Ausgewählte Erzählungen & Abenteuerromane (21 Titel in einem Band). Robert Louis Stevenson
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Nachwort des englischen Herausgebers
Wie Stevensons reifstes Werk entstand
Vorwort
In den öden Ausläufern eines schottischen Heidekirchspiels, weit außer Sichtweite von irgendeiner menschlichen Behausung, erhebt sich inmitten Heidekrauts ein Grabhügel sowie ein wenig östlich davon, dem Laufe des Baches folgend, ein Grabmal mit einigen halbverwitterten Versen. Dies ist der Ort, an dem Claverhouse mit eigener Hand den betenden Weber von Balweary erschoß, und die Sichel des Sensenmannes selbst hat gegen jenen einsamen Grabstein geklirrt. Weltgeschichte und lokale Geschichte haben demnach beide jenes kleine Tal zwischen den Bergen mit blutigem Finger gezeichnet; und seit der Cameronier dort vor zweihundert Jahren ohne Verständnis und ohne Bedauern, einer herrlichen Torheit zuliebe, sein Leben opferte, ist das Schweigen der Moore noch einmal durch den Knall von Feuerwaffen und den Schrei eines Sterbenden zerrissen worden.
Das Teufelsmoor war der alte Name des Ortes; jetzt aber heißt er Francies Grab. Eine Weile behaupteten die Leute, daß Francie umginge. Aggie Hogg traf ihn einmal in der Dämmerstunde neben dem Grabhügel; er sprach sie an, und seine Zähne klapperten dabei so stark, daß sie kein Wort verstehen konnte. Er verfolgte Rob Todd (falls auch nur eine Seele Robbie glauben könnte) eine halbe Meile weit mit jämmerlichen Bitten. Aber unser Zeitalter ist das Zeitalter der Skepsis; diese abergläubischen Verbrämungen bröckelten sehr bald ab, und nur die Tatsachen der Begebenheit selbst leben, dem Gebein eines dort verscharrten und halb ausgegrabenen Riesen gleich, nackt und unvollkommen im Gedächtnis der weit verstreuten Einwohner fort. Bis auf den heutigen Tag erzählt man an Winterabenden, wenn der Hagel gegen die Fenster prasselt und die Kühe im Stalle schlafen, unter dem andächtigen Schweigen der Jugend und den Zusätzen und Zurechtweisungen des Alters die Geschichte des Lord Oberrichters und seines Sohnes, des jungen Hermiston, der auf immer aus der Menschen Gesichtskreis schwand; der beiden Kirsties und der vier schwarzen Brüder von Cauldstaneslap sowie des »jungen Narren von Advokaten«, Frank Innes, der hinaus in diese Moore kam, seinem Verhängnis zu begegnen.
I
Leben und Sterben von Mrs. Weir
Der Lord Oberrichter galt in jenem Teile des Landes als ein Fremder; aber seine gnädige Frau Gemahlin war allen schon von Kindheit an bekannt, wie ihr Geschlecht vor ihr bereits bekannt gewesen war. Die alten »reitenden Rutherfords von Hermiston«, deren letzter Sproß sie war, standen von alters her in berüchtigtem Ansehen: lauter schlechte Nachbarn, schlechte Untertanen und schlechte Gatten, wenn auch tüchtige Hauswirte. Anekdoten gingen über sie um auf zwanzig Meilen in der Runde, und ihr Name fand sich sogar schwarz auf weiß in den Blättern unserer schottischen Geschichte, obschon nicht immer zu ihrem Ruhme. Der eine mußte zu Flodden den Staub küssen; ein anderer wurde von Jakob V. an seinem eigenen Burgtor aufgehängt; ein dritter sank tot um bei einem Zechgelage mit Tom Dalyell, während ein vierter (Johannas eigener Vater) als Vorsitzender des Höllenfeuerklubs starb, den er selbst begründet hatte. Damals wurden zu Crossmichael ob dieses Gottesurteils gar viele Köpfe geschüttelt, zumal der Mann bei groß und klein, bei den Frommen wie bei den Weltleuten einen verabscheuungswürdigen Ruf besaß. Im Augenblick seines Ablebens hatte er bei den Assisen nicht weniger als zehn Klagen angestrengt, von denen acht auf Unterdrückung der Schwachen abzielten. Das gleiche Schicksal erstreckte sich sogar auf seine Verwalter. Des Gutsherrn Inspektor, seine rechte Hand in manchem linkshändigen Geschäft, fiel eines Nachts vom Pferde und ertrank in dem Torfmoor bei Kye-skairs; ja selbst sein Anwalt sollte ihn nicht lange überleben (obwohl doch Advokaten bekanntlich mit langen Löffeln essen). Er starb ganz plötzlich an einem Schlagfluß.
