Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Читать онлайн книгу Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von Keyserling страница 63
Sie verließen jetzt den Garten und traten an den Fluss heran. Der Mond breitete eine große Helligkeit über den Himmel und das Land und ließ diese weit und leer erscheinen.
»Nun, mein liebes Kind«, begann Klappekahl hier wieder zu sprechen. »Ich habe Ihnen diese Affäre so gut ich konnte auseinandergesetzt. Sagen Sie mir nur, wie Sie darüber denken. Schütten Sie vor mir Ihr ganzes Herzchen aus.« Das freundliche Gesicht, mit dem er diese Worte begleiten wollte, fiel ein wenig verzerrt aus, denn Lippen und Wangen waren steif vor Kälte.
Rosa lehnte sich mit dem Rücken gegen das Flussgeländer, ließ ihre Arme erschöpft sinken und hob zu Klappekahl ihr bleiches, kummervolles Antlitz auf, aus dem die Augen angstvoll hervorschauten. Mit leiser, tiefer Stimme sagte sie: »Bitte – sagen Sie Ambrosius Tellerat, dass ich nichts von ihm mag.« – Der Apotheker räusperte sich. Er hatte nicht erwartet, einem so großen Schmerz gegenüberzustehen. »Nun – warum denn? Ich finde, wenn man die Sache vom richtigen Standpunkte aus betrachtet« – er brach ab, denn er fühlte, dass seine gewöhnliche Beredsamkeit diesem bitterernsten Mädchen gegenüber nicht am Platze sei,
»Bitte, sagen Sie ihm«, fuhr Rosa mit demselben bestimmten, metalligen Klang der Stimme fort, »dass ich von ihm nur eins verlange, er soll mich nicht weiter quälen.«
Klappekahl trippelte vor Rosa auf und nieder. Hier war offenbar nichts zu machen, es galt nur, einen passenden Schluss zu finden. »Schön, schön!« versetzte er. »Ich will’s bestellen. Es wird dem armen Jungen nahegehen. Verdient hat er’s übrigens. Natürlich – wenn man die Affäre so ansieht, so haben Sie recht. Jedes Ding hat zwei Seiten, sage ich immer. Bon! Ich will’s bestellen. Das meinige habe ich getan. Mir sind Sie doch deshalb nicht böse? Nein? Das ist brav. Ich tat meine Pflicht. Das also wäre abgemacht. Hier ist’s verteufelt kalt. Ich begleite Sie nach Hause – selbstverständlich! Wie? Sie gehen nicht mit?«
»Nein. Ich würde gern allein sein«, erwiderte Rosa.
»Was? Bei der Kälte im Mondschein schwärmen?« Klappekahl hatte wieder sein weltmännisches Kichern gefunden. »Nun, ich danke! Da bin ich nicht von der Partie. Guten Abend, Rosettchen. Sie sind mir nicht böse? Der alte Klappekahl bleibt immer Ihr treuester Bewunderer. Erkälten Sie sich nicht.« Als er Rosa den Rücken wandte und eilig der Stadt zuschritt, stieß er mit großer Erleichterung seine Hände auf den Grund seiner Taschen. Es war glücklich vorüber! Vor solchen tragischen Augen konnte einem ja angst und bange werden, und er dachte darüber nach, wie er Feiergroschen und Dr. Holte am wirkungsvollsten die Szene schildern könnte.
Rosa blieb am Flusse stehen. Jetzt begriff sie alles; begriff die ganze Schande, die über sie hereinbrach. Dass sie vor einer Stunde so töricht hatte sein können, zu hoffen! Die heutige Lehre aber hatte sie erfasst. Ein kühles, schonungsloses Verstehen war ihr geworden. Die Kleinheit und Hässlichkeit alles dessen, woran sie geglaubt, lag klar vor ihr – und Ekel und Bitterkeit stiegen in ihr auf und machten sie ruhig. Was half es! Es war doch nichts des Anschauens wert. Geängstigt blickte sie zum Himmel auf, der weit und hoch in seiner durchsichtigen Klarheit über ihr hing, und es war der Durst nach jener hellen, reinen Stille, was sie empfand; sie hätte sie trinken, sich in ihr baden mögen, um von dem Schmutzigen, Schimpflichen, Garstigen befreit zu sein, das auf ihr wie ein Alp lastete.
Versunken in ihre trüben Gedanken, bemerkte sie nicht, dass eine schmale, dunkle Gestalt sich ihr langsam näherte, vor ihr stehenblieb, den Hut abnahm und leise »Guten Abend« sagte. – Conrad Lurch war es. Fest in seinen grauen Überrock eingezwängt, den schäbigen Hut im Nacken, stand er da. Das lange Gesicht nahm im Mondlicht ein krankes, grünliches Aussehen an. Die Augen waren von tiefen Schatten umgeben, und die geröteten Augenlider zuckten wie bei jungen Vögeln. Der arme Conrad Lurch! So vom Monde beschienen nahm er sich sehr dünn, sehr leidend und ein wenig herabgekommen aus. Erst als er seinen Gruß wiederholte, zuckte Rosa leicht zusammen und sah ihn an. »Guten Abend«, erwiderte sie. »Ich gehe nach Hause«, fügte sie hastig hinzu und wollte fort.
»Ach, gehen Sie nicht!« bat Lurch kläglich, »Tag um Tag habe ich darauf gewartet, Sie sprechen zu dürfen, und nun wollen Sie gehen.«
Rosa blieb. Matt und geduldig lehnte sie sich wieder an das Geländer. Schließlich war es ja gleichgültig, ob sie ging oder blieb!
»Ich sah Sie vorhin mit Herrn Klappekahl gehen«, fuhr Lurch mit seiner hoher, heiseren Stimme fort. »Da bin ich Ihnen nachgegangen, dort – an jenem Baume wartete ich, bis Herr Klappekahl Sie verließ, dann kam ich, um mit Ihnen zu sprechen. Fräulein Rosa…« Rosa hörte nicht mehr, was er ihr sagte, sie dachte wieder daran, wie verblendet sie gewesen war, das für schön und erstrebenswert zu halten, was ihr jetzt so widrig, so gemein erschien. Liebe nannte man das! Mein Gott, war das eine hässliche, niedrige Sache! Nichts als Schande – unendliche Öde. Es gab Menschen, die in ihrem Fall sterben konnten, sie hatte davon gehört. Unwillkürlich wandte sie sich um und blickte auf den Fluss hinab. Über das unruhige, tintenschwarze Wasser fuhr das Mondlicht in hastigem Zickzack hin; ein stetes Fließen und Leben, eine Jagd von Schatten und bleichem Licht. Fröstelnd fuhr Rosa zurück.
»Und eben, Fräulein Rosa, weil ich Sie so sehr liebe«, klang Lurchs gepreßte Stimme in Rosas Gedanken hinein und machte sie aufhorchen. Was sprach er denn von Liebe? Die fadenscheinige, trübselige Erscheinung war für Rosa jetzt wie das verkörperte Bild jener Liebe, die sie mehr als alles verabscheute.