Ein Gardeleutnant. Karl May
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Diese Frage war an einen langen, hageren Mann gerichtet, der mit am Tisch saß. Er trug zwar Zivil, war aber als Kapitän Parkert von der US-Marine in die Räume des Kasinos eingeführt worden. Er mochte bereits über sechzig zählen, hatte ein echtes Yankeegesicht und ließ verlauten, daß er vom Kongreß gesandt sei, um Einsicht in die Marineverhältnisse Deutschlands zu nehmen. Er war dem Gespräch erst mit Gleichgültigkeit gefolgt, hatte aber gelauscht, als er die Namen Olsunna und Sternau hörte. Eben wollte er antworten, als sich die Tür öffnete und ein Oberleutnant der Gardehusaren eintrat, der das Abzeichen des Adjutanten trug. Er hatte ein etwas echauffiertes Aussehen und warf seine Kopfbedeckung mit einer Miene auf den Stuhl, die deutlich zeigte, daß er sich in einer höchst verdrießlichen Stimmung befinde.
»Holla, Branden, was ist's?« fragte einer der Anwesenden. »Hat es etwa beim Alten eine Nase gegeben?« – »Das und noch anderes«, antwortete der Mann mit einem Fluch. – »Alle Teufel, also doch eine Nase! Weshalb?« – »Das Regiment reitet zu kurz, hat überhaupt keine schneidigen Offiziere mehr, so meinte der Oberst. Ich soll das den Herren privatim mitteilen, damit es ihnen nicht später öffentlich vor der Front gesagt werden muß.«
Damit warf er sich auf seinen Sitz, ergriff das erste beste Weinglas und stürzte es hinab.
»Keine schneidigen Offiziere mehr! Hölle und Teufel! Darf man uns so kommen! Das lassen wir nicht auf uns sitzen!«
So und ähnlich rief es rund im Kreis. Man fühlte sich allgemein empört über die private Nase, die nächstens vor der Front verlängert werden sollte. Der Adjutant nickte, stieß abermals einen Fluch aus und fügte hinzu:
»Wenn man da oben eine solche Meinung von uns hat, so ist es nicht zu verwundern, daß das Gardeoffizierskorps jetzt aus den obskursten Elementen recroutiert wird. Ich habe einen neuen Kameraden anzumelden.« – »Ah! Für die Gardehusaren? An des verstorbenen von Wiersbicky Stelle? Wer ist es?« – »Ein hessendarmstädtischer Linienleutnant« – »Alle Teufel! Einer von der Linie unter die Husaren! Und die Gardekavallerie?« – »Zweiundzwanzig Jahre alt« – »Unmöglich! Noch dazu aus Hessen! Der Henker hole die neuen Verhältnisse!« – »Und den Namen müßt ihr hören, den Namen!« – »Wie heißt er?« – »Helmers.« – »Helmers?« fragte Ravenow. »Kenne keine Familie Helmers, auf Ehre, von Helmers, hm, kenne wahrhaftig keine!« –»Ja, wenn es noch ein ›von Helmers‹ wäre«, meinte der Adjutant erbost. »Der Kerl heißt eben einfach Helmers.«
Da fuhren alle von ihren Sitzen empor.
»Ein Bürgerlicher? Nicht von Adel?« fragte es durcheinander.
Der Adjutant nickte.
»Ja, es scheint weit zu kommen mit der Gardekavallerie«, sagte er. »Wenn mir der Grimm in den Kopf steigt, so fordere ich meinen Abschied. Ich dachte, mich rührte der schönste Nervenschlag, als ich das Nationale dieses neuen sogenannten Kameraden einzutragen hatte. Der Kerl heißt Helmers, ist zweiundzwanzig Jahre alt, diente in der Darmstädter Linie und hat einen Vater, der Pächter eines kleinen Vorwerks bei Mainz ist und nebenbei auf irgendeinem alten Kahn als Steuermann funktioniert. Vermögen gibt es ganz und gar nicht, aber eine Protektion seitens des Großherzogs von Hessen scheint vorhanden zu sein. Der Major flucht über diesen Streich, den man uns spielt, der Oberst flucht, der General flucht, alle Exzellenzen fluchen, aber alles Fluchen hilft nichts, denn der neue Leutnant ist uns von hoher Seite her beschert worden. Man muß ihn nehmen und dulden.« – »Nehmen, aber keineswegs dulden!« rief Graf Ravenow. »Wenigstens was mich betrifft, so dulde ich keinen Bauern- oder Schifferjungen neben mir. Der Kerl muß aus dem Regiment hinausignoriert werden.« – »Allerdings, hinausignoriert, das sind wir einander schuldig«, stimmte ein anderer bei, und alle gaben ihm recht.