In allen diesen Generationen, solange ein Rutherford mit seinen Burschen im Sattel saß oder im Wirtshaus sich raufte, gab es daheim auf der alten Burg oder in dem späteren Herrenhaus ein bleiches Ehegespons. Es scheint, daß diese lange Reihe von Märtyrerinnen sich in Geduld faßte, aber endlich sollte ihnen doch ihre Rache werden; das geschah in der Person ihrer letzten Nachkommin Johanna. Sie trug zwar den Namen der Rutherfords, aber sie war die Tochter der zitternden Ehefrauen. Anfänglich entbehrte auch sie nicht des Reizes. Die Nachbarn erinnerten sich, in ihr als Kind Züge eines schwachen, elfenhaften Mutwillens wahrgenommen zu haben, sanfte, kleine Widerspenstigkeiten, traurige, kurze Anfälle von Heiterkeit, ja selbst einen Morgenstrahl von Schönheit, dessen Verheißung jedoch niemals in Erfüllung ging. Sie welkte bereits im Blühen und erreichte ihre Reife (sei es durch die Sünden der Väter oder die Leiden ihrer Mütter) geknickt, ja gleichsam entblättert – ohne Lebenssaft, Kraft und Frohsinn; fromm, sorgenvoll, empfindsam, tränenreich und untüchtig.
Vielen war es ein Wunder, daß sie überhaupt geheiratet hatte – sie war so ganz aus dem Holz, aus dem man die alten Jungfern schnitzt. Aber ein Zufall warf sie Adam Weir, dem neugebackenen Lord Staatsanwalt, einem anerkannt tüchtigen, zu hohen Ehren emporgestiegenen Manne, in den Weg, diesem Sieger über viele Hindernisse, der sich jetzt in vorgerückten Jahren nach einer Gattin umzuschauen begann. Er war ein Mann, der mehr auf Gehorsam als auf Schönheit sah; dennoch schien er gleich auf den ersten Blick einen tiefen Eindruck von Johanna empfangen zu haben. »Wer ist die da?« fragte er seinen Wirt und fügte hinzu, als dieser ihm geantwortet hatte: »So, so; sie sieht recht sittsam aus. Sie erinnert mich –«, und nach einer Pause (die etliche die Kühnheit hatten, einer sentimentalen Erinnerung zuzuschreiben) forschte er weiter: »Ist sie religiös?« Kurz danach wurde er auf sein eigenes Gesuch ihr vorgestellt. Diese Bekanntschaft, die man nur profanerweise als eine Liebeswerbung bezeichnen kann, wurde von Mr. Weir mit gewohnter Energie gepflegt und lebte lange Zeit als Fabel, oder besser als Quelle von allerlei fabelhaften Gerüchten, im Parlamentshaus fort. Man schilderte, wie Weir, ganz rosig vom vielen Portwein, den Salon betrat, schnurstracks auf die Dame zusteuerte und sie mit allerhand Scherzen bestürmte, auf welche die verlegene Schöne nur mit einem qualvollen »Herrjeh, Mr. Weir!« oder »Liebe Zeit, Mr. Weir!« oder »Gott schütz uns, Mr. Weir!« zu antworten vermochte. Noch am Vorabend ihrer Verlobung wollte jemand, der sich dem zärtlichen Paare genaht, gehört haben, wie die Dame im Tone eines Menschen, der, nur um nicht zu schweigen, redet, fragte: »Großer Gott, Mr. Weir, und was tat man mit ihm?« Worauf die tiefe Stimme des Freiers antwortete: »Ihn henken, Madame, ihn henken!«
Die Motive auf beiden Seiten wurden viel erörtert. Mr. Weir muß seine Braut aus irgendeinem Grunde für eine sehr passende Lebensgefährtin gehalten haben; vielleicht gehörte er zu jener Klasse Männer, die einen schwachen Verstand bei Frauen schätzen – eine Auffassung, die schon in diesem Leben unfehlbar bestraft wird. Abstammung und Vermögen der Dame waren jedenfalls tadelfrei. Ihre räuberischen Ahnen und ihr händelsüchtiger Vater hatten Johanna mit Glücksgütern bedacht. Es waren sowohl weite Äcker wie bares Geld vorhanden, bereit, dem Gatten ein für allemal überantwortet zu werden, seinen Nachkommen Würde und ihm selbst einen Titel zu verleihen, wenn man ihn erst auf den Richterstuhl berufen hätte. Andererseits bestand für Johanna wohl ein gewisser Reiz der Neugier diesem unbekannten, männlichen Tier gegenüber, das sich ihr mit der Rauheit eines Bauern und dem Aplomb des Advokaten näherte. Da er einen so schneidenden Gegensatz zu allem bot, was sie kannte, liebte und verstand, mag er ihr sehr wohl als das Extrem, wenn auch nicht als das Ideal seines Geschlechts erschienen sein. Außerdem war er ein Mann, dem man so leicht keinen Korb geben konnte. Wenn auch nur wenig über vierzig, sah er zur Zeit seiner Heirat doch bereits älter aus;