Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler. Артур Шницлер

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler - Артур Шницлер страница 62

Gesammelte Werke von Arthur Schnitzler - Артур Шницлер

Скачать книгу

finanziell an der Sache zu beteiligen. Und da wir gerade beim Sanatorium halten, und wenn Sie so ungefähr verstehen, was in diesem Brief da steht (ich mache es Ihnen wohl nicht allzu schwer), so können Sie die Annoncen und auch die Reisen vielleicht sparen, denn als Hausverwalterin empfehle ich mich mit dem allerbesten Gewissen. Und wäre es nicht wirklich hübsch, lieber 84 Doktor Gräsler, wenn wir zwei als Kameraden, bald hätte ich gesagt. als Kollegen, in der Anstalt zusammen arbeiten würden? Das Sanatorium nämlich, daß ich es Ihnen nur gestehe, das gefällt mir schon lange. Noch länger als der künftige Direktor. Die Lage und die Parkanlage sind ja wundervoll. Es ist ein Jammer, wie der Doktor Frank es hat verkommen lassen. Übrigens war es auch ein Fehler, daß in der letzten Zeit alle möglichen Kranken dort aufgenommen worden sind, die gar nicht hineingehören. Ich glaube, man müßte es wieder ausschließlich für Nervenleidende einrichten, selbstverständlich mit Ausschluß der wirklichen Geistesstörungen. Aber wohin gerate ich noch? Damit hat’s wohl noch Zeit – mindestens bis morgen für alle Fälle, auch wenn wir uns im übrigen nicht ganz verstehen sollten. Und Ihre Reisezeit könnten Sie jedenfalls dazu benützen, um in Berlin und in anderen großen Städten für die Anstalt Propaganda zu machen. Übrigens bin ich auch noch von meiner Krankenpflegezeit her mit einigen Berliner Professoren bekannt; vielleicht erinnern die sich meiner. Nun, 85 ich sehe, wie Sie lächeln. Ich muß es wohl hinnehmen. So ein Brief ist ja keine ganz gewöhnliche Sache. Das weiß ich wohl. Boshafte Menschen könnten sich irgend etwas denken von an den Hals werfen oder dergleichen. Aber Sie sind kein boshafter Mensch und fassen den Brief so auf, wie er geschrieben ist. Ich habe Sie lieb, mein Freund, nicht eben, wie es in Romanen steht, aber doch so recht von Herzen! Und ein wenig kommt wohl auch dazu, daß es mir so leid tut, wie allein Sie in der Welt herumziehen. Es ist wahrhaftig ganz gut möglich, daß ich diesen Brief niemals geschrieben hätte, wenn Ihre gute Schwester noch lebte. Sie war gut, ich weiß es. Und vielleicht hab’ ich Sie auch lieb, weil ich Sie als Arzt schätze. Ja. das tue ich. Mau könnte Sie zwar manchmal ein wenig kühl finden. Aber das ist wohl nur Ihre Art sich zu geben, im Innersten sind Sie gewiß teilnehmend und gut. Und das Wesentliche ist, man hat sofort Vertrauen zu Ihnen, wie es sich ja bei Mutter und Vater gezeigt hat, und damit, mein lieber Herr Doktor Gräsler, hat es doch wohl überhaupt 86 angefangen. Und wenn Sie morgen kommen, – ich will’s Ihnen nicht schwer machen – da müssen Sie nur so lächeln oder mir wieder die Hand küssen, so wie heute abend beim Abschied, dann werde ich schon wissen. Und wenn es anders sein sollte, als ich es mir einbilde, so sagen Sie mir’s eben geradeheraus. Das können Sie ruhig tun. Dann werde ich Ihnen die Hand reichen, und mir denken, es waren schöne Stunden heuer im Sommer; man muß nicht gleich unbescheiden sein und Frau Doktor oder gar Frau Direktor werden wollen, worauf es mir übrigens wirklich nicht sonderlich ankommt. Und nun merken Sie wohl auf, Sie mögen sich dann auch eine andere Frau mitbringen im nächsten Jahr, irgendeine schöne Fremde aus Lanzarote, eine Amerikanerin oder eine Australierin, aber eine echte – es bleibt jedenfalls dabei, daß ich die Bauarbeiten in der Anstalt überwache, falls es mit dieser Sache ernst wird. Denn das sind ja zwei Dinge, die im Grunde gar nichts miteinander zu tun haben. Aber nun wird es doch wohl endlich genug sein. Recht neugierig bin ich ja, ob ich Ihnen das 87 Briefchen morgen früh schicken werde? Was glauben Sie? Nun, leben Sie wohl. Auf Wiedersehen! Ich bin Ihnen gut und bleibe, wie immer es werden mag, Ihre Freundin Sabine.«

