Dalmatinische Reise. Bahr Hermann
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Cattaro
Oben, beim Obelisken, als wir den Wagen verlassen, tritt der Prinz auf mich zu, um mich zu begrüßen. Er ist sehr nett mit mir. Nur haben Aristokraten, wenn sie mit pöbelhaften Leuten nett sind, bei uns das, daß sie darüber selbst zu sehr gerührt sind; es treten ihnen über ihre Herablassung die Tränen in die Augen. Wer weiß übrigens, wie man selbst an ihrer Stelle wäre! Wir sind ja schließlich in einem Staat, wo heute noch der Fürst, der Graf ein höheres Wesen ist, nicht gesetzlich, aber wirklich, der Macht nach. Jedes Gespräch eines Adligen mit einem Bürger beruht eigentlich also auf einer Fiktion. Beide fingieren, daß die Rechtsungleichheit ausgelöscht sei. Beide wissen aber, daß sie das doch eben, um miteinander sprechen zu können, bloß fingieren. Und das macht beide verlegen. Der Fürst denkt: Ich bin doch sehr aufgeklärt, ich prügle diesen Bürger nicht, sondern spreche sogar mit ihm, wie mit einem Menschen! Und der Bürger denkt: Er könnte mich auch prügeln! Natürlich merkt man das dann der gegenseitigen Nettigkeit an. Ich glaube nicht, daß ein Lord und ein englischer Schneider, wenn sie miteinander sprechen, dies denken.
Wir stehen am Obelisken. Unter uns die Stadt, der Hafen mit Schiffen und Barken, den rauchenden Schlöten und den roten, gelben, braunen Segeln, das blaue Meer, die gelinde Bucht von Muggia, die grelle Küste bis Pirano, rechts aber der glitzernde Golf bis zu den Lagunen, weiß glänzt Grado, weiß der Turm von Aquileja her. Seestrandkiefern, Oliven und Wein. Hinter uns der Schnee der Karnischen und Julischen Alpen; der Mangard ragt, der Ternovaner Wald dunkelt, hell sind kleine Dörfer eingestreut. Rings um uns aber der steinige graue Karst, die Wüste. Dreihundertvierzig Meter sind wir hoch, das Meer atmet herauf, wie von Blüten ferner Inseln riecht die Luft, Schneewind springt aus den Bergen. Eine Alm am Meer. Ich sage: Hier könnten drei Sanatorien, fünf Hotels, siebenhundert Villen und zehntausend Engländer sein! Der Statthalter seufzt: Ja, was könnte hier nicht alles sein! Und Sie müßten erst Istrien kennen! Istrien kennt ja niemand, das ist wie ein Märchen! Ich sage: Also bauen Sie doch hier, Durchlaucht! Er antwortet, mit leisem Spott: Es ist ja eigentlich nicht der Beruf der Statthalterei, Hotels zu bauen.
Ich möchte nur wissen, was eigentlich der Beruf der Statthalterei ist, wenn es nicht ihr Beruf ist: Hotels zu bauen, Straßen zu bauen, Brücken zu bauen, Bahnen zu bauen, Schiffe zu bauen, alles zu bauen, was notwendig ist und was die Leute selbst nicht bauen, weil es ihnen an Einsicht, an Geld und an Zutrauen fehlt. Der Statthalter sagt: Was könnte hier nicht alles sein! Wenn er nun nicht der Statthalter, sondern ein Italiener wäre, so würde er sicher sagen: Was könnte hier nicht alles sein, wenn wir einen anderen Staat hätten! Und er wäre somit ein Irredentist.
Ich gehe dann, auf der Höhe, einen wunderschönen einsamen Weg durchs Gestein, den entzückten Blick auf Miramar und über das schäumende Meer hin, nach dem weinberühmten Prosecco und von dort nach Barcola hinab. Auf dem Meer verlischt der Tag, alles ist plötzlich groß und still geworden, ein ungeheurer Ernst steht auf der grauen Bahn der verstummten Bucht. Manchmal rollt ein Stein aus den Dolinen los, durch das ungeheure Schweigen.
