Das Kapital (Alle 3 Bände). Karl Marx
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Wird der Stundenlohn in der Weise fixiert, daß der Kapitalist sich nicht zur Zahlung eines Tages- oder Wochenlohns verpflichtet, sondern nur zur Zahlung der Arbeitsstunden, während deren es ihm beliebt, den Arbeiter zu beschäftigen, so kann er ihn unter der Zeit beschäftigen, die der Schätzung des Stundenlohns oder der Maßeinheit für den Preis der Arbeit ursprünglich zugrunde liegt. Da diese Maßeinheit bestimmt ist durch die Proportion Tageswert der Arbeitskraft)/Arbeitstag von gegebner Stundenzahl, verliert sie natürlich allen Sinn, sobald der Arbeitstag aufhört, eine bestimmte Stundenzahl zu zählen. Der Zusammenhang zwischen der bezahlten und unbezahlten Arbeit wird aufgehoben. Der Kapitalist kann jetzt ein bestimmtes Quantum Mehrarbeit aus dem Arbeiter herausschlagen, ohne ihm die zu seiner Selbsterhaltung notwendige Arbeitszeit einzuräumen. Er kann jede Regelmäßigkeit der Beschäftigung vernichten und ganz nach Bequemlichkeit, Willkür und augenblicklichem Interesse die ungeheuerste Überarbeit mit relativer oder gänzlicher Arbeitslosigkeit abwechseln lassen. Er kann, unter dem Vorwand, den "normalen Preis der Arbeit" zu zahlen, den Arbeitstag, ohne irgend entsprechende Kompensation für den Arbeiter, anormal verlängern. Daher der durchaus rationelle Aufstand (1860) der im Baufach beschäftigten Londoner Arbeiter gegen den Versuch der Kapitalisten, diesen Stundenlohn aufzuherrschen. Die gesetzliche Beschränkung des Arbeitstags macht solchem Unfug ein Ende, obgleich natürlich nicht der aus Konkurrenz der Maschinerie, Wechsel in der Qualität der angewandten Arbeiter, partiellen und allgemeinen Krisen entspringenden Unterbeschäftigung.
Bei wachsendem Tages- oder Wochenlohn kann der Preis der Arbeit nominell konstant bleiben und dennoch unter sein normales Niveau sinken. Dies findet jedesmal statt, sobald mit konstantem Preis der Arbeit, resp. der Arbeitsstunde, der Arbeitstag über seine gewohnheitsmäßige Dauer verlängert wird. Wenn in dem Bruch Tageswert der Arbeitskraft/Arbeitstag der Nenner wächst, wächst der Zähler noch rascher. Der Wert der Arbeitskraft, weil ihr Verschleiß, wächst mit der Dauer ihrer Funktion und in rascherer Proportion als das Inkrement ihrer Funktionsdauer. In vielen Industriezweigen, wo Zeitlohn vorherrscht, ohne gesetzliche Schranken der Arbeitszeit, hat sich daher naturwüchsig die Gewohnheit herausgebildet, daß der Arbeitstag nur bis zu einem gewissen Punkt, z.B. bis zum Ablauf der zehnten Stunde, als normal gilt ("normal working day", "the day's work", "the regular hours of work <"normaler Arbeitstag", "Tagesarbeit", "reguläre Arbeitszeit">). Jenseits dieser Grenze bildet die Arbeitszeit Überzeit (overtime) und wird, die Stunde als Maßeinheit genommen, besser bezahlt (extra pay), obgleich oft in lächerlich kleiner Proportion. Der normale Arbeitstag existiert hier als Bruchteil des wirklichen Arbeitstags, und der letztere währt oft während des ganzen Jahres länger als der erstere. Der Wachstum im Preis der Arbeit mit der Verlängerung des Arbeitstags über eine gewisse Normalgrenze gestaltet sich in verschiednen britischen Industriezweigen so, daß der niedrige Preis der Arbeit während der sog. Normalzeit dem Arbeiter die besser bezahlte Überzeit aufzwingt, will er überhaupt einen genügenden Arbeitslohn herausschlagen. Gesetzliche Beschränkung des Arbeitstags macht diesem Vergnügen ein Ende.
Es ist allgemein bekannte Tatsache, daß, je länger der Arbeitstag in einem Industriezweig, um so niedriger der Arbeitslohn. Fabrikinspektor A. Redgrave illustriert dies durch eine vergleichende Übersicht der zwanzigjährigen Periode von 1839-1859, wonach der Arbeitslohn in den dem Zehnstundengesetz unterworfenen Fabriken stieg, während er fiel in den Fabriken, wo 14 bis 15 Stunden täglich gearbeitet wird.