      Doktor Gräsler saß lange über diesem Brief. Er las ihn ein zweites und ein drittes Mal und wußte noch immer nicht recht, ob ihn das, was drin stand, froh oder traurig machte. Dies also war klar: Sabine war bereit, seine Frau zu werden. Sie warf sich ihm sogar an den Hals, wie sie selbst schrieb. Aber zugleich erklärte sie, daß es nicht Liebe war, was sie für ihn verspürte. Dazu sah sie ihn denn auch mit allzu hellsichtigen, man konnte wohl sagen kritischen Augen an. Sie hatte es richtig herausgebracht, daß er ein Pedant war, eitel, kühl, unentschlossen, lauter Eigenschaften, deren Vorhandensein er ja nicht bestreiten wollte, die Fräulein Sabine aber weniger an ihm bemerkt und kaum betont hätte, wenn er um zehn bis fünfzehn Jahre jünger gewesen wäre. Und er fragte sich sogleich: Wenn ihr alle seine Fehler schon aus der Ferne nicht entgangen waren, und wenn sie schon in ihrem Briefe nicht vergaß 88 sie ihm anzustreichen, wie sollte das erst später werden, in täglicher naher Gemeinschaft, die gewiß auch noch manche andere seiner Mängel für sie zutage bringen würde? Da mußte man sich tüchtig zusammennehmen, um sich zu behaupten. Immer auf der Hut sein, gewissermaßen Komödie spielen, was in seinem Alter gewiß nichts sonderlich Leichtes war, ja beinahe so schwer, als es sein mochte, aus einem etwas grämlichen, pedantischen, bequem gewordenen alten Junggesellen ein liebenswürdiger, galanter junger Ehemann zu werden. Im Anfang freilich, da würde es ja gehen. Denn sie hatte ja gewiß viel Sympathie für ihn, sogar irgendeine, man konnte es nun einmal nicht anders ausdrücken, eine Art von mütterlicher Zärtlichkeit. Aber wie lange würde das vorhalten? Nicht lange. Keineswegs länger, als bis eben wieder ein dämonischer Sänger oder ein düsterer junger Arzt oder sonst eine verführerische männliche Erscheinung auftauchte, dem das Glück bei der schönen jungen Frau um so leichter günstig sein würde, als sie ja durch die Ehe indes reifer und erfahrener geworden war.

      89 Die Wanduhr schlug halb zwei; die gewohnte Speisestunde war um ein Beträchtliches überschritten, was er als unangenehm empfand; und, seiner Pedanterie mit grimmigem Eigensinn bewußt, machte Gräsler sich auf den Weg in den Gasthof. Am Stammtisch fand er den Baumeister und einen Herrn von der Stadtverwaltung, die in ihrer Ecke beim Kaffee saßen und rauchten. Der Stadtrat nickte dem Doktor verständnisinnig zu und empfing ihn mit den Worten. »Nun, man kann ja gratulieren, wie ich höre.« – »Wieso,« fragte Doktor Gräsler fast erschrocken. – »Sie haben das Franksche Sanatorium gekauft?« Beruhigt atmete Gräsler auf. »Gekauft?« wiederholte er. »Davon ist noch keine Rede, das hängt noch von allerlei ab. Die Baracke ist ja in einem fürchterlichen Zustand. Man muß sie ja geradezu vom Grund aus neu aufbauen. Und unser Freund da«, – er studierte die Speisekarte und deutete flüchtig auf den Baumeister hin – »macht Preise –!«

      Der Baumeister widersprach lebhaft, er wollte wahrhaftig an der Sache nichts verdienen; was 90 die sogenannten Schäden anbelangte, die wären durchaus leicht zu beheben, und wenn die Aufträge schleunigst erteilt würden, so stände die Anstalt bis spätestens fünfzehnten Mai blitzblank, ja wie neu da.

      Doktor Gräsler zuckte die Achseln, ermangelte nicht darauf hinzuweisen, daß der Baumeister gestern den ersten Mai als äußersten Termin genannt hätte; übrigens wisse man ja, wie es sich mit solchen Bauarbeiten verhalte, Termin sowohl als Kosten würden immer überschritten; er seinerseits fühle sich nicht mehr frisch genug, um sich auf dergleichen Dinge einzulassen, auch der Besitzer verlange eine lächerliche Summe und »wer weiß,« fügte er, freilich in scherzender Absicht, hinzu, »ob Sie, mein lieber Herr Baumeister, nicht mit ihm unter einer Decke spielen.« Der Angesprochene fuhr auf, der Stadtrat versuchte zu besänftigen, Doktor Gräsler lenkte ein; – doch ein gutes Einvernehmen wollte sich nicht mehr herstellen, und bald ließen beide Herren, Baumeister und Stadtrat, nach kühlem Abschied den Doktor allein und mit sich unzufrieden am Tische 91 sitzen. Er berührte den letzten Gang nicht mehr und eilte nach Hause, wo ein Patient ihn erwartete, der vor der Abreise Verhaltungsmaßregeln für den Winter wünschte. Der Doktor erteilte sie zerstreut, ungeduldig, nahm sein Honorar mit schlechtem Gewissen in Empfang und verspürte einen dumpfen Groll nicht nur gegen sich, sondern auch gegen Sabine, die nicht versäumt hatte, ihm in ihrem Brief Gleichgültigkeit gegenüber seinen Kranken vorzuwerfen. Dann trat er auf seinen Balkon, zündete die kaltgewordene Zigarre von neuem an und blickte in das armselige Gärtchen hinab, wo trotz des trüben Wetters auf einer weißen Bank, das Nähkörbchen zur Seite, seine Hauswirtin wie alltäglich zu dieser Stunde mit ihrer Strickarbeit saß. Die ältliche Frau hatte noch vor drei oder vier Jahren ganz unverkennbare Absichten auf ihn gehabt; zum mindesten hatte Friederike es immer wieder behauptet, die den Bruder stets von heiratslustigen Jungfrauen und Witwen umlauert glaubte. Weiß Gott, es war nicht so weither damit gewesen. Er war ja zum Junggesellen geboren, war ein Sonderling, 92 Egoist und Philister gewesen sein Leben lang. Das hatte eben auch Sabine sehr wohl empfunden, wie aus ihrem Briefe mit zwingender Deutlichkeit hervorging, wenn sie auch aus mancherlei Gründen, unter denen die sogenannte Liebe die geringste Rolle spielte, sich ihm an den Hals zu werfen behauptete. Ja wenn sie das wirklich getan hätte, dann sähe sich die Sache anders an. Aber das, was

Скачать книгу