Der Teufel: Sein Mythos und seine Geschichte im Christentum. Max Henning
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Aber mit seinem Sturz ist Satans Macht noch nicht gebrochen. Auf der Erde tobt er in gewaltigem Grimme weiter, und zwar in den Verfolgungen der römischen Weltmacht, wie das in den folgenden Kapiteln geschildert wird, und überdies in dem zweiten furchtbaren Tier, dem Antichristen als Lügenprophet, bis das Gericht über Babylon-Rom, »die Mutter der Buhler und aller Greuel der Welt«, stattgefunden hat, die Messiasschlacht geschlagen, der Drachen, die alte Schlange, auf tausend Jahre gebunden und in der Unterwelt versiegelt ist, um dann im Endgericht in den See voll Feuer und Schwefel geworfen und dort gepeinigt zu werden Tag und Nacht, von Ewigkeit zu Ewigkeit, und mit ihm der Tod und der Hades (das Totenreich), die Feigen und die, die vom Glauben abfallen, die mit Greuel Befleckten und die Mörder und Buhler, Zauberer und Götzendiener und alle Lügner, während sich dagegen der neue Himmel und die neue Erde und das neue Jerusalem mit allen Gläubigen in bräutlich-lichter Schönheit für alle Ewigkeit erhebt.
Auch diese letzten, von der jüdischen Apokalyptik übernommenen Schilderungen, in denen wir den Messias gänzlich vermissen, weisen handgreiflich in die parsistische Vorstellungswelt zurück, die allerdings wiederum durchtränkt ist von der uralten babylonischen Weltzeitalterslehre. Auch Zarathustras Reich der Vollendung geht der große Entscheidungskampf zwischen den Gläubigen und Ungläubigen voraus, das große Gericht und die große Läuterung, nach der die »Lüge« untergeht. Ebenso verkündet die spätere Ausbildung seiner Lehre das Kommen des Heilands, des Saoshyant, durch dessen Kraft die Toten zum Leben erweckt werden.
Parsistische und daneben babylonische Einwirkungen auf die religiöse Vorstellungswelt der Juden haben also ihren Satan erschaffen, dessen Ausbildung im Christentum zu dem uns geläufigen Teufel dann seine eigenen Wege geht.
Bisher hatten wir nur den reinen Mythos kennengelernt. Seine Vergeschichtlichung und bereits beginnende Theologisierung tritt uns nunmehr in den Evangelien und der Epistelliteratur des Neuen Testaments entgegen. Das himmlische, den Messias gebärende Weib ist hier zur Jungfrau Maria geworden; der Drache, der das neugeborene Knäblein verschlingen will, zum Menschenungeheuer des bethlehemitischen Kindermordes Herodes; die Flucht in die Wüste auf dreiundeinhalb Zeiten zur Flucht nach Ägypten, bis Herodes gestorben; Jesu Wirken aber auf Erden und sein Sterben und Auferstehen zum großen Drama der Erlösung der Menschheit aus der Gewalt des Teufels und den Folgen seiner ersten Verführung, dem Tod. Die Frage nach der Geschichtlichkeit der Person Jesu von Nazareth bedarf hier keiner Erörterung, wiewohl uns der geschichtliche Jesus durchaus problematisch erscheint. Nach den ersten drei Evangelien herrscht der Teufel in der Welt als der Urheber alles Bösen und aller Übel. Durch seine Dämonenscharen nimmt er von den Menschen Besitz und plagt sie mit allerlei Krankheit. Überall sucht er durch Ausstreuen bösen Samens und durch Verführung das Wort Gottes aus den Herzen zu reißen. Nach Jesu Taufe und nachdem der heilige Geist über ihn gekommen ist, beginnt der Kampf auf Leben und Tod zwischen dem Messias und dem Teufel. Seiner Natur entsprechend, versucht der Satan zunächst als listiger Verführer ihn von seinem Erlösungswerk abzubringen, indem er sich ihm als Versucher naht und ihm die Herrschaft der Welt anbietet, wenn er vor ihm niederfallen und ihn anbeten würde. Jesus weist ihn jedoch zurück, und der Satan muß von ihm weichen, bis seine Stunde gekommen ist. Nun nimmt Jesus sein Wirken vornehmlich mit der Austreibung der Dämonen auf, die ihn schon von ferne wittern und vor ihm erzittern. Seine Jünger aber vermögen schon mit seinem Namen allein die unsauberen Geister auszutreiben. Jesus frohlockt über ihre Erfolge und sieht in einer Vision den Satan bereits wie einen Blitz vom Himmel stürzen. Und doch, die Stunde kommt, da er über Jesus für einen Augenblick triumphieren kann. Beim letzten Abendmahl vermag er selbst in Judas (Vertreter des jüdischen Volkes) hineinzufahren, und dieser, nunmehr in Satans Hand, verrät den Messias und führt dadurch seinen Kreuzestod herbei, mit dem sich aber Satan selbst betrügt, da in ihm gerade des Messias endgültiger Triumph über den Satan besteht. Des Messias Auferstehung und Himmelfahrt zur Rechten Gottes, von dannen er kommen wird zu richten die Lebendigen und die Toten, schließt das mythische Welterlösungsdrama ab.
