Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling Gesammelte Werke bei Null Papier

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zu er­leich­tern, das heißt, sie wün­schen et­was dazu bei­zu­tra­gen, dass Sie Ihren Le­bens­weg un­be­hin­dert wei­ter wan­deln kön­nen.« Die­ser Satz ge­fiel dem Apo­the­ker, er wie­der­hol­te ihn laut in den Wind hin­ein und streck­te die fünf Fin­ger aus; da sie ihm je­doch fro­ren, steck­te er sie wie­der in die Ta­sche und füg­te, we­ni­ger pa­the­tisch, hin­zu: »Ich fin­de die­ses Aner­bie­ten bil­lig. Nach mei­ner Auf­fas­sung sind Tel­le­r­ats Ih­nen das schul­dig, auch sehe ich kei­nen Grund, die­ses Aner­bie­ten nicht zu ak­zep­tie­ren. Wie ge­sagt, von Ih­rer Sei­te ist es nur das Ein­kas­sie­ren ei­ner Schuld. Das Geld soll bei mir ein­ge­zahlt wer­den. Das ist ganz ein­fach, nicht wahr? Wie­viel und so wei­ter wol­len wir be­spre­chen, wenn Sie sich im Prin­zip ent­schie­den ha­ben wer­den. Was?« Rosa schwieg und ging has­tig vor­wärts. »Ich will Sie na­tür­lich nicht drän­gen«, mein­te Klappe­kahl. »Aber die Sa­che ist durch­aus ein­fach. Geld kommt im­mer ge­le­gen.« Er wuss­te wirk­lich nicht, was er mit dem stil­len Mäd­chen be­gin­nen soll­te. Will sie das Geld? Will sie es nicht? Ist sie be­lei­digt? Ist sie froh? Kein Teu­fel konn­te dar­aus klug wer­den! Dazu noch die­ses ver­damm­te Wet­ter!

      Sie ver­lie­ßen jetzt den Gar­ten und tra­ten an den Fluss her­an. Der Mond brei­te­te eine große Hel­lig­keit über den Him­mel und das Land und ließ die­se weit und leer er­schei­nen.

      »Nun, mein lie­bes Kind«, be­gann Klappe­kahl hier wie­der zu spre­chen. »Ich habe Ih­nen die­se Af­fä­re so gut ich konn­te aus­ein­an­der­ge­setzt. Sa­gen Sie mir nur, wie Sie dar­über den­ken. Schüt­ten Sie vor mir Ihr gan­zes Herz­chen aus.« Das freund­li­che Ge­sicht, mit dem er die­se Wor­te be­glei­ten woll­te, fiel ein we­nig ver­zerrt aus, denn Lip­pen und Wan­gen wa­ren steif vor Käl­te.

      Rosa lehn­te sich mit dem Rücken ge­gen das Fluss­ge­län­der, ließ ihre Arme er­schöpft sin­ken und hob zu Klappe­kahl ihr blei­ches, kum­mer­vol­les Ant­litz auf, aus dem die Au­gen angst­voll her­vor­schau­ten. Mit lei­ser, tiefer Stim­me sag­te sie: »Bit­te – sa­gen Sie Am­bro­si­us Tel­le­r­at, dass ich nichts von ihm mag.« – Der Apo­the­ker räus­per­te sich. Er hat­te nicht er­war­tet, ei­nem so großen Schmerz ge­gen­über­zu­ste­hen. »Nun – warum denn? Ich fin­de, wenn man die Sa­che vom rich­ti­gen Stand­punk­te aus be­trach­tet« – er brach ab, denn er fühl­te, dass sei­ne ge­wöhn­li­che Be­red­sam­keit die­sem bit­ter­erns­ten Mäd­chen ge­gen­über nicht am Plat­ze sei,

      »Bit­te, sa­gen Sie ihm«, fuhr Rosa mit dem­sel­ben be­stimm­ten, me­tal­li­gen Klang der Stim­me fort, »dass ich von ihm nur eins ver­lan­ge, er soll mich nicht wei­ter quä­len.«

      Klappe­kahl trip­pel­te vor Rosa auf und nie­der. Hier war of­fen­bar nichts zu ma­chen, es galt nur, einen pas­sen­den Schluss zu fin­den. »Schön, schön!« ver­setz­te er. »Ich will’s be­stel­len. Es wird dem ar­men Jun­gen na­he­ge­hen. Ver­dient hat er’s üb­ri­gens. Na­tür­lich – wenn man die Af­fä­re so an­sieht, so ha­ben Sie recht. Je­des Ding hat zwei Sei­ten, sage ich im­mer. Bon! Ich will’s be­stel­len. Das mei­ni­ge habe ich ge­tan. Mir sind Sie doch des­halb nicht böse? Nein? Das ist brav. Ich tat mei­ne Pf­licht. Das also wäre ab­ge­macht. Hier ist’s ver­teu­felt kalt. Ich be­glei­te Sie nach Hau­se – selbst­ver­ständ­lich! Wie? Sie ge­hen nicht mit?«

      »Nein. Ich wür­de gern al­lein sein«, er­wi­der­te Rosa.

