Aphorismen zur Lebensweisheit. Arthur Schopenhauer
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Still to ourselves in ev’ry place consign’d,
Our own felicity we make or find.
Das Beste und Meiste muß daher Jeder sich selber seyn und leisten. Je mehr nun Dieses ist, und jemehr demzufolge er die Quellen seiner Genüsse in sich selbst findet, desto glücklicher wird er seyn. Mit größtem Rechte also sagt Aristoteles: η ευδαιμονια των αυταρκων εστι (Eth. Eud. VII, 2), zu deutsch: das Glück gehört Denen, die sich selber genügen. Denn alle äußern Quellen des Glückes und Genusses sind, ihrer Natur nach, höchst unsicher, mißlich, vergänglich und dem Zufall unterworfen, dürften daher, selbst unter den günstigsten Umständen, leicht stocken; ja, Dieses ist unvermeidlich, sofern sie doch nicht stets zur Hand seyn können. Im Alter nun gar versiegen sie fast alle nothwendig: denn da verläßt uns Liebe, Scherz, Reiselust, Pferdelust und Tauglichkeit für die Gesellschaft: sogar die Freunde und Verwandten entführt uns der Tod. Da kommt es denn, mehr als je, darauf an, was Einer an sich selber habe. Denn Dieses wird am längsten Stich halten. Aber auch in jedem Alter ist und bleibt es die ächte und allein ausdauernde Quelle des Glücks. Ist doch in der Welt überall nicht viel zu holen: Noth und Schmerz erfüllen sie, und auf Die, welche diesen entronnen sind, lauert in allen Winkeln die Langeweile. Zudem hat in der Regel die Schlechtigkeit die Herrschaft darin und die Thorheit das große Wort. Das Schicksal ist grausam und die Menschen sind erbärmlich. In einer so beschaffenen Welt gleicht Der, welcher viel an sich selber hat, der hellen, warmen, lustigen Weihnachtsstube, mitten im Schnee und Eise der Decembernacht. Demnach ist eine vorzügliche, eine reiche Individualität und besonders sehr viel Geist zu haben ohne Zweifel das glücklichste Loos auf Erden; so verschieden es etwan auch von dem glänzendesten ausgefallen seyn mag. Daher war es ein weiser Ausspruch der erst 19jährigen Königin Christine von Schweden, über den ihr noch bloß durch einen Aufsatz und aus mündlichen Berichten bekannt gewordenen Kartesius, welcher damals seit 20 Jahren in der tiefsten Einsamkeit, in Holland, lebte: Mr. Descartes est le plus heureux de tous les hommes, et sa condition me semble digne d’envie. (Vie de Descartes par Baillet, Liv. VII, ch. 10.) Nur müssen, wie es eben auch der Fall des Kartesius war, die äußern Umstände es so weit begünstigen, daß man auch sich selbst besitzen und seiner froh werden könne; weshalb schon Koheleth (7, 12) sagt: Weisheit ist gut mit einem Erbgut, und hilft, daß Einer sich der Sonne freuen kann. Wem nun, durch Gunst der Natur und des Schicksals, dieses Loos beschieden ist, der wird mit ängstlicher Sorgfalt darüber wachen, daß die innere Quelle seines Glückes ihm zugänglich bleibe; wozu Unabhängigkeit und Muße die Bedingungen sind. Diese wird er daher gern durch Mäßigkeit und Sparsamkeit erkaufen; um so mehr, als er nicht, gleich den Andern, auf die äußern Quellen der Genüsse verwiesen ist. Darum wird die Aussicht auf Aemter, Geld, Gunst und Beifall der Welt, ihn nicht verleiten, sich selber aufzugeben, um den niedrigen Absichten, oder dem schlechten Geschmacke, der Menschen sich zu fügen. Vorkommenden Falls wird er es machen wie Horaz in der Epistel an den Mäcenas (Lib. I, ep. 7). Es ist eine große Thorheit, um nach Außen zu gewinnen, nach Innen zu verlieren, d. h. für Glanz, Rang, Prunk, Titel und Ehre, seine Ruhe, Muße und Unabhängigkeit ganz oder großen Theils hinzugeben. Dies hat aber Goethe gethan. Mich hat mein Genius mit Entschiedenheit nach der andern Seite gezogen.
