Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff
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Er war ein großer wohlgewachsener Mann von 24–25 Jahren, sein Haar war dunkel und mochte früher nach heutiger Mode zugeschnitten sein, hing aber, weil der Studiosus die Kosten scheute, es scheren zu lassen, unordentlich um den Kopf, doch bemühte er sich, solches oft mit fünf Fingern aus der Stirne zu frisieren. Sein Gesicht war schön, besonders Nase und Mund edel und fein geformt, das Auge hatte viel Ausdruck, aber welch sonderbaren Eindruck machte es; das Gesicht war von der Sonne rotbraun angelaufen; ein großer Bart wucherte von den Schläfen bis zum Kinn herab, und um die feinen Lippen hing ein vom Bier geröteter Henri quatre.
Sein Mienenspiel war schrecklich und lächerlich zugleich, die Augbrauen waren zusammengezogen und bildeten düstere Falten; das Auge blickte streng und stolz um sich her, und maß jeden Gegenstand mit einer Hoheit, einer Würde, die eines Königsohnes würdig gewesen wäre.
Über die unteren Partien des Gesichtes, namentlich über das Kinn konnte ich nicht recht klug werden, denn sie staken tief in der Krawatte. Diesem Kleidungsstück schien der junge Mann bei weitem mehr Sorgfalt gewidmet zu haben, als dem übrigen Anzug; diese beiläufig einen halben Schuh Höhe messende Binde von schwarzer Seide zog sich, ohne ein Fältchen zu werfen, von dem Kinn inklusive bis auf das Brustbein exklusive, und bildete auf diese Art ein feines Mauerwerk, auf welchem der Kopf ruhte; seine Kleidung bestand in einem weißgelben Rock, den er »Flaus«, in zärtlichen Augenblicken wohl auch »Gottfried« nannte, und welchem er von Speisen und Getränken mitteilte; dieser Gottfried Flaus reichte bis eine Spanne über das Knie und schloß sich eng um den ganzen Leib; auf der Brust war er offen und zeigte, soviel die Krawatte sehen ließ, daß der Herr Studiosus mit Wäsche nicht gut versehen sein müsse.
Weite, wellenschlagende Beinkleider von schwarzem Samt schlossen sich an das Oberkleid an; die Stiefel waren zierlich geformt und dienten ungeheuern Sporen von poliertem Eisen zur Folie.
Auf dem Kopfe hatte der Studiosus ein Stückchen rotes Tuch in Form eines umgekehrten Blumenscherben gehängt, das er mit vieler Kunst gegen den Wind zu balancieren wußte; es sah komisch aus, fast wie wenn man mit einem kleinen Trinkglas ein großes Kohlhaupt bedecken wollte.
Ich hatte Zachariäs unsterblichen Renommisten zu gut studiert, um nicht zu wissen, daß, sobald ich mir eine Blöße gegen den Herrn Bruder gebe, sein Respekt vor mir auf ewig verloren sei; ich merkte ihm daher seine Augenbrauenfalten, sein ernstes, abmessendes Auge, soviel es ging, ab, und hatte die Freude, daß er mich gleich nach der ersten Stunde auffallend vor dem »Philister und dem Florbesen«, auf deutsch einem alten Professor und seiner Tochter, welche unsere übrige Reisegesellschaft ausmachten, auszeichnete. In der zweiten Stunde hatte ich ihm schon gestanden, daß ich in Kiel studiert und mich schon einigemal mit Glück geschlagen habe, und ehe wir nach ……gen einfuhren, hatte er mir versprochen, eine »fixe Kneipe« das heißt eine anständige Wohnung auszumitteln, wie auch mich unter die Leute zu bringen.
Der Herr Studiosus Würger, so hieß mein Gesellschafter, ließ an einem Wirtshaus vor der Stadt anhalten, und lud mich ein, seinem Beispiele zu folgen, und hier auf die Beschwerden der Reise ein Glas zu trinken. Die ganze Fensterreihe des Wirtshauses war mit roten und schwarzen Mützen bedeckt, es war nämlich eine gute Anzahl der Herren Studiosi hier versammelt, um die neuen Ankömmlinge, die gewöhnlich am Anfang des Semesters einzutreffen pflegen, nach gewohnter Weise zu empfangen. Würger, der alte »längst bemooste« Bursche, hatte sich schon unterwegs mit dem Gedanken gekitzelt, daß seine Kameraden uns für »Füchse« halten werden, und wirklich traf seine Vermutung ein.