Man glaubt nicht, wie exklusiv der Korpsgeist bei der Kavallerie ist und bei der Gardekavallerie noch viel mehr. Dort hält ein jeder Offizier sich als zur Elite gehörig. Man unterscheidet sogar zwischen einem Ahnen mehr oder weniger, und darum war es leicht erklärlich, daß der Eintritt von Kurt Helmers eine ebenso tiefe wie allgemeine Entrüstung hervorrief. Man einigte sich wirklich zu dem festen, ausgesprochenen Entschluß, ihn aus dem Regiment hinaus zu maßregeln.
Dabei blieb es, ohne daß man beachtete, mit welchem Interesse der amerikanische Kapitän dem Lauf der Unterhaltung folgte. Zwar gab er sich Mühe, die außerordentliche Teilnahme, die er hegte, zu verbergen, aber trotz seines verschleierten Auges hätte man doch die Blitze bemerken können, die es zuweilen unter den dichten, buschigen Lidern hervorschoß.
»Und wann wird man diesen Phönix von einem Gardehusarenleutnant zu sehen bekommen?« fragte einer der Herren. – »Bereits heute«, antwortete der Adjutant. »Er hat heute seine Antrittsvisite zu machen, wird sich im Lauf des Nachmittags beim Obersten vorstellen, und dann werde ich wohl die Ehre haben, ihn des Abends hier den Kameraden zu präsentieren.« – »So erscheinen wir heute nicht«, meinte Ravenow. – »Warum nicht, lieber Ravenow? Es würde dies zu nichts führen, denn die Stunde kommt doch, in der wir gezwungen sind, Stellung gegen ihn zu nehmen. Besser ist es auf jeden Fall, wir versammeln uns hier vollzählig und zeigen ihm sofort offen, was er von uns zu erwarten hat.«
Dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen, und so zog sich gegen den jungen Ankömmling ein Gewitter herauf, von dem er keine Ahnung hatte.
3. Kapitel.
Kurt befand sich in Berlin. Der Herzog von Olsunna hatte Gründe gefunden, seine Einsamkeit auf Schloß Rheinswalden zuweilen zu unterbrechen, und sich darum in Berlin das Palais gekauft, um einige Wochen hier zuzubringen. Er befand sich seit einer Woche zum ersten Male in der Residenz, begleitet von seiner Gemahlin, der früheren Frau Sternau. Gestern war Otto von Rodenstein mit seiner Frau, der Tochter des Herzogs, angekommen, und beide hatten Röschen mitgebracht! Erst heute morgen war es Kurt Helmers möglich gewesen, von Darmstadt nach Berlin zu kommen. Er war kurz vorher im Palais abgestiegen, ehe die Herzogin mit Röschen von ihrer Spazierfahrt zurückgekehrt war.
Wir werden baldigst erfahren, wie sich das Leben der so befreundeten Familien in Rheinswalden gebildet hatte, und müssen nur erwähnen, daß Kurt sehr oft zu militärischen Reisen attachiert worden war und seit einigen Jahren Röschen gar nicht gesehen hatte. Er war erst seit einigen Tagen aus der Türkei zurückgekehrt und hatte, von dienstlichen Pflichten zurückgehalten, noch nicht einmal Zeit gefunden, nach Rheinswalden zu kommen. Und als er dann die Mutter und seinen alten Hauptmann von Rodenstein besuchte, hörte er, daß Röschen bereits nach Berlin abgereist sei.
Jetzt stand er in seinem Zimmer im Palais des Herzogs und legte die Paradeuniform an, um seine dienstlichen Besuche zu beginnen. Der Husarenanzug stand ihm ausgezeichnet Aus dem vielversprechenden Knaben war ein prächtiger junger Mann geworden. Zwar besaß seine Gestalt keine allzu große Ausdehnung in die Länge oder Breite, aber man sah es den kraftvollen Formen an, daß seine Muskeln und Nerven sich in einer ungewöhnlichen Schulung befunden hatten. Von dem tiefgebräunten unteren Teil seines Gesichtes stach die hohe, breite, elfenbeinweiße Stirn in eigentümlicher, aber keineswegs unschöner Weise ab, und wenn seine Oberlippe auch erst nur den Anflug eines Bärtchens zeigte, so lag über seinen Zügen doch ein hoher, männlicher Ernst ausgebreitet der ganz geeignet war, vor dem jugendlichen Offizier Respekt einzuflößen. Wer in seine offenen, intelligenten Augen blickte, kam sicherlich zu der Überzeugung, daß er keinen gewöhnlichen Durchschnittsmenschen, sondern einen Jüngling vor sich habe, der alle Eigenschaften besaß, als Mann Ungewöhnliches zu leisten.
Da rollte die Equipage vor das Tor. Kurt trat an das Fenster, um einen Blick hinauszuwerfen, aber er konnte nur noch den Schatten der im Eingang verschwindenden Damen erkennen.
»Röschen«, sagte er,