Wie heißt der Weg, den wir gehen? Jetzt Stefanieweg, zur Erinnerung an einen Besuch der Kronprinzessin, aber das Volk nennt ihn immer noch den Napoleonweg. Napoleon? Ja, Napoleon war einmal in Triest, und dort oben, wo wir früher gestanden haben, stand auch er einst und sagte, nach Grignano hinzeigend: Hier gehört ein Weg her, ich will hier einen Weg, hier will ich gehen, wenn ich wiederkomme! Und der Weg war. Napoleon ist nicht wiedergekommen. Aber der Weg ist noch immer da. Nur ein bißchen steinicht und verwahrlost ist er jetzt.
Ich erinnere mich, im Memorial einmal gelesen zu haben, wie Napoleon von einem Begleiter gefragt wird, warum er ihm denn einst irgendeine Kommission zugewiesen, von der der Begleiter nichts verstanden. Nun, antwortet der Cäsar, ist sie dir nicht gelungen? Ja, sagt der Begleiter, aber ich wundere mich noch heute. Siehst du, sagt Napoleon, es kommt eben gar nicht darauf an, daß einer eine Sache gelernt hat, sondern darauf, daß er überhaupt Verstand hat; dem Dummen nutzt es nichts, sie gelernt zu haben, und der Gescheite hat es gar nicht erst nötig. – Napoleon wußte, daß man etwas noch lange nicht kann, wenn man es kennt. Kenntnisse kann man sich jeden Moment verschaffen, Bücher und Lehrer sind überall, aber das Können muß man haben. Wir verwenden »gelernte« Leute, er zog gescheite Leute vor. Worin er dem Hofrat Burckhard gleicht, der auch gern sagt, daß er sich ein Haus lieber von einem begabten Schneider als von einem dummen Architekten bauen und einen Katarrh lieber von einem klugen Briefträger als von einem albernen Arzt behandeln läßt. Aber unser Land wird durch Fachleute verheert. Ein Fachmann ist, wer etwas gelernt hat und es nicht versteht.
Nun schreiten wir am Meer, das Wasser gluckst, der Abend schwebt mit schwarzen Schwingen. Ich denke still bei mir an unser Land, an unsere Leute. Wenn man sie reden hört, ist immer der andere schuld. Jeder will das Beste, aber an dem anderen fehlt's. Und jeder will zunächst den anderen ändern, das scheint ihm das Wichtigste; er kümmert sich um den anderen viel mehr als um sich selbst. Und wir haben auch eine merkwürdige Art von Egoismus im Land. Sonst will ein Egoist, daß es ihm so gut als möglich gehe. Hier nicht. Hier kommt es dem Menschen weniger darauf an, daß es ihm gut gehe, als darauf, daß es dem anderen schlecht gehe. Das nennt man den nationalen Kampf. Auch wollen sie nichts wagen. Sie wollen »sicher« gehen. Lieber ein sicheres Elend als ein ungewisses Glück. Und dann diese österreichische Todesangst vor jeder Veränderung, oben und unten. Nur im Gewohnten bleiben! Warten wir lieber noch ein bissel! Der psychische Apparat scheint schlecht geschmiert und knarrt, wenn er sich bewegen soll. Wenn man in Wien, um Licht und Luft zu kriegen, irgendein altes Haus fällen muß, weinen alle. Und so warten wir immer lieber noch ein bissel. – Man darf schließlich auch gegen die Regierung nicht ungerecht sein. Ihr ärgster Fehler ist, daß sie volkstümlich ist. Sie gleicht unserem Volke. Wir hätten eine nötig, die fremdartig wäre. Wir müßten einmal einen ungemütlichen Regenten haben.
Und dann irren durch dieses Land solche Querulanten wie ich, ruhelos, die voll Zorn sind, an ein starkes Österreich glauben und es suchen gehen, während der Abend mit seinen großen schwarzen Augen über das glucksende Wasser schaut.
4.
Mein Schiff heißt Baron Gautsch, der Kapitän Zamara. Er sieht halb wie ein Verführer, halb wie ein Verschwörer und ganz wie ein Gebieter aus. Don Juan und Orsini und Tegetthoff, von jedem grad so viel, daß die Mischung alle Frauen beben macht, was ja zu seinen Obliegenheiten gehört. Der Rasse nach ein Spanier, die Eltern haben in Mailand gelebt, er spricht Italienisch, Kroatisch, Deutsch, Französisch und Englisch; alles zusammen gibt einen echten Österreicher, an dem man seine Freude hat. Gewandt,