Martin Luther. Martin Luther
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Aus demselben Kreis jener Devotio moderna stammt ein anderes Werk, das der junge Erfurter Augustiner hoch schätzte, nämlich das sogenannte Rosetum geistlicher Übungen des Mauburnus (Johannes Mombaer aus Brüssel). Auf diese Weise gewann Luther Einblick in die meditative Praxis vom ältesten Christentum bis zu den Mystikern und Mystikerinnen des Mittelalters. Und das kann nicht die einzige Quelle dieser Art gewesen sein. Wesentlich ist die Gebetspraxis als solche, die durch den gottesdienstlichen Vollzug Tag für Tag und von Gebetszeit zu Gebetszeit im Kloster geübt wird. Man sollte daher nicht vergessen, dass der Initiator der Reformation volle fünfzehn Jahre lang Mönch gewesen ist! Nun fragt es sich: Wie passen Mystik und reformatorische Erkenntnis bei Luther biografisch betrachtet zusammen? – Es ist der in die Tiefe der Gottesferne und der daraus sich ergebenden Verzweiflung hineingestürzte, mit der iustitia Dei, der Gerechtigkeit Gottes, ringende Christ, der keinen Ausweg findet. Dieser Situation gibt er Ausdruck in den Versen aus seinem Lied „Nun freut euch lieben Christen g’mein“:
„Die Angst mich zur Verzweiflung trieb, dass nichts denn Sterben bei mir blieb / zur Höllen musst ich sinken.“
Von seinem darin sich ausdrückenden Sündenbewusstsein gepeinigt, wendet sich der geängstigte Mönch an Johannes von Staupitz, den für ihn zuständigen Ordensoberen, der selbst durch mystische Erfahrung geprägt ist. Und wenn Luther rückblickend sagt, er habe seinen entscheidenden Erkenntnisgewinn, seinen Existenzgewinn als das Sein in Christus, allein ihm zu verdanken, dann wird deutlich, welche seelsorgerliche Hilfe er von dem älteren Mitbruder empfangen haben muss. Das konnte Luther nur deshalb bekennen, weil Johannes von Staupitz seinen jungen Ordensbruder auf Christus – solus Christus (allein Christus) – hingewiesen hat, sodass er sagen konnte: Allein Christus ist unsere Gerechtigkeit, und zwar nicht etwa in Gestalt einer unerfüllbaren Forderung religiöser Werke, die die mittelalterliche Kirche von jedem Einzelnen verlangt. Vielmehr ist es die bereits gegebene, als ein Geschenk zu empfangende unverdienbare Gnade Gottes, die das Heil verbürgt. Vereinfacht ausgedrückt und auf die neutestamentliche Quelle bezogen, heißt das: Es ist die Christus-Mystik des Apostels Paulus, die für den werdenden Reformator bestimmend wird, sodass er als Ergebnis seines religiösen Erkenntnisringens sein programmatisches sola fide (allein aus Glauben) formulieren kann.12
Zeitlich befinden wir uns in den Jahren zwischen Luthers Rom-Reise (1510/11) und seinem sogenannten Thesenanschlag (1517). Zum Doktor der Hl. Schrift (1512) promoviert, wird er Theologieprofessor in der neu gegründeten Universität des kursächsischen Städtchens Wittenberg. Zu seinen Lehrverpflichtungen gehören die großen exegetischen Vorlesungen über die Psalmen, den Römerbrief, den Galater- und Hebräerbrief. Darüber ist nicht zu vergessen, dass zur selben Zeit eine kleine anonyme Schrift in seine Hände gelangt, die Theologia Deutsch. Man führt sie auf einen Kustos der Deutschherren zu Sachsenhausen bei Frankfurt zurück, daher bisweilen auch Der Frankfurter genannt.13 Eine der ersten Publikationen des Reformators ist somit eine mystische Schrift deutscher Sprache! Das will mit Blick auf das ganze weitere Schaffen des Wittenberger Reformators bedacht sein. Denn er hat diese Theologia Deutsch als Erster – 1516 und in erweiterter Form 1518, also ein Jahr vor und ein Jahr nach Veröffentlichung seiner revolutionären 95 Thesen – herausgegeben. Der katholische Theologe Josef Bernhart bemerkt einmal: „Die junge Reformation fand in dem Büchlein, was sie brauchte: eine lebendig warme Frömmigkeit, die Theologie trieb nicht um der Theologie, sondern um der Frömmigkeit willen.“14 – Luther hat es ein „geistlich edles Büchlein“ genannt. Es handle von dem, was der alte und der neue Mensch sei, wie der alte Adam in uns sterben und Christus als der neue Adam in uns auferstehen soll. Es geht also um den mystischen Tod und um das geistliche Auferwecktwerden. Die beiden Vorworte, die der Wittenberger Augustiner als Herausgeber seinen Editionen vorangestellt hat, stellen eine einzige Rühmung dar. Denn darin heißt es: Von der Bibel und den Schriften des Kirchenvaters Augustinus abgesehen habe er bis dahin kein Buch in die Hand bekommen, daraus er mehr an Gotteserkenntnis geschöpft habe. Und es sei nur zu wünschen, dass noch mehr solcher Bücher veröffentlicht werden.
