sie brauchen nicht so kurz angebunden zu sein; das hat nicht den geringsten Zweck, darauf können Sie sich verlassen. Was ich meine, ist dies: wir wollen Ihre Karte haben! Nun, ich habe gegen Sie selber niemals etwas gehabt.«

      »Euer Reden hat bei mir gar keinen Zweck, mein Mann,« unterbrach ihn der Kapitän. »Wir wissen ganz genau, was Ihr zu tun beabsichtigt, und wir machen uns nichts daraus; denn jetzt, seht mal, könnt Ihr es nicht tun.«

      Und der Kapitän sah ihn dabei ganz ruhig an und stopfte sich eine Pfeife.

      »Wenn Abe Gray –« rief Silver laut.

      »Still davon!« rief Smollett; »Gray hat mir nichts gesagt, und ich hab’ ihn nichts gefragt. Und ich will Euch was sagen: ehe ich das täte, wollte ich lieber Euch und ihn und die ganze Insel in die Luft fliegen sehen! Also hierüber wißt Ihr nun Bescheid, mein Mann!«

      Dieser kleine Zornausbruch schien Silver etwas abzukühlen. Vorher hatte er sich beleidigt gestellt, aber jetzt nahm er sich zusammen und sagte:

      »Das kann ich mir wohl denken. Ich habe nicht darüber zu urteilen, was nach der Meinung solcher Herren wie Sie Schiffsrecht ist oder nicht. Und da ich sehe, daß Sie eine Pfeife rauchen wollen, Käpp’n, so will ich so frei sein, desgleichen zu tun.«

      Und er stopfte sich eine Pfeife und zündete sie an. So saßen die beiden Männer eine ganze Weile schweigend da und rauchten; zuweilen sahen sie einander ins Gesicht, zuweilen drückten sie ihren Tabak nieder, zuweilen beugten sie sich vor, um auszuspucken. Es war so gut wie eine Theatervorstellung, ihnen zuzusehen.

      »Na also,« fing endlich Silver wieder an, »die Sache ist so: Sie geben uns die Karte, damit wir den Schatz kriegen können, und schießen keine armen Matrosen mehr tot, und schneiden ihnen nicht mehr die Kehle ab, wenn sie schlafen. Also das ist Ihre Leistung, und dafür stellen wir Ihnen folgendes zur Wahl: entweder kommen Sie zu uns an Bord, sobald der Schatz auf dem Schiffe ist, und dann geb ich Ihnen mein Affy-Davi, auf mein Ehrenwort, Sie irgendwo, wo Sie Lust haben, heil und gesund an Land zu setzen, oder wenn Ihnen das nicht paßt, weil einige von meinen Leuten etwas rauh sind und eine alte Rechnung mit Ihnen haben, von wegen früheren Anschnauzens, dann können Sie auch hier bleiben. Wir wollen alle Vorräte mit Ihnen teilen, Mann für Mann; und ich gebe Ihnen mein Affy-Davy wie vorher, das erste Schiff, das ich treffe, anzurufen und hierher zu schicken, um Sie aufzunehmen. Nun, Sie werden zugeben, daß das ein Wort ist. Etwas Besseres können Sie ganz gewiß nicht erwarten! Und ich hoffe« – dabei erhob er seine Stimme –, »daß alle Leute in dem Blockhause hier meine Worte vernehmen; denn was ich einem sage, das gilt für alle!«

      Kapitän Smollett stand auf und klopfte seine Pfeife in seine linke Handfläche aus.

      »Ist das alles?« fragte er.

      »Mein allerletztes Wort, zum Donner!« antwortete John. »Weisen Sie es zurück, so werden Sie von mir nichts mehr zu sehen kriegen, außer Musketenkugeln!«

      »Sehr schön!« sagte der Kapitän. »Jetzt sollt Ihr hören, was ich Euch zu sagen habe: wenn ihr einer nach dem andern, einzeln, unbewaffnet hier heraufkommt, so will ich mich verpflichten, euch alle in Eisen zu legen und euch nach England zu bringen, damit ihr vor den Gerichtshof kommt. Wollt ihr das nicht – mein Name ist Alexander Smollett, ich habe hier meines Königs Flagge gehißt, und ich will euch alle zum Teufel schicken. Ihr könnt den Schatz nicht finden. Ihr könnt das Schiff nicht

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