Die hier erörterte Wahrheit, daß die Hauptquelle des menschlichen Glückes im eigenen Innern entspringt, findet ihre Bestätigung auch an der sehr richtigen Bemerkung des Aristoteles, in der Nikomachäischen Ethik (I, 7; et VII, 13, 14), daß jeglicher Genuß irgend eine Aktivität, also die Anwendung irgend einer Kraft voraussetzt und ohne solche nicht bestehn kann. Diese Aristotelische Lehre, daß das Glück eines Menschen in der ungehinderten Ausübung seiner hervorstechenden Fähigkeit bestehe, giebt auch Stobäos wieder in seiner Darstellung der peripatetischen Ethik (Ecl. eth. II, c. 7, p. 268—278), z. B. ενεργειαν ειναι την ευδαιμονιαν κατ αρετην, εν πραξεσι προηγουμεναις κατ ευχην (felicitatem esse functionem secundum virtutem, per actiones successus compotes); auch mit der Erklärung, daß αρετη jede Virtuosität sei. Nun ist die ursprüngliche Bestimmung der Kräfte, mit welchen die Natur den Menschen ausgerüstet hat, der Kampf gegen die Noth, die ihn von allen Seiten bedrängt. Wenn aber dieser Kampf ein Mal rastet, da werden ihm die unbeschäftigten Kräfte zur Last: er muß daher jetzt mit ihnen spielen, d. h. sie zwecklos gebrauchen: denn sonst fällt er der andern Quelle des menschlichen Leidens, der Langenweile, sogleich anheim. Von dieser sind daher vor Allen die Großen und Reichen gemartert, und hat von ihrem Elend schon Lukretius eine Schilderung gegeben, deren Treffendes zu erkennen man noch heute, in jeder großen Stadt, täglich Gelegenheit findet:
Exil saepe foras magnis ex aedibus ille,
Esse domi quem pertaesum est, subitoque reventat;
Quippe foris nihilo melius qui sentiat esse.
Currit, agens mannos, ad villam praecipitanter,
Auxilium tectis quasi ferre ardentibus instans:
Oscitat extemplo, tetigit quum limina villae;
Aut abit in somnum gravis, atque oblivia quaerit;
Aut etiam properans urbem petit, atque revisit.
Bei diesen Herren muß in der Jugend die Muskelkraft und die Zeugungskraft herhalten. Aber späterhin bleiben nur die Geisteskräfte: fehlt es dann an diesen, oder an ihrer Ausbildung und dem angesammelten Stoffe zu ihrer Thätigkeit; so ist der Jammer groß. Weil nun der Wille die einzige unerschöpfliche Kraft ist; so wird er jetzt angereizt durch Erregung der Leidenschaften, z. B. durch hohe Hasardspiele, dieses wahrhaft degradirende Laster. – Ueberhaupt aber wird jedes unbeschäftigte Individuum, je nach der Art der in ihm vorwaltenden Kräfte, sich ein Spiel zu ihrer Beschäftigung wählen: etwan Kegel, oder Schach; Jagd, oder Malerei; Wettrennen, oder Musik; Kartenspiel, oder Poesie; Heraldik, oder Philosophie, u. s. w. Wir können sogar die Sache methodisch untersuchen, indem wir auf die Wurzel aller menschlichen Kraftäußerungen zurückgehn, also auf die drei physiologischen Grundkräfte, welche wir demnach hier in ihrem zwecklosen Spiele zu betrachten haben, in welchem sie als die Quellen dreier Arten möglicher Genüsse auftreten, aus denen jeder Mensch, je nachdem die eine, oder die andere jener Kräfte in ihm vorwaltet, die ihm angemessenen erwählen wird. Also zuerst, die Genüsse der Reproduktionskraft: sie bestehn im Essen, Trinken, Verdauen, Ruhen und Schlafen. Diese werden daher sogar ganzen Völkern als ihre Nationalvergnügungen von den andern nachgerühmt. Zweitens, die Genüsse der Irritabilität: sie bestehn im Wandern, Springen, Ringen, Tanzen, Fechten, Reiten und athletischen Spielen jeder Art, wie auch in der Jagd und sogar in Kampf und Krieg. Drittens, die Genüsse der Sensibilität: sie bestehn im Beschauen, Denken, Empfinden, Dichten, Bilden, Musiciren, Lernen, Lesen, Meditiren, Erfinden, Philosophiren u. s. w. – Ueber den Werth, den Grad, die Dauer jeder dieser Arten der Genüsse lassen sich mancherlei Betrachtungen anstellen, die dem Leser selbst überlassen bleiben. Jedem aber wird dabei einleuchten, daß unser, allemal durch den Gebrauch der eigenen Kräfte bedingter Genuß und mithin unser, in dessen häufiger Wiederkehr bestehendes Glück, um so größer seyn wird, je edlerer Art die ihn bedingende Kraft ist.
Den Vorrang, welchen, in dieser Hinsicht, die Sensibilität, deren entschiedenes Ueberwiegen