Man wird sich nicht damit aufhalten müssen, dass diese hohe Rühmung aus heutiger Sicht gewiss eine Überbewertung darstellt. Der Zeitpunkt und der Lebensaugenblick des mit der Gerechtigkeit Gottes ringenden Ordensmannes sind zu bedenken. Feststeht immerhin, dass die Theologia Deutsch als eine Grundschrift der volkssprachlichen Mystik nach der Art der Predigten eines Johannes Tauler in einem entscheidenden Augenblick Luthers Aufmerksamkeit geweckt hat. Es handelte sich um die Jahre um und nach 1510, als der Mönch und Theologe den theologischen Klärungsprozess durchlief, der ihn zur reformatorischen Erkenntnis in Wort und Schrift und Tat geführt hat. Es ist jene Erkenntnis, die in den „Glauben ohne des Gesetzes Werke“ (sola fide) einmündet. Es war der katholische Kirchenhistoriker Hubert Jedin, der darauf hinwies, dass dieser Glaube bei Luther ausgesprochen mystische Züge trägt. Es ist jene Mystik, die mit dem Begriff des raptus ausgedrückt wird; gemeint ist ein „Hineingerissenwerden des Geistes in die klare Erkenntnis des Glaubens“. Da ist der ganze Mensch beteiligt, der mit Gott konfrontierte Mensch in der Tiefe seiner Existenz.
3. LUTHERS EINSCHÄTZUNG DER GLAUBENSMYSTIK
Die Bedeutung der Mystik im theologischen Denken Luthers ist von der Luther-Forschung je nach der eingenommenen Perspektive unterschiedlich bewertet worden. Eine Reihe von Studien zeigt, dass die Gesamtkonzeption der zur Reformation führenden Theologie des jungen Luther bis in seine spätere Wirksamkeit hinein mystisch geprägt ist.15 Immer wieder wird die für ihn wichtige Rolle des Eckhart-Schülers Johannes Tauler und der Theologia Deutsch hervorgehoben. Man denke nur daran, wie oft gerade dieses Büchlein bis heute wieder und wieder herausgegeben und interpretiert worden ist. Denn die Erfahrung (experientia) ist es, auf die es ankommt; sie macht einen Theologen aus! Das ist Luthers mehrfach ausgesprochene Überzeugung. Diese Einsicht machten sich alsbald Luthers Anhänger und Nachfolger nicht weniger zu eigen als ein so erbitterter Widersacher wie Thomas Müntzer (gest. 1525). Von ihm wird noch zu sprechen sein. Man darf nur nicht verharmlosen, dass der werdende Reformator als Mönch durchaus zwiespältige Erfahrungen gemacht hat, namentlich mit dem spekulativen Zug der Mystik, an ihrer Spitze der anonyme, von der mittelalterlichen Theologie und Mystik hoch geachtete Dionysios Areopagita16 (um 500), der aus der frömmigkeitsgeschichtlichen Tradition der Christenheit nicht wegzudenken ist, ebenso wenig wie der Franziskaner Bonaventura auf dem von ihm gedeuteten Pilgerweg zu Gott.17 Wenn diese Männer und nicht zuletzt die von besonderen Heimsuchungen ergriffenen Frauen von der Vereinigung der Menschenseele mit dem Ewigen (unio mystica) schrieben, so habe dies den um die Rechtfertigung vor Gott ringenden Augustinermönch, wie er sagt, „fast toll“ gemacht! Seine religiöse Ergriffenheit erwuchs nicht so sehr aus außerordentlichen Erlebnissen; sie gründet sich auf das Wort der Schrift.
Gleichwohl hat Luther selbst spirituelle Höhenerfahrungen aufzuweisen. Zu ihnen hat er sich gelegentlich ausdrücklich bekannt. Und doch muss man sagen: Diese Art des Innewerdens der Gottesnähe konnte sein Weg nicht sein. Ihm konnte es nicht darum gehen, in die Höhe spiritueller Ausnahmezustände zu gelangen, sondern ihm war von entscheidender Wichtigkeit, dass Gott in Jesus Christus den Weg in die Tiefe gegangen ist. Das ist das Eine. – Auf der anderen Seite aber haben wir zahlreiche Zeugnisse dafür, wie Luther sich immer wieder der Aussageweise der Mystik bedient, um das Wesen seines Christusglaubens verständlich zu machen, beispielsweise in seinen Vorlesungen über den Hebrärerbrief. Für ihn war der Christusglaube in seiner Hochform nach eigenem Bekunden „ein Hinweggenommenwerden [raptus] und ein Entrücktwerden [translatio]“.
Nach seiner Überzeugung werde Christus