Zunächst folgt aus dem Gesetz: "Bei gegebnem Preis der Arbeit hängt der Tages- oder Wochenlohn von der Quantität der gelieferten Arbeit ab", daß, je niedriger der Preis der Arbeit, desto größer das Arbeitsquantum sein muß oder desto länger der Arbeitstag, damit der Arbeiter auch nur einen kümmerlichen Durchschnittslohn sichre. Die Niedrigkeit des Arbeitspreises wirkt hier als Sporn zur Verlängerung der Arbeitszeit.
Umgekehrt aber produziert ihrerseits die Verlängerung der Arbeitszeit einen Fall im Arbeitspreise und damit im Tages oder Wochenlohn.
Die Bestimmung des Arbeitspreises durch
Tageswert der Arbeitskraft/Arbeitstag von gegebner Stundenzahl
ergibt, daß bloße Verlängerung des Arbeitstags den Arbeitspreis senkt, wenn keine Kompensation eintritt. Aber dieselben Umstände, welche den Kapitalisten befähigen, den Arbeitstag auf die Dauer zu verlängern, befähigen ihn erst und zwingen ihn schließlich, den Arbeitspreis auch nominell zu senken, bis der Gesamtpreis der vermehrten Stundenzahl sinkt, also der Tages- oder Wochenlohn. Hinweis auf zwei Umstände genügt hier. Verrichtet ein Mann das Werk von 11/2 oder 2 Männern, so wächst die Zufuhr der Arbeit, wenn auch die Zufuhr der auf dem Markt befindlichen Arbeitskräfte konstant bleibt. Die so unter den Arbeitern erzeugte Konkurrenz befähigt den Kapitalisten, den Preis der Arbeit herabzudrücken, während der fallende Preis der Arbeit ihn umgekehrt befähigt, die Arbeitszeit noch weiter heraufzuschrauben. Bald jedoch wird diese Verfügung über anormale, d.h. das gesellschaftliche Durchschnittsniveau überfließende Quanta unbezahlter Arbeit zum Konkurrenzmittel unter den Kapitalisten selbst. Ein Teil des Warenpreises besteht aus dem Preis der Arbeit. Der nicht gezahlte Teil des Arbeitspreises braucht nicht im Warenpreis zu rechnen. Er kann dem Warenkäufer geschenkt werden. Dies ist der erste Schritt, wozu die Konkurrenz treibt. Der zweite Schritt, wozu sie zwingt, ist, wenigstens einen Teil des durch die Verlängerung des Arbeitstags erzeugten anormalen Mehrwerts ebenfalls aus dem Verkaufspreis der Ware auszuschließen. In dieser Weise bildet sich erst sporadisch und fixiert sich nach und nach ein anormal niedriger Verkaufspreis der Ware, der von nun an zur konstanten Grundlage kümmerlichen Arbeitslohns bei übermäßiger Arbeitszeit wird, wie er ursprünglich das Produkt dieser Umstände war. Wir deuten diese Bewegung bloß an, da die Analyse der Konkurrenz nicht hierhin gehört. Doch mag für einen Augenblick der Kapitalist selbst sprechen.
"In Birmingham ist die Konkurrenz unter den Meistern so groß, daß mancher von uns gezwungen ist, als Arbeitsanwender zu tun, was er sich schämen würde, sonst zu tun; und dennoch wird nicht mehr Geld gemacht (and yet no more money is made), sondern das Publikum allein hat den Vorteil davon."
Man erinnert sich der Zwei Sorten Londoner Bäcker, wovon die eine Brot zum vollen Preise (the "fullpriced" backers), die andre es unter seinem normalen Preise verkauft ("the underpriced", "the undersellers"). Die "fullpriced" denunzieren ihre Konkurrenten vor der parlamentarischen Untersuchungskommission:
"Sie existieren nur, indem sie erstens das Publikum betrügen" (durch Fälschung der Ware) "und zweitens 18 Arbeitsstunden aus ihren Leuten für den Lohn zwölfstündiger Arbeit herausschinden ... Die unbezahlte Arbeit (the unpaid labour) der Arbeiter ist das Mittel, wodurch der Konkurrenzkampf geführt wird ... Die Konkurrenz unter den Bäckermeistern ist die Ursache der Schwierigkeit in Beseitigung der Nachtarbeit. Ein Unterverkäufer, der sein Brot unter dem mit dem Mehlpreis wechselnden Kostpreis verkauft, hält sich schadlos, indem er mehr Arbeit aus seinen Leuten herausschlägt. Wenn ich nur 12 Stunden Arbeit aus meinen Leuten herausschlage, mein Nachbar dagegen 18 oder 20, muß er mich im Verkaufspreis schlagen. Könnten die Arbeiter auf Zahlung für Überzeit bestehen, so wäre es mit diesem Manöver bald zu Ende ... Eine große Anzahl der von den Unterverkäufern Beschäftigten sind Fremde, Jungen und andre, die fast mit jedem Arbeitslohn, den sie kriegen können, vorlieb zu nehmen gezwungen sind."
Diese