Gesammelte Romane und Erzählungen von Robert Louis Stevenson. Robert Louis Stevenson
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Читать онлайн книгу Gesammelte Romane und Erzählungen von Robert Louis Stevenson - Robert Louis Stevenson страница 43
»Sie können den Leib töten, Herr Hands, aber nicht den Geist; das müßten Sie doch schon wissen! O’Brien da ist in einer anderen Welt und sieht vielleicht zu, was wir hier treiben.«
»Aha! Na, das ist schade – sieht aus, als ob es Zeitverschwendung wäre, Leute totzuschlagen. Indessen dennoch – Geister gelten nicht viel, nach allem, was ich gesehen habe. Ich will es auf die Geister ankommen lassen, Jim. Aber, danke für die Auskunft! Möchtest du nun so gut sein, mal in die Kajüte hinunterzugehen und mir ein – ach, Himmeldonnerwetter, ich kann nicht auf den Namen kommen; na, einerlei; hole mir eine Flasche Wein, Jim, einerlei, wie er heißt. Dieser Branntwein hier ist zu stark für meinen Kopf.«
Nun, diese Redensarten des Schaluppmeisters kamen mir unnatürlich vor; und daß er lieber Wein als Branntwein haben wollte, davon glaubte ich ihm kein Wort. Die ganze Geschichte war bloß ein Vorwand. Er wünschte, daß ich vom Deck herunterginge – soviel war klar; aber welchen Zweck er damit verfolgte, das konnte ich mir durchaus nicht vorstellen.
Seine Augen vermieden mich; sie fuhren hin und her, auf und ab – bald mit einem Blick nach dem Himmel hinauf, bald mit einem schnellen Seitenblick auf O’Briens Leiche. Dabei lächelte er fortwährend und leckte sich mit einer so verlegenen Miene die Lippen, ein Kind hätte merken müssen, daß er eben eine Täuschung vorhatte. Ich war aber schnell mit meiner Antwort bei der Hand, denn ich sah sofort, wo mein Vorteil lag; einem so dummen Menschen gegenüber konnte ich meinen Verdacht leicht verbergen.
»Ein bißchen Wein,« sagte ich. »Das ist auch viel besser. Wollen Sie weißen oder roten haben?«
»Nu, ich denke, das ist mir so ziemlich Wurscht, Schiffsmaat! Wenn er nur stark ist und recht reichlich – das andere ist einerlei!«
»Schön! Ich will Ihnen Portwein bringen, Herr Hands. Aber ich werde danach suchen müssen.«
Hierauf polterte ich, so laut ich konnte, die Kajütstreppe hinunter, streifte meine Schuhe ab, lief leise den Verbindungsgang entlang, stieg die Leiter des Vorderkastells hinauf und steckte meinen Kopf aus der Vorderluke heraus. Ich wußte, daß er nicht erwarten würde, mich dort zu sehen; trotzdem benahm ich mich so vorsichtig wie möglich.
Ich sah sofort, daß mein schlimmster Verdacht nur zu berechtigt gewesen war. Der Schaluppmeister hatte sich herumgedreht und auf Hände und Knie aufgestützt; obgleich sein Bein ihm offenbar sehr weh tat, als er sich bewegte – denn ich konnte ihn stöhnen hören –, so schleppte er sich doch recht schnell über das Deck. In einer halben Minute hatte er das Backbord-Speigatt erreicht und aus einem Tauring ein langes Messer, oder besser gesagt, einen Dolch herausgeholt, der bis ans Heft von Blut gerötet war. Er sah ihn einen Augenblick an, wobei er die Kinnlade vorschob, prüfte die Spitze auf seiner Hand, verbarg ihn hastig in der Brusttasche seiner Jacke und kroch wieder nach seinem alten Platz an der Schanzbrüstung zurück.
Weiter brauchte ich nichts zu wissen. Israel konnte sich bewegen; er war jetzt bewaffnet; und wenn er sich so große Mühe gemacht hatte, mich fortzuschicken, so war es klar, daß ich als Opfer fallen sollte. Was er später tun würde – ob er versuchen würde, von der Nordbucht quer über die Insel nach dem Lagerplatz der Piraten zu kriechen, oder aber vielleicht den langen Neunpfünder abfeuern würde, in der Erwartung, daß seine Kameraden kommen würden, um ihm zu helfen – das war natürlich mehr, als ich sagen konnte.
Bei alledem war ich überzeugt, daß ich in einer bestimmten Hinsicht ihm trauen konnte, weil darin unser beider Vorteil übereinstimmte – und das war die Lenkung des Schoners. Wir hatten beide den Wunsch, ihn an einer geschützten Stelle sicher auf den Strand zu lassen, so daß er, wenn die Zeit gekommen wäre, mit möglichst geringer Mühe und Gefahr wieder flottgemacht werden könnte. Ich nahm deshalb an, daß er sicherlich mein Leben schonen würde, bis wir es so weit gebracht hätten.
