Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi
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Читать онлайн книгу Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi страница 24
»Denken Sie daran, daß Sie für alle Folgen verantwortlich sein werden«, sagte Fürst Wassil mit Strenge. »Sie wissen nicht, was Sie tun!«
»Nichtswürdiges Weib!« schrie das Fräulein, stürzte auf die Fürstin zu und entriß ihr die Mappe. Fürst Wassil ließ Kopf und Arme sinken.
In diesem Augenblick öffnete sich diese schreckliche Tür, nach welcher Peter so lange geblickt hatte, plötzlich mit Geräusch und schlug an die Wand, und die mittlere Fürstin stürzte heraus mit gerungenen Händen.
»Was machen Sie nur?« rief sie. »Er stirbt, und Sie lassen mich allein!«
Die ältere Fürstin ließ die Mappe fallen, Anna Michailowna bückte sich rasch, ergriff den Gegenstand des Streites und eilte in das Schlafzimmer. Die ältere Fürstin und Fürst Wassil folgten ihr nach, nachdem sie sich etwas gefaßt hatten. Nach einigen Minuten kam zuerst das ältere Fräulein heraus mit bleichem, zornigem Gesicht und biß sich auf die Unterlippe. Beim Anblick Peters drückte ihr Gesicht heftige Wut aus.
»Nun prahlen Sie nur!« sagte sie. »Das haben Sie erwartet!« Schluchzend bedeckte sie ihr Gesicht mit dem Taschentuch und verließ das Zimmer . Gleich darauf kam Fürst Wassil heraus, schwankte zu dem Diwan, auf welchem Peter saß, und fiel darauf nieder, indem er die Augen mit der Hand bedeckte. Peter bemerkte, daß er bleich war, und daß sein Unterkiefer zitterte und klapperte wie im Fieberfrost.
»Ach, mein Freund«, sagte er, indem er Peter am Ellbogen ergriff, mit einer Stimme voll Aufrichtigkeit und Schwäche, wie sie Peter niemals an ihm bemerkt hatte, »wieviel Sünde und Trug nehmen wir auf uns, und wozu? Ich bin ein Sechziger, mein Freund! … Mit dem Tod ist alles aus, alles! Der Tod ist entsetzlich!« – Er schluchzte.
Zuletzt kam die Fürstin Drubezkoi heraus und näherte sich Peter mit leisen, langsamen Schritten.
»Peter!« sagte sie.
Er blickte sie fragend an. Sie küßte ihn auf die Stirn und schwieg.
»Er ist nicht mehr!«
Peter blickte sie über die Brille an.
»Kommen Sie, ich werde Sie begleiten! Suchen Sie zu weinen! Nichts erleichtert so das Herz als Tränen!«
Sie führte ihn in den dunklen Saal, und Peter war erfreut, daß kein Neugieriger dort sein Gesicht sah. Die Fürstin entfernte sich auf kurze Zeit, und als sie zurückkehrte, fand sie ihn fest eingeschlafen.
Am andern Morgen sagte die Fürstin zu Peter: »Ja, mein Freund, das ist ein großer Verlust für uns alle, nicht nur für Sie, aber Gott wird Ihnen beistehen. Sie sind jung und, wie ich hoffe, der Besitzer kolossaler Reichtümer. Das Testament ist noch nicht eröffnet. Ich kenne Sie genug, um überzeugt zu sein, daß das Ihnen nicht den Kopf verdrehen wird. Aber neue Verpflichtungen sind Ihnen auferlegt, Sie müssen ein Mann sein.« Peter schwieg.
»Später werde ich Ihnen vielleicht alles erzählen. Wäre ich nicht dort gewesen, so wäre Gott weiß was geschehen! Sie wissen, daß mein Onkel mir noch vorgestern versprach, Boris nicht zu vergessen, aber er hatte keine Zeit mehr, etwas für ihn zu tun. Ich hoffe, mein Freund, Sie werden den Wunsch Ihres Vaters erfüllen.«
Peter verstand nichts von allem. Schweigend und errötend blickte er die Fürstin an. Die Fürstin fuhr darauf zu Rostows und legte sich schlafen.
