Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer. Ludwig Ganghofer
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Читать онлайн книгу Die schönsten Heimatromane von Ludwig Ganghofer - Ludwig Ganghofer страница 29
Daheim? Hab ich denn noch ein Daheim? Mein Haus in der Stadt ist mir verleidet. Und unser schönes Bernegg? Seine Mauern sind mir tot geworden, seit das Leben erlosch, das in ihnen wirkte – seit meine Mutter starb. Ich kann mir nicht denken, wie ich dort leben soll, ich, allein! Das wirst gerade Du mir nachfühlen können. Ich weiß, wie groß Du von meiner Mutter dachtest. Wenn ich mit Dir plaudre von ihr, wird dein spottendes Auge ernst und Dein sarkastisches Lächeln ein anderes. Und vor Jahren, wenn Du mir von allem Lob das beste sagen wolltest, dann sagtest Du zu mir: ›Du Sohn deiner Mutter!‹ Das Lob war unverdient. Was sie aus ihrer Seele gab, das hab ich nur äußerlich angenommen. Die klare Harmonie des Lebens, die willensstarke Fähigkeit, eine Freude auch noch im bittersten Weh zu finden – das war dem Wesen meiner Mutter angeboren. Sie hatte das, wie man Augen hat, mit denen man sieht. Dieses Ruhige floß von ihr auf den verschüchterten Knaben über, aus jedem Blick, der mit Liebe auf mir ruhte. Aber es wurzelte nicht in meinem Herzen, es war bei mir nur ein Angelerntes und war vergessen bei der ersten verwirrenden Frage, mit der mich das Leben prüfte.
Ob es auch so gekommen wäre, wenn ich die Mutter nicht verloren hätte? Nein! Ihre lebende Nähe wäre mir ein Schutz gegen jeden häßlichen Aufruhr meines Blutes gewesen. Denkst Du noch an unseren alten Suttner, der früher als Förster in der einsamen Hirschau diente? Im Jähzorn mißhandelte er seine Frau und seine Kinder und machte seinen Untergebenen den Dienst zu einer Marter. Da nahm ihn meine Mutter als Parkmeister ins Schloß –und ihr Blick verwandelte den Wildfang in einen ruhigen Menschen. Hätte meine Mutter noch gelebt, es wäre nie geschehen, was ich jetzt, da ich mit allem Katzenjammer einer Menschenseele von diesem Rausche ernüchtert bin, mit Fäusten hinausstoßen möchte aus meinem besudelten Leben.
Aber als dieser Irrsinn meines Herzens begann, da ahnte ich nicht, wie er enden würde. Das war in mir, als hätte ich das Heiligste und Herrlichste des Lebens gefunden. Und wenn ich zurückdenke an den Feuersturm jenes ersten Gefühls, dann wird es mir schwer, zu wünschen: ich hätte besonnen meine glatte Straße gegen und mir ein temperiertes ›Glück‹ mit ruhiger Überlegung schaffen können, um Sommer für Sommer als guter Mann meiner guten Frau kohlbauend auf meinem Gute zu sitzen und während des Winters in der Stadt keine Opernpremiere, keinen Rout und keinen Hofball zu versäumen. Der Gedanke, daß solch ein ›wohlgeordnetes‹ Glück mich hätte treffen können, weckt in mir ein gelindes Grauen. Dennoch steckt in mir ein schmerzliches Bedauern, daß es nicht so kam! Aber wenn ich es ›so gut‹ gefunden hätte? Wäre dieses windstille Treibhausglück von Dauer gewesen? Bis zu einem sanften, in Gott ergebenen Lebensabend? Vielleicht hätte sich auch dann einmal in dunkler Stunde das Blut meines Vaters in mir geregt, um die gläserne Herrlichkeit in Scherben zu schlagen, irgendeinem Unwert oder einer Häßlichkeit zuliebe?
Mein Vater! – – Das Wort ist kalt für mich. Als mein Vater jenen tödlichen Sturz auf der Rennbahn tat, war ich noch ein halbes Kind. Sein Tod hatte keinen Schmerz für mich, nur einen Schreck, den ich halb verstand, als ich einen unserer Gäste sagen hörte: ›Der gute Ettingen hat sich den Hals recht à propos
gebrochen, sonst hätte er noch seinen Namen und seinen Besitz, seine Frau und seinen Jungen in den Sumpf geritten!‹ Dieses böse Wort brachte das eine Gute, daß ich mich noch zärtlicher an die Mutter anschloß, wie in der Ahnung, daß meine Liebe sie vor einem Leid zu beschützen hätte. Weiß Gott, lieber Freund, es geht mir warm durchs Herz, wenn ich mir sage: ich habe meiner Mutter, solange sie lebte, keine Enttäuschung bereitet. Sie konnte lächelnd die Augen schließen und sterbend glauben, daß sie in ihrem Sohn ein wohlgebautes Werk ihrer Liebe und ihres Lebens hinterließe.
Und nun? Wie steht es vor Dir, dieses Werk meiner Mutter? In meiner Seele sieht es aus wie in den löcherigen Taschen eines Bettlers. Ich hätte leben sollen als meiner Mutter Sohn und hab's meinem Vater nachgetan. Übel hat mich bei diesem Rennen um das Glück das zügellose Tier meiner Leidenschaft in den Sand geworfen! Sand? Wie höflich das Wort gewählt ist! Wohl hab ich mich leidlich wieder aufgerichtet. Aber ich spüre den Sturz an Leib und Seele. Und da konnt ich vor einer halben Stunde noch schreiben: ich bin genesen, ich fühle mich frei. Nein! Ich bin es nicht. Oder weiß ich nur die quälender Stimmung dieses Augenblickes nicht klar zu erkennen? Was mich mit so brennender Unruhe bedrückt? Eine letzte Kette, die mich noch fesselt an das Vergangene? Nein! Es kann auch das Grauen sein – vor der Leere und dem Unwert meines kommenden Lebens! Eine heiße Sehnsucht, die begehrt und dennