Wilhelm Hauff: Märchen, Romane, Erzählungen & Gedichte. Wilhelm Hauff

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zu freudigem Kampf aufzumuntern schien, hatten ihn mit tausend Qualen gefoltert. An seiner Seite war sein Vater gefallen, er hatte gehört, wie der Sterbende den Ruhm seines Namens und ein leuchtendes Beispiel als einziges Erbe dem unmündigen Knaben zusandte; dieser Mann war es, der ihm jetzt so liebevoll die Schranken öffnete, und auch ihm mußte er in so zweideutigem Licht erscheinen.

      Er hatte sich unter diesen trüben Gedanken langsam dem Tor der Stadt genähert, als er sich plötzlich am Arm ergriffen fühlte; er sah sich um, ein Mann, dem Anschein nach ein Bauer, stand vor ihm.

      "Was willst Du?", fragte Georg etwas unwillig, in seinen Gedanken unterbrochen zu werden.

      "Es kommt darauf an, ob Ihr auch der Rechte seid", antwortete der

       Mann "Sagt einmal, was gehört zu Licht und Sturm?"

      Georg wunderte sich ob der sonderbaren Frage und betrachtete jenen genauer. Er war nicht groß, aber kräftig; seine Brust war breit, seine Gestalt gedrungen. Das Gesicht, von der Sonne braun gefärbt, wäre flach und unbedeutend gewesen, wenn nicht ein eigener Zug von List und Schlauheit um den Mund und aus den grauen Augen Mut und Verwegenheit geleuchtet hätten. Sein Haar und Bart war dunkelgelb und gerollt; er trug einen langen Dolch am ledernen Gurt, in der einen Hand hielt er eine Axt, in der andern eine runde, niedere Mütze aus Leder.

      Während Georg diese flüchtigen Bemerkungen machte, wurden auch seine

       Züge lauernd beobachtet.

      "Ihr habt mich vielleicht nicht recht verstanden, Herr Ritter", fuhr jener nach kurzem Stillschweigen fort, "was paßt zu Licht und Sturm, daß es zwei gute Namen gibt?"

      "Feder und Stein!" antwortete der junge Mann, dem es auf einmal klar wurde, was unter jener Frage zu verstehen sei. "Was willst Du damit?"

      "So seid Ihr Georg von Sturmfeder", sagte jener, "und ich komme von

       Marien von—"

      "Um Gottes willen, sei still, Freund, und nenne keinen Namen", fiel

       Georg ein, "sage schnell, was Du mir bringst."

      "Ein Brieflein, Junker!" sprach der Bauer, indem er die breiten, schwarzen Kniegürtel, womit er seine ledernen Beinkleider umwunden hatte, auflöste und einen Streifen Pergament hervorzog.

      Mit hastiger Freude nahm Georg das Pergament; es waren wenige Worte mit glänzend schwarzer Tinte geschrieben:

      "Bedenk' Deinen Eid—Flieh bei Zeit.

       Gott Dein Geleit.—Marie Dein in Ewigkeit."

      Es liegt ein frommer, zarter Sinn in diesen Worten; und wer sich ein liebendes Herz dazu denkt, wie es mit diesen Zeilen in die Ferne fliegen möchte, ein Auge voll Zärtlichkeit, umflort von einem Schleier stiller Tränen, einen holden Mund, der das Blättchen noch einmal küßt, verschämte Wangen, die bei diesem geheimnisvollen Gruß erröten, wer dies hinzudenkt, der wird es Georg nicht verargen, daß er einige Augenblicke wie trunken war. Ein freudiger, glänzender Blick, nach den fernen blauen Bergen hin, dankte der Geliebten für ihren tröstenden Spruch; und wahrlich, er war auch zu keiner anderen Zeit nötiger gewesen als gerade jetzt, um den gesunkenen Mut des jungen Mannes zu erheben. Wußte er doch, daß ein Wesen, das teuerste, das für ihn auf der Erde lebte, ihn nicht verkannte. Der Schluß jener Zeilen erhob sein Herz zur alten Freudigkeit, er bot dem guten Boten die Hand, dankte ihm herzlich und fragte, wie er zu diesen Zeilen gekommen sei.

      "Dacht' ich's doch", antwortete dieser, "daß das Blättchen keinen bösen Zauberspruch enthalten müsse; denn das Fräulein lächelte so gar freundlich, als sie es mir in die rauhe Hand drückte. Es war vergangenen Mittwoch, als ich nach Blaubeuren kam, wo unser Kriegsvolk stand. Es ist dort in der Klosterkirche ein prächtiger Hochaltar, worauf die Geschichte meines Patrons, des Täufers Johannes, vorgestellt ist. Vor sieben Jahren, als ich in großer Not und einem schmählichen Ende nahe war, gelobte ich alle Jahre um diese Zeit eine Wallfahrt dahin. So hielt ich es alle Jahre seit der Zeit, da mich der Heilige durch ein Wunder von Henkers Hand errettet hat. Wenn ich nun mein Gebet verrichtet hatte, ging ich allemal zum Herrn Abt, um ihm ein Paar schöne Gänse oder ein Lamm zu bringen, oder was er sonst gerade gerne hat.—Aber ich langweile Euch mit meinem Geschwätz, Junker?"

