Aus meinem Jugendland. Isolde Kurz
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Windet zum Kranze die goldenen Ähren,
Flechtet auch blaue Zyanen hinein —
an Fülle des Seins genoß! Die güldenen Halme, das satte Blau und Rot der Blumen sahen mich daraus noch schöner an, durch einen tiefen Goldton aus der Farbenschale der Poesie verklärt. Damals waren die Worte der Sprache keine rein geistige Sache, es haftete ihnen noch eine köstliche Stofflichkeit von den Dingen, die sie bezeichnen, an. Ich lebte und webte um jene Zeit in den Schillerschen Balladen. „Die Götter Griechenlands“, „Die Klage der Ceres“, „Kassandra“ und vor allem „Das Siegesfest“ waren mir die liebsten. Ihr glockenartiger Klang bezauberte mich, während ihre Gegenstände meine innere Welt bevölkerten. Selbst ein rein philosophisch gerichtetes Gedicht wie „Das Ideal“ und „Das Leben“ war mir schon in meiner Frühzeit völlig geläufig und sogar ganz besonders teuer. Das Gedankliche darin, das ich noch nicht mitdenken konnte, empfand ich als ein dunkles prophetisches Raunen von höheren Dingen, und es wirkte poetisch, eben weil ich es nicht verstand. Zugleich hatte es auch eine erhebende Macht, wie ein unverstandenes, aber gläubig verehrtes Stück Sittengesetz. Ich hütete mich überhaupt, ein Gedicht zu zergliedern oder auch nur einem Worte nachzuforschen, dessen Sinn mir dunkel war. Denn das höhere Ahnen labte mich viel mehr als irgendeine tatsächliche Erkenntnis. Indem mir solche Verse im Heranwachsen immer gegenwärtig blieben, bemerkte ich es selber nicht, wie ich allmählich in das richtige Verständnis hinüberglitt. Ich glaube, daß unsere Mutter richtig geleitet war, als sie uns die Schillerschen Gedichte in einem so frühen Lebensalter in die Hände gab. Denn sie verbreiten neben einem reichen sachlichen Inhalt die hohe und reine Luft, worauf es doch für die Kindheit vor allem ankommt. Hernach mag sich das reifende künstlerische Bedürfnis seine Weide suchen, wo ihm am wohlsten ist. Daß meine erste Welt eine so schöne und weihevolle war, verdanke ich diesem Dichter vorzugsweise mit, obgleich er nicht ihr eigentlicher Schöpfer, sondern nur ihr Vermehrer und Erhalter gewesen ist. Die frühesten Eindrücke kamen mir aus den Homerischen Gesängen, die uns Mama, sobald wir nur geläufig lesen konnten, zunächst in prosaischer Bearbeitung, in die Hände gegeben hatte. Die griechische Götter- und Heldensage verband sich blitzschnell und unauflöslich mit unserer Vorstellung. Der Olymp mit allen seinen Insassen thronte leibhaftig in unserem Garten. Wir selber übten uns fleißig im Speerwerfen und Bogenschießen. In dem quatschigen gelben Obereßlinger Lehm bis an die Ellbogen wühlend, bauten wir die heilige Troja auf, schleppten aus dem Röhrenbrunnen zahllose Wassereimer herbei, um die Windungen des Skamanderbettes zu füllen. Dann verwandelten wir uns selbst in Helden und Götter, und um die Mauern Trojas wurde mit Macht gerungen. Ich trug wie die Brüder Helm und Schild und Lanze aus Pappdeckel und Goldpapier sowie ein mit dem Medusenhaupt geschmücktes Panzerhemd und warf den dicken Alfred, wenn er als Ares anstürmte, im Nahkampf nieder, wobei er vorschriftsmäßig brüllte „wie zehntausend Männer“. Dieser schöne Knabe, der sich selber Butzel nannte, war nach der Schilderung meiner Mutter bis ins zweite Lebensjahr das putzigste und liebenswürdigste Kerlchen gewesen; nach einer Kinderkrankheit aber hatte ihn plötzlich eine nicht zu bändigende Wildheit und Unart befallen. Von Feld und Wiesen brachte er aus dem Schatz der Bauernsprache nie gehörte schnöde Redensarten heim, die unseren Ohren ganz barbarisch klangen und bei denen man sich, da er sie nur verstümmelt und dem Klang nach auffaßte, nicht einmal etwas denken konnte.
Zuweilen kam ein Kind aus befreundetem Hause mit seinen Eltern von Stuttgart herüber und mengte sich zitternd zwischen Lust und Grausen in unser wildes Spiel. Es war ein zartes, kleines, äußerst wohlerzogenes Mädchen, dessen kühnster Traum war, einmal mit uns „dreckeln“ zu dürfen: so nannte man das Schaffen in dem feuchten Lehm, wonach man immer von Kopf zu Füßen frisch gewaschen werden mußte. Daß wir die heilige Troja bauten, war ihr zwar noch nicht aufgegangen, aber die Sache hatte auch so einen dämonischen Reiz. Bevor sie kam, unterzog Papa den rauhen Butzel einer strengen Ermahnung, das kleine Mädchen ja nicht umzuwerfen und ihr auch sonst keinen Schaden zu tun. Dies hinderte den Wildfang nicht, sich mit schreckhafter Miene vor ihr aufzupflanzen und drei peinliche Fragen an sie zu stellen: Emy, kannst du griechisch? (Er hielt nämlich die dialektfreiere Aussprache unseres Hauses dafür.) — Kannst du mit dem Fuß an den Ohren kratzen? — Sie bebte, denn sie hatte beides noch nicht versucht. Aber nun kam schnell die dritte Frage: Kannst du grunzen wie ein Schwein? Dabei wartete er die Antwort nicht ab, sondern gab alsbald selber den bezeichneten Ton von sich und mit solcher Stärke, daß die arme Kleine fast vor Schreck in die Bohnen fiel.
