Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler. Артур Шницлер

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Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler - Артур Шницлер

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hatte Adalbert die furchtbare Gefahr, in der er schwebte, bisher kaum erwogen. War es nicht geraten vorzubauen, soweit das noch möglich war? Sollte er nicht unverzüglich Audienz nehmen beim Herzog und ihn 70 aufklären, daß es mit ihm, dem Richter Wogelein, keineswegs so bestellt sei, wie man nach des Tobias Klenk Geschwätz und Gebaren wohl hätte vermuten dürfen? Daß er ein redlicher und treuer, wenn auch eigenwillig und mutig denkender Beamter des Herzogtums war, der sich in seinem Leben nichts Böses hatte zuschulden kommen lassen?

      Und nun erst kam die rechte Erbitterung über ihn. Welch ein heilloser Narr dieser Tobias in jedem Falle! Was war ihm nur ins Gehirn gefahren, daß er sich vor dem Herzog als Empörer gebärdet, ja bekannt hatte, ehe die Zeit für solche Vermessenheit gekommen war? Hatte er nicht Verdacht geweckt gerade an der Stelle; wo Mittel zu Gebote standen, Verschwörungen nachzuspüren, sie im Keim zu ersticken und ihre Anstifter aufs grausamste zu bestrafen? Und was hatte es überhaupt für eine Bewandtnis mit der Verschwörung, von der Tobias immer in dunklen Worten redete? Und wo steckten sie denn, die Kameraden, die nur auf die Zeichen warteten? Und 71 was waren das für Zeichen, die kommen sollten –? Ha, ob dem Tobias Klenk nicht am Ende selbst bange geworden war vor gewissen Verpflichtungen, die er auf sich genommen, vor Schwüren, die er geleistet – und ob er sich nicht einfach ins Gefängnis hatte sperren lassen, um vor den Mahnungen und Befehlen seiner Spießgesellen in Sicherheit zu sein? – Und nun stand er, Adalbert Wogelein, als der allein Verantwortliche, als eingeweiht gewissermaßen, stand selbst als ein Verschworener da, gerade er, der im Grunde von der ganzen Sache so gut wie gar nichts wußte und nicht das geringste verstand –?

      Und wie, wenn nun die Verschwörer, die jetzt, wenn man dem Tobias glauben durfte, verstreut, an verschiedenen Orten des Deutschen Reichs in der Verborgenheit warteten, hier in Karolsmarkt erschienen und ihn zur Rechenschaft forderten dafür, daß er den Tobias Klenk ins Gefängnis gesperrt hatte –?

      Schweißtropfen perlten ihm auf der Stirn. Gefahren überall – es war, um toll zu werden. 72 Er war so rasch gegangen, daß er sein Haus schon zu sehen vermochte, das, als das letzte im Ort, in freundlicher Spätnachmittagsstille mit blühendem Flieder im Vorgarten, friedlich und unbeirrt heiter dalag, obzwar indes graue Wölkchen am Himmel heraufgezogen waren. Nun, hier sah es keineswegs danach aus, als wenn Häscher irgendwo im Hinterhalt lauerten.

      Doch nun war es ein anderer Gedanke, der ihn ganz plötzlich beunruhigte und schlimmer beinahe, als es die früheren getan: er mußte sich gestehen, daß er dem Wiedersehen mit Agnes geradezu mit Angst entgegensah. Am Morgen, da er das Haus verlassen, war sie noch zu Bette gelegen, und eine unbegreifliche Befangenheit hatte ihn erfüllt, als sie ihm mit fremdem Blick, in dem keine Erinnerung des vergangenen Abends mehr zu schimmern schien, die Stirne zum Morgenkuß geboten und sich gleich wieder, als wollte sie den Beginn eines neuen Tages überhaupt noch nicht wahrhaben, abgewandt und die Augen geschlossen 73 hatte. Wie würde sie ihn nun empfangen? Wie aufnehmen, was er ihr zu erzählen hatte?

      Er fand Agnes im Erker sitzen, den Blick dem Wäldchen zugewandt, das, ein paar Schritte von hier beginnend, sich bis zum Schlosse Karolslust und darüber hinaus erstreckte, und eine Häkelarbeit ruhte ihr im Schoß. Sonst, wenn sie Adalberts Schritt nur hörte, pflegte sie ihre Arbeit zu unterbrechen und ihm entgegenzugehen. Heute aber schien sie seinen Eintritt zuerst nicht zu bemerken; dann, ganz plötzlich, erhob sie sich, lief ihm entgegen und umhalste ihn so stürmisch, wie es sonst ihre Art nicht war. Zuerst stutzte er, dann dachte er aufatmend: Sie weiß schon! Man hat ihr berichtet, wie würdig ich mich gehalten habe, und sie ist stolz auf ihren Gatten. Er überließ der Magd Mantel und Hut, und heiter bemerkte er: »Das Essen ist hoffentlich fertig. Ich darf sagen, daß ich mich bei recht gutem Appetit befinde.«

      Als die Magd das Zimmer verlassen, wollte Agnes, wie sie es manchmal halb scherzend zu 74 tun pflegte, selbst die Perücke vom Haupte ihres Gatten entfernen. Er ließ es sich nicht gefallen und behielt sie, als gälte es, Würde zu bewahren, auf dem Kopf.