Ein Chorus von wenigstens 30 Bässen scholl von den Fenstern herab, sie sangen ein berühmtes Lied, das anfängt:
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»Was kommt dort von der Höh!«
Während des Gesanges entstieg mein Gefährte majestätisch der Chaise, und kaum hatte er den Boden berührt, so erhob er sein furchtbares Haupt, und schrie zu den Fenstern empor:
»Was schlagt ihr für einen Randal auf, Kamele! Seht ihr nicht, daß zwei alte Häuser aus diesem Philisterkarren gestiegen kommen?« (auf deutsch: lärmt doch nicht so sehr, meine Herren, Sie sehen ja, daß zwei alte Studenten aus dem Wagen steigen.)
Der allgemeine Jubel unterbrach den erhitzten Redner: »Würger! du altes fideles Haus!« schrien die Musensöhne, und stürzten die Treppen herab in seine Arme; die Raucher vergaßen, ihre langen Pfeifen wegzulegen, die Billardspieler hielten noch ihre Queues in der Hand. Sie bildeten eine Leibwache von sonderbarer Bewaffnung um den Angekommenen.
Doch der Edelmütige vergaß in seiner Glorie auch meiner nicht, der ich bescheiden auf der Seite stand, er stellte mich den ältesten und angesehensten Männern der Gesellschaft vor, und ich wurde mit herzlichem Handschlag von ihnen begrüßt. Man führte uns in wildem Tumult die Treppe hinan, man setzte mich zwischen zwei bemooste Häuser an den Ehrenplatz, gab mir ein großes Paßglas voll Bier und ein Fuchs mußte dem neuen Ankömmling seine Pfeife abtreten.
So war ich denn in …..en als Student eingeführt, und ich gestehe, es gefiel mir so übel nicht unter diesem Völkchen. Es herrschte ein offener, zutraulicher Ton, man brauchte sich nicht in den Fesseln der Konvenienz, die gewiß dem Teufel am lästigsten sind, umherzuschleppen, man sprach und dachte, wie es einem gerade gefiel. Wenn man bedenkt, daß ich gerade im Herbst 1819 dorthin kam, so wird man sich nicht wundern, daß ich mich von Anfang gar nicht recht in die Konversation zu finden wußte. Denn einmal machten mir jene Kunstwörter (termini technici) von welchen ich oben schon eine kleine Probe gegeben habe, viel zu schaffen; ich verwechselte oft »Sau«, das Glück, mit »Pech«, was Unglück bedeutet, wie auch »holzen«, mit einem Stock schlagen, mit »pauken«, mit andern Waffen sich schlagen.
Aber auch etwas anderes fiel mir schwer; wenn nämlich nicht von Hunden, Paukereien, Besen oder dergleichen gesprochen wurde, so fiel man hinter dem Bierglas in ungemein transzendentale Untersuchungen, von welchen ich anfangs wenig oder gar nichts verstand, ich merkte mir aber die Hauptworte, welche vorkamen, und wenn ich auch in die Konversation gezogen wurde, so antwortete ich mit ernster Miene »Freiheit, Vaterland, Deutschtum, Volkstümlichkeit.«
Da ich nun überdies ein großer Turner war, und eigentlich »teufelmäßige« Sprünge machen konnte, da ich mir überdies nach und nach ein langes Haar wachsen ließ, solches fein scheitelte und kämmte, einen zierlich ausgeschnittenen Kragen über den deutschen Rock herauslegte, mich auch auf die Klinge nicht übel verstand, so war es kein Wunder, daß ich bald in großes Ansehen unter diesem Volke kam. Ich benutzte diesen Einfluß soviel als möglich, um die Leute nach meinen Ansichten zu leiten und zu erziehen, und sie »für die Welt zu gewinnen«.
Es hatte sich nämlich unter einem großen Teil meiner Kommilitonen ein gewisser frömmelnder Ton eingeschlichen, der mir nun gar nicht behagte und nach meiner Meinung sich auch nicht für junge Leute schickte. Wenn ich an die jungen Herrn in London und Paris, in Berlin, Wien, Frankfurt etc. dachte, an die vergnügten Stunden, die ich in ihrem Kreise zubrachte, wenn ich diese Leute dagegenhielt, die ich ihren schönen hohen Wuchs, ihre kräftigen Arme, ihren gesunden Verstand, ihre nicht geringen Kenntnisse nur auf dem Turnplatz, nicht im Tanzsaal, nur zu überschwenglichen Ideen und Idealen, nicht zu lebhaftem Witz, zu feinem Spott, der das Leben würzt und aufregt, anwenden sah, wenn ich sie, statt schönen Mädchen nachzufliegen, in die Kirche schleichen sah, um einen ihrer orthodoxen Professoren anzuhören, so konnte ich ein widriges Gefühl in mir nicht unterdrücken.
Sobald ich daher festen Fuß gefaßt hatte, zog ich einige lustige Brüder an mich, lehrte sie neue Kartenspiele, sang ihnen ergötzliche Lieder vor, wußte sie durch Witz und dergleichen so zu unterhalten, daß sich bald mehrere anschlossen.