Bei solcher Gemütsart konnte ihm nichts besser passen als den Ares zu spielen. Ein andermal aber mußte er Hektor sein und sich von Edgar-Achilleus fällen lassen. Daß ihm bei unseren Spielen jedesmal die Rolle eines Unterliegenden zufiel, wurde mit ein Grund zu seiner immer wühlenden heimlichen Erbitterung gegen den älteren Bruder und die Schwester, vor der ich mich im Heranwachsen hüten mußte, da er mich oft unversehens mit seinem dicken Kopf anzurennen und umzuwerfen suchte. Edgar, der Bastler, verfertigte einen richtigen antiken Kriegswagen, an dem er vorhatte, den Hektor zu schleifen, allein die zwei Räder wollten nie so recht rollen, da sie vom Drechsler als massive, in der Mitte durchbohrte Scheiben geliefert wurden. Dagegen überspannte er mit Erfolg alte Zigarrenschachteln mit Darmsaiten und verfertigte Leiern daraus, auf denen die junge Götterschar fleißig klimperte. Der vierjährige Erwin fiel aber zuweilen aus der Rolle, indem er kleine Stecklein vom Boden aufhob und in den Mund steckte, um zu paffen; das ärgerte die reiferen Götter, und wenn er sich gar nicht belehren lassen wollte, daß ein griechischer Gott keine Zigarren raucht, wurde er für eine Weile vom Spiel ausgeschlossen. Nie aber wären uns Götter und Helden so vertraut geworden, hätten wir nicht auch ihre leiblichen Züge aus den vielen in des Vaters Studierzimmer liegenden Stichen und aus Mamas Gipsgüssen gekannt. Ich zeichnete sie unermüdlich nach und erweckte dadurch in meinen Eltern die lange genährte Hoffnung, daß ich ein hervorragendes Talent für bildende Kunst besäße, was sich dann erst in dem jüngeren Erwin verwirklichen sollte. Als wir älter wurden, erhielten wir die Voßsche Iliasübersetzung, in deren markigem, altertümlichem Deutsch sich die homerischen Gestalten noch schöner verkörperten. Häufig entspann sich nun im Rate der Götter ein Streit, wer denn eigentlich edler sei, Hektor oder Achilleus, wobei Mama und Josephine dazu neigten, dem tapferen und unglücklichen Verteidiger von Herd und Heimat den Preis zu geben. Dies erregte meinen stärksten Widerspruch, denn die höhere Natur des zarten und furchtbaren Griechenhelden war mir unwiderstehlich aufgegangen; sein frühes vorbestimmtes Sterbenmüssen erfüllte mich mit unsäglicher Tragik, in der schon der Schmerz um das kurze Dasein alles Schönen lag. Wogegen mir der Untergang Hektors nicht ungerechter schien, als daß der Mond verbleichen muß, wenn die Sonne aufgeht.
In einem Winkel des Obstgartens hatten wir aus herumliegenden Steinbrocken den großen Himmlischen einen Altar errichtet, und ich nahm dieses Spiel im stillen ernst wie alle unsere Spiele. Mama hatte in der Jugend viel von religiösen Zweifeln gelitten, bis die angeborene philosophische Richtung über den gleichfalls vorhandenen mystischen Hang den Sieg davontrug. Besonders aus Anlaß der Konfirmation und der ersten Kommunion hatte sie schwere innere Kämpfe zu bestehen gehabt. Um unseren zarten Jahren ähnliche Qualen zu ersparen, war sie auf den Ausweg verfallen, uns die religiösen Begriffe gänzlich fernzuhalten, ebenso wie sie es mit dem Tode gemacht hatte. Aber die Empfindung eines Göttlichen liegt doch von Hause aus in der Seele, wenigstens lag sie in der meinigen. Also glaubte ich an die Götter Griechenlands. Ich schlich mich öfter in der Morgenstille zu unserem Steinaltar, um Opfer in Gestalt von Blumen oder Kornähren darzubringen und mich in die Betrachtung eines großen erhabenen Seins zu versenken. Natürlich nahm ich die junge Götterschar, deren Rollen wir selber spielten, nicht allzu ernsthaft, aber ihr Oberhaupt erweckte meine Ehrfurcht. Ein Weltenvater, Erschaffer und Erhalter alles Seins, war mir schon von der Schichtung der Familie her eine natürliche und notwendige Vorstellung. Ihm galt meine Andacht. Meine persönlichen Angelegenheiten brachte ich nicht vor ihn, dafür stand er mir zu hoch. Diese trug ich ja nicht einmal zu meinem irdischen Vater, mit dem der Verkehr gleichfalls ein höherer, geistigerer war; sie gingen einzig und allein die Mutter an. Diese stillen Erbauungsstunden