      "Nein, nein, erzähle nur weiter", antwortete Georg, "komm, setze Dich zu mir auf jene Bank."

      "Das würde sich schön schicken!" entgegnete der Bote, "wenn ein Bauer an des Junkers Seite sitzen wollte, den der Oberfeldhauptmann vor aller Augen so oft gegrüßt hat; erlaubt mir, daß ich mich vor Euch hinstelle."

      Georg ließ sich auf einen Steinsitz am Weg nieder, der Bauer aber fuhr, auf seine Axt gestützt, in seiner Erzählung fort: "Ich hatte diesmal bei den unruhigen Zeiten wenig Lust zur Wallfahrt, aber 'gebrochener Eid tut Gott leid', heißt es, und so mußte ich mein Gelübde vollbringen. Wie ich vom Gebet aufstand, um dem Abt zu bringen, was recht ist, sagte mir einer der Pfaffen, daß ich diesmal nicht zu Seiner Ehrwürden könne, weil viele Herren und Ritter dort zu Besuch seien. Ich bestand aber doch darauf, denn der Abt ist ein leutseliger Herr und hätte mir's nicht verziehen, wenn ich ihn nicht heimgesucht hätte. Wenn Ihr je ins Kloster hinauskommt, so vergeßt nicht nach der Treppe zu schauen, die vom Hochaltar zum Dorment führt. Sie geht durch die dicke Mauer, welche die Kirche ans Kloster schließt, und ist lang und schmal. Dort war es, wo mir das Fräulein begegnet ist. Es kommt mir nämlich ein feines Weibsbild im Schleier mit Brevier und Rosenkranz die Treppe herab entgegen, ich drücke mich an die Wand, um sie vorbeizulassen, sie aber bleibt stehen und spricht: 'Ei, Hans, woher des Wegs?'"

      "Woher kennt Euch denn das Fräulein?" unterbrach ihn Georg, "Meine

       Schwester ist ihre Amme, und—"

      "Wie, die alte Rose ist Eure Schwester?" rief der junge Mann "Habt Ihr sie auch gekannt?" fragte der Bote. "Ei, seh doch einer! Aber daß ich weiter sage: Ich hatte meine große Freude, sie wiederzusehen, denn ich besuchte meine Schwester häufig in Lichtenstein und habe das Fräulein gekannt, als man sie noch in ihres Vaters Schwertkuppel gehen lehrte. Aber ich hätte sie kaum wieder erkannt, so groß war sie geworden, und die roten Wangen sind auch weg wie der Schnee am ersten Mai. Ich weiß nicht, wie es ging, aber mich dauerte ihr Anblick in der Seele, und ich mußte fragen, was ihr fehle und ob ich ihr nicht etwas helfen könne? Sie besann sich dann eine Weile und sagte dann: 'Ja, wenn Du verschwiegen wärest, Hans, könntest Du mir wohl einen großen Dienst leisten!' Ich sagte zu, und sie bestellte mich nach der Vesper."

      "Aber wie kommt sie nur in das Kloster?" fragte Georg, "Sonst darf ja doch kein Weiberschuh über die Schwelle."

      "Der Abt ist mit ihrem Vater befreundet, und da so viel Volk in Blaubeuren liegt, so ist sie dort besser aufgehoben, als im Städtchen, wo es toll genug zugeht. Nach der Vesper, als alles still war, kam sie ganz leise in den Kreuzgang. Ich sprach ihr Mut zu, wie es eben unsereins versteht, da gab sie mir dies Blättchen und bat mich, Euch aufzusuchen."

      "Ich danke Dir herzlich, guter Hans", sagte der Jüngling. "Aber hat sie Dir sonst nichts an mich aufgetragen?"

      "Ja", antwortete der Bote, "mündlich hat sie mir noch etwas aufgetragen; Ihr sollt Euch hüten, man habe etwas mit Euch vor."

      "Mit mir?" rief Georg. "Das hast Du nicht recht gehört, wer und was soll man mit mir vorhaben?"

      "Da fragt Ihr mich zu viel", entgegnete jener, "aber wenn ich es sagen darf, so glaube ich, die Bündischen. Das Fräulein setzte noch hinzu, ihr Vater habe davon gesprochen, und hat nicht der Frondsberg Euch heute zugewinkt und Euch geehrt wie des Kaisers Sohn, daß sich jedermann darob verwunderte? Glaubt nur, es hat

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