      »Nun, wie hat man sich heute den ganzen Tag befunden?« fragte er vergnügt. »Viel geschafft in Haus und Garten? Besuch empfangen?«

      Sie verneinte. Er wunderte sich. Wenn niemand dagewesen war, woher wußte sie? Und wenn sie nicht wußte, was war es, das sie so fröhlich machte? Und vorsichtig fragte er: »Was hast du denn, meine liebe Frau? So guter Dinge und dabei so schweigsam kenn’ ich dich gar nicht.«

      »Denk’ nur, Adalbert«, sagte sie, und ihre Augen leuchteten. »Gleich nachdem du fortgingst heute morgen, ich war eben aufgestanden, fuhr der Herzog vorbei und winkte mir einen Gruß zu.«

      Dem Adalbert Wogelein wollte das Herz vor Grimm erstarren. Er ließ sich’s nicht merken, und mit abgewandtem Gesicht sagte er: »Das ist weiter nicht wunderbar. Er kann 75 wohl nicht anders als an unserem Haus vorbeifahren, wenn er von der Residenz über Karolslust in den Markt will.«

      »Und ich, denk’ nur Adalbert, erkannte ihn nicht gleich. Ich dachte, es sei ein Hofkavalier oder sonstwas von der Art. Erst als er lächelte und grüßte, wußte ich, daß er es war und kein anderer. Und da verneigte ich mich tief.« Und in der Erinnerung neigte sie sich wieder und blieb eine Weile in dieser Haltung stehen.

      »Da hast du recht daran getan,« sagte Adalbert mit noch verhaltenem Grimm, »daß du dich so höflich verneigt hast. Es muß freilich etwas komisch ausgesehen haben, wenn du dabei geradeso rot geworden bist, wie jetzt, – da du mir’s berichtest.«

      Mühselig beherrscht, nahm er sie um die Hüfte, sie sah ihn befremdet von der Seite an, und er geleitete sie zum Tisch, wo eben die Suppe aufgetragen war.

      Agnes teilte vor und sagte: »Es mag wohl sein, daß ich ihm etwas komisch erschienen 76 bin, denn er wandte sich lächelnd nach mir um und winkte mir nochmals einen Gruß zu.« Sie hob die Hand und winkte in der gleichen Art, wie es der Herzog getan haben mochte.

      »Ist es möglich?« rief Adalbert, mit dem Löffel heftig in seinem Teller rührend, »winkte dir einen Gruß zu? Was für ein herablassender, gnädiger Herr. Nun, wenn die Tante Katharina am Fenster gestanden wäre, dann hätte sich der Herzog wohl nicht umgewandt, vielleicht kaum gegrüßt, – die würdige Frau am Ende gar nicht bemerkt.« Und er lachte überlaut.

      »Was sprichst du denn da, Adalbert! Meinst du wirklich, sein Gruß galt meiner Jugend, meinem Blondhaar und glatten Gesicht? Er grüßt gewiß alle Menschen, Frauen und Männer, Junge und Alte auf die gleiche Weise. Hättest du ihn nur gesehen! Welche Güte, welcher Adel, welche Heiterkeit in seinem Blick! Es hat mich froh gemacht für den ganzen Tag. Nicht nur um meinetwillen, Adalbert, für uns alle!«

      77 »Wahrhaftig, Agnes, was du aus seinem Antlitz alles herauszulesen vermochtest! Es muß wohl an mir liegen, daß mir nicht das gleiche gelang. Was freilich daher kommen mag, daß ich ihn leider nicht lächeln, sondern nur eine ganz verdammte Tyrannenfratze schneiden sah.«

      Ihr blieb der Löffel zwischen Mund und Teller stehen. »Was sagst du da? Du hast den Herzog gesehen, Adalbert?«

      »Nun, was ist daran wieder Wunderbares? Denkst du, im Markte habe er sich unsichtbar gemacht? Oder er habe nur Schule, Bürgermeisteramt und Kirche besucht, ein Schachspiel, Kettlein und Ringe gekauft und sich Orgel vorspielen lassen? Bei Gericht war er gleichfalls, wie sich’s gehört, – und hatte die besondere Gnade, wohl eine Stunde lang oder mehr meiner Amtierung beizuwohnen.«

      Sie erblaßte. »Und das sagtest du mir nicht gleich, Adalbert? Was ist geschehen? Was sprachst du da früher von Tyrannenfratze und verdammt? Rede, Adalbert, rede! Mir 78 ist, als hätte ich zu heiterer Laune keinen Anlaß mehr! Er war dabei, als du über Tobias Klenk zu Gericht saßest? Rede, Adalbert! – Du hast den Tobias – am Ende gar freigesprochen?«

      Adalbert runzelte die Stirn. »Wenn ich’s nicht getan, so war es nur, um ihn vor Schlimmerem zu bewahren.« Und den Teller von

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