Im vierten, dem sogenannten Logosevangelium oder dem »geistlichen« Evangelium, hat der Teufel die Züge des Volksglaubens eingebüßt und einen metaphysischen Zug angenommen. Gott und Welt, Licht und Finsternis in übertragener Bedeutung, stehen sich hier dualistisch gegenüber. Der Teufel wirkt als böses Prinzip in der Welt, insbesondere aber im gesamten gottfeindlichen Judentum, das zu einer »Synagoge des Satans« geworden ist.
Zahlreich sind die Namen und Bezeichnungen des Teufels im Neuen Testament außer den schon erwähnten. Er heißt auch schlechthin »der Böse«, »der Feind«. Er ist der Urmörder, neben dem Verführer Evas auch der Anreizer Kains zum Brudermord, der Urlügner, der Sünder von Anbeginn und ohne Ende. Als Verführer ist er verwandlungsfähig und vermag selbst die Gestalt eines Lichtengels anzunehmen. Als Fürst dieser Welt ist er nunmehr auch der Herrscher einer in Rangklassen abgestuften Dämonenschar, eines teuflischen Gegenreiches gegenüber dem Reiche Gottes mit seinen Engelscharen. Während aber Gott mit seinen Engeln im reinen Himmel über der Welt thront, haust der Teufel mit seinen Scharen in der dicken atmosphärischen Luft. Er heißt auch Belial oder Beliar und Beelzebub oder Beelzebul. Beelzebub war der Name des großen Philistergottes zu Ekron, an den sich Israel in seiner Not zum Kummer des Propheten Elias wandte. Er führt seinen Namen als »Fliegengott« nach seinem Symbol der Fliege als Krankheiten und Tod bringendem Tier. Der andere Name Beelzebul aber, »Mistgott«, erscheint als Herabwürdigung der Gottheit des einst für Israel so gefährlichen Philistervolkes zu einem Götzen, da im Talmud Götzendienst als »Sebul«, als »Mist«, bezeichnet wird. Nach anderer Auffassung würde Beelzebul bedeuten: Herr der (himmlischen) Wohnung, Himmelsgott (? ?).. Noch weiter geht die jüdische Herabwürdigung des Philistergottes darin, daß sie ihn schließlich mit dem Teufel gleichsetzt. Ein Verfahren übrigens, das die Kirche später als gelehrige Schülerin von den Juden übernahm, indem sie alle heidnischen Götter nicht etwa zu wesenlosen Phantasiegebilden, sondern zu Dämonen im Dienste des Teufels herabdrückte.
In stiller, listiger Arbeit, auf Schleichwegen, nach dem 1. Petrusbrief aber auch als »brüllender Löwe«, sucht der Teufel nach des Messias Himmelfahrt das von ihm in seinen Jüngern und Gläubigen errichtete Reich Gottes zu verderben. Er streut Unkraut in den Weizen, den Samen des Unglaubens in die Herzen der Gläubigen, die dadurch, daß sie mit Christus gestorben, von den »Elementargeistern« befreit sind, verfinstert den Verstand und verkehrt den Willen. Besonders durch Fleischeslust sucht er die Menschen zu verführen, da der Grundzug dieser Welt die Sinnlichkeit ist. Er wirkt ebensowohl im christusfeindlichen Judentum als im heidnischen Götzendienst und den Irrlehrern. Wer aus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgestoßen wird, verfällt dem Teufel.
Woher aber die reiche Dämonenwelt und die nunmehr ausgesprochen widergöttliche Natur des Teufels? Die Bibelauslegung, besser Bibeleinlegung, mußte die theologische Begründung des Volksglaubens liefern. Im sechsten Kapitel des ersten Buches Mosis findet sich ein Trümmerstück altisraelitischer Mythologie, das von Gottessöhnen berichtet, die da sahen, daß die Menschentöchter lieblich anzuschauen waren, so daß sie sich zu Weibern nahmen, die ihnen irgend gefielen. Aus dieser göttlich-menschlichen Verbindung entsproßten dann, genau wie in den Mythologien anderer Völker, die großen Helden der Vorzeit. Diese Gottessöhne erschienen den jüdischen Rabbinen durch ihren Trieb zur Materie, durch ihre Sinnlichkeit, als von Gott abgefallene Engel und zur Strafe dafür von Gott in die Unterwelt verstoßen. Die urchristliche Dämonenlehre, wie sie uns im Jakobus-, Judas- und zweiten Petrusbrief entgegentritt, übernimmt die jüdischen Vorstellungen jener Zeit, wie sie uns im Henochbuch, dem vierten Esrabuch