Während ich mir die Sache in meinem Kopf überlegte, war mein Körper nicht müßig gewesen. Ich hatte mich nach der Kajüte zurückgeschlichen, meine Schuhe wieder angezogen, die erste beste Flasche Wein ergriffen und erschien nun mit dieser wieder auf Deck.
Hands lag, ganz zu einem Bündel zusammengesunken, genau in derselben Stellung, wie ich ihn verlassen hatte – mit geschlossenen Augenlidern, wie wenn er zu schwach wäre, um das Licht vertragen zu können. Er blickte jedoch auf, als ich kam, schlug der Flasche ihren Hals ab, und zwar mit der Geschicklichkeit eines Mannes, der so etwas schon oft getan hat, und nahm einen tüchtigen Schluck, nachdem er seinen Lieblingsspruch ausgebracht hatte:
»Auf gut Glück!«
Dann lag er eine kleine Weile ruhig, und auf einmal holte er ein Stück Tabak aus der Tasche und bat mich, ihm einen Priem abzuschneiden.
»Schneide mir ein Endchen ab, denn ich habe kein Messer – und hätte ich eins, so würde ich wohl kaum Kraft genug haben. Oh, Jim, Jim! ich bin wohl böse ausgerutscht! Schneid mir ein Priemchen ab – wird wohl das letzte sein; denn ich bin auf dem Marsch in die Ewigkeit, daran ist nicht zu zweifeln.«
»Na, ich will Ihnen etwas Tabak abschneiden; aber wenn ich an Ihrer Stelle wäre und glaubte, daß es schlecht mit mir stände, dann würde ich mich ans Gebet halten als ein rechter Christenmensch!«
»So? Na, sage mir doch, warum?«
»Warum?« rief ich. »Gerade in diesem Augenblick haben Sie nach dem Toten gefragt. Sie haben die Treue gebrochen; Sie haben in Sünden und Lügen und Blut gelebt; ein Mensch, den Sie getötet haben, liegt in diesem Augenblick zu Ihren Füßen – und Sie fragen mich, warum! Bei Gottes Gnaden, Herr Hands – darum!«
Ich sprach etwas hitzig; denn ich dachte an den blutigen Dolch, den er in seine Tasche gesteckt hatte und mit dem der Bösewicht mir den Garaus zu machen gedachte. Israel nahm einen großen Schluck Wein und sagte dann mit ganz ungewöhnlicher Feierlichkeit:
»Dreißig Jahre lang habe ich die Meere befahren, habe Gutes und Böses gesehen, Besseres und Böseres, schön Wetter und schlechtes; habe Hungersnot erlebt und Wassermangel, mit Messern ist gestochen worden, und was nicht sonst noch alles! Nun, ich sage dir das: ich habe noch nie gesehen, daß von Güte etwas Gutes kam. Wer zuerst zuschlägt, das ist mein Mann, und tote Hunde beißen nicht. Das ist meine Meinung – Amen, so sei es. Und nun hör’ mal,« fuhr er in einem ganz anderen Tone fort, »wir haben jetzt von diesem dummen Zeug genug gehabt. Das Wasser ist jetzt hoch genug. Sie brauchen bloß meine Befehle auszuführen, Käpp’n Hawkins, und wir segeln glatt in die Bucht hinein, und damit fertig!«
Wir hatten alles in allem kaum zwei Meilen zu segeln; aber das Schiff zu steuern, war nicht so einfach, denn die Einfahrt zu diesem nördlichen Ankergrund war nicht nur schmal und seicht, sondern lief außerdem in der Richtung von Osten nach Westen, so daß der Schoner vorsichtig gesteuert werden mußte, um hineinzugelangen. Ich glaube, ich war ein guter, aufmerksamer Untergebener, und ganz gewiß war Hands ein ausgezeichneter Lotse; denn wir wendeten und streiften dabei an den Klippen vorüber mit einer Sicherheit und Genauigkeit, daß es ein Vergnügen anzusehen war. Kaum waren wir zwischen den beiden Vorsprüngen der Landspitzen hindurch, so waren wir dicht von Land eingeschlossen. Die Küsten der Nordbucht waren ebenso dicht bewaldet wie die des südlichen Ankerplatzes; aber die Wasserfläche war länger und schmäler; sie glich einer Flußmündung, was sie ja auch in Wirklichkeit war.
Gerade vor uns, am südlichen Ende, sahen wir das Wrack eines Schiffes, das sich im letzten Zustande des Verfalls befand. Es war ein großes