Am anderen Morgen erzählte sie Rostows und allen Bekannten die Vorfälle beim Tode des Grafen Besuchow. Sie sagte, der Graf sei gestorben, wie auch sie zu sterben wünsche, das letzte Zusammensein von Vater und Sohn sei so rührend gewesen, daß sie nicht ohne Tränen daran denken könne, und sie wisse nicht, wer sich in diesen schrecklichen Augenblicken besser benommen habe, der Vater, welcher alle bis zum letzten Augenblick erkannte und so rührende Worte zu seinem Sohne sprach, oder Peter, der seinen Gram zu verbergen suchte, um den sterbenden Vater nicht zu betrüben. »Es ist herzerhebend, solche Menschen zu sehen wie den alten Grafen und seinen würdigen Sohn«, sagte sie. Von dem Benehmen der Fürstinnen und des Fürsten Wassil erzählte sie auch, aber unter dem Siegel der Verschwiegenheit und nur flüsternd.
22
In Lysy Gory, dem Gut des Fürsten Nikolai Andrejewitsch Bolkonsky, wurde jeden Tag die Ankunft des jungen Fürsten mit seiner Frau erwartet. Der General Fürst Nikolai Andrejewitsch mit dem Beinamen »der preußische König«, lebte mit seiner Tochter Marie und deren Gesellschafterin, Mademoiselle Bourienne, beständig auf dem Gute, ohne es jemals zu verlassen. Nach seiner Ansicht gab es nur zwei Quellen menschlicher Laster, den Müßiggang und den Aberglauben, und nur zwei Tugenden, Tätigkeit und Verstand. Er leitete selbst die Erziehung seiner Tochter, und um in ihr die beiden hauptsächlichsten Tugenden zu entwickeln, gab er ihr Unterricht in der Algebra und Geometrie und regelte durch strenge Verfügungen ihre ganze Lebensweise. Er selbst war beständig beschäftigt. Er schrieb seine Memoiren, löste Aufgaben aus der höheren Mathematik, drechselte Tabaksdosen an der Drehbank oder arbeitete im Garten und beaufsichtigte den Bau von Gebäuden aller Art. Da die wichtigste Vorbedingung für diese Tätigkeit die Ordnung ist, so war auch seine Lebensweise mit peinlicher Genauigkeit geregelt.
Am Tage der Ankunft des jungen Paares erschien Fürstin Marie wie gewöhnlich zur Morgenlektion. Jeden Morgen erschien sie so im Vorsaal mit einem Stoßgebet, daß die Lektion gut verlaufen möge.
Der alte, gepuderte Diener, der im Vorsaal saß, erhob sich und sagte flüsternd: »Belieben Sie einzutreten!« Durch die Tür hörte man das eintönige Summen einer Drehbank. Die junge Fürstin öffnete die Tür und blieb auf der Schwelle stehen. Der Fürst arbeitete an der Drehbank, blickte sich um und arbeitete weiter.
Das große Kabinett war voll von Sachen, welche augenscheinlich in beständigem Gebrauch waren. Auf einem großen Tisch lagen Bücher und Pläne, hohe Glasschränke mit Büchern standen an der Wand. Neben einem großen Stehpult, auf dem ein offenes Heft lag, stand die Drehbank mit Werkzeugen und ringsumher lagen Drehspäne. Alles deutete auf beständige vielseitige Tätigkeit. In allen Bewegungen des Fürsten sah man noch die ausdauernde Kraft frischen Alters. Er nahm den Fuß von dem Trittbrett der Drehbank, wischte den Meißel ab, warf ihn in eine lederne Tasche, welche daran angebracht war, trat an den Tisch und rief die Tochter zu sich. Er reichte ihr seine noch unrasierte Wange und sagte in strengem Ton, aber mit zärtlichem Blick: »Bist du gesund? Nun, dann setze dich! Halt! Hier ist ein Brief für dich«, sagte plötzlich der Alte und warf ein von Damenhand beschriebenes Kuvert auf den Tisch.
Eifrig und errötend griff sie danach.
»Von Heloise?« sagte der Fürst mit kühlem Lächeln.
»Ja«, erwiderte die Fürstin mit schüchternem Blick.
»Nun, zwei Briefe werde ich durchlassen, aber den dritten lese ich!« sagte der Fürst mit Strenge. »Ich fürchte, da wird viel Unsinn geschrieben! Den dritten lese ich!«
»Lesen Sie auch gleich diesen da, Väterchen«, erwiderte die Fürstin, noch tiefer errötend, und reichte ihm den Brief.
»Den dritten, habe ich gesagt, den dritten.« Er schob den Brief zurück, stützte sich auf den Tisch und öffnete ein Heft mit geometrischen Figuren.
»Nun,