      »Was? Bei der Käl­te im Mond­schein schwär­men?« Klappe­kahl hat­te wie­der sein welt­män­ni­sches Ki­chern ge­fun­den. »Nun, ich dan­ke! Da bin ich nicht von der Par­tie. Gu­ten Abend, Ro­sett­chen. Sie sind mir nicht böse? Der alte Klappe­kahl bleibt im­mer Ihr treues­ter Be­wun­de­rer. Er­käl­ten Sie sich nicht.« Als er Rosa den Rücken wand­te und ei­lig der Stadt zu­schritt, stieß er mit großer Er­leich­te­rung sei­ne Hän­de auf den Grund sei­ner Ta­schen. Es war glück­lich vor­über! Vor sol­chen tra­gi­schen Au­gen konn­te ei­nem ja angst und ban­ge wer­den, und er dach­te dar­über nach, wie er Fei­er­gro­schen und Dr. Hol­te am wir­kungs­volls­ten die Sze­ne schil­dern könn­te.

      Rosa blieb am Flus­se ste­hen. Jetzt be­griff sie al­les; be­griff die gan­ze Schan­de, die über sie her­ein­brach. Dass sie vor ei­ner Stun­de so tö­richt hat­te sein kön­nen, zu hof­fen! Die heu­ti­ge Leh­re aber hat­te sie er­fasst. Ein küh­les, scho­nungs­lo­ses Ver­ste­hen war ihr ge­wor­den. Die Klein­heit und Häss­lich­keit al­les des­sen, wor­an sie ge­glaubt, lag klar vor ihr – und Ekel und Bit­ter­keit stie­gen in ihr auf und mach­ten sie ru­hig. Was half es! Es war doch nichts des An­schau­ens wert. Ge­ängs­tigt blick­te sie zum Him­mel auf, der weit und hoch in sei­ner durch­sich­ti­gen Klar­heit über ihr hing, und es war der Durst nach je­ner hel­len, rei­nen Stil­le, was sie emp­fand; sie hät­te sie trin­ken, sich in ihr ba­den mö­gen, um von dem Schmut­zi­gen, Schimpf­li­chen, Gars­ti­gen be­freit zu sein, das auf ihr wie ein Alp las­te­te.

      Ver­sun­ken in ihre trü­ben Ge­dan­ken, be­merk­te sie nicht, dass eine schma­le, dunkle Ge­stalt sich ihr lang­sam nä­her­te, vor ihr ste­hen­blieb, den Hut ab­nahm und lei­se »Gu­ten Abend« sag­te. – Con­rad Lurch war es. Fest in sei­nen grau­en Über­rock ein­ge­zwängt, den schä­bi­gen Hut im Na­cken, stand er da. Das lan­ge Ge­sicht nahm im Mond­licht ein kran­kes, grün­li­ches Aus­se­hen an. Die Au­gen wa­ren von tie­fen Schat­ten um­ge­ben, und die ge­röte­ten Au­gen­li­der zuck­ten wie bei jun­gen Vö­geln. Der arme Con­rad Lurch! So vom Mon­de be­schie­nen nahm er sich sehr dünn, sehr lei­dend und ein we­nig her­ab­ge­kom­men aus. Erst als er sei­nen Gruß wie­der­hol­te, zuck­te Rosa leicht zu­sam­men und sah ihn an. »Gu­ten Abend«, er­wi­der­te sie. »Ich gehe nach Hau­se«, füg­te sie has­tig hin­zu und woll­te fort.

      »Ach, ge­hen Sie nicht!« bat Lurch kläg­lich, »Tag um Tag habe ich dar­auf ge­war­tet, Sie spre­chen zu dür­fen, und nun wol­len Sie ge­hen.«

      Rosa blieb. Matt und ge­dul­dig lehn­te sie sich wie­der an das Ge­län­der. Schließ­lich war es ja gleich­gül­tig, ob sie ging oder blieb!

      »Ich sah Sie vor­hin mit Herrn Klappe­kahl ge­hen«, fuhr Lurch mit sei­ner ho­her, hei­se­ren Stim­me fort. »Da bin ich Ih­nen nach­ge­gan­gen, dort – an je­nem Bau­me war­te­te ich, bis Herr Klappe­kahl Sie ver­ließ, dann kam ich, um mit Ih­nen zu spre­chen. Fräu­lein Ro­sa…« Rosa hör­te nicht mehr, was er ihr sag­te, sie dach­te wie­der dar­an, wie ver­blen­det sie ge­we­sen war, das für schön und er­stre­bens­wert zu hal­ten, was ihr jetzt so wid­rig, so ge­mein er­schi­en. Lie­be nann­te man das! Mein Gott, war das eine häss­li­che, nied­ri­ge Sa­che! Nichts als Schan­de – un­end­li­che Öde. Es gab Men­schen, die in ih­rem Fall ster­ben konn­ten, sie hat­te da­von ge­hört. Un­will­kür­lich wand­te sie sich um und blick­te auf den Fluss hin­ab. Über das un­ru­hi­ge, tin­ten­schwar­ze Was­ser fuhr das Mond­licht in has­ti­gem Zick­zack hin; ein ste­tes Flie­ßen und Le­ben, eine Jagd von Schat­ten und blei­chem Licht. Frös­telnd fuhr Rosa zu­rück.

      »Und eben, Fräu­lein Rosa, weil ich Sie so sehr lie­be«, klang Lurchs ge­preß­te Stim­me in Ro­sas Ge­dan­ken hin­ein und mach­te sie auf­hor­chen. Was sprach er denn von Lie­be? Die fa­den­schei­ni­ge, trüb­se­li­ge Er­schei­nung war für Rosa jetzt wie das ver­kör­per­te Bild je­ner Lie­be, die sie mehr als al­les ver­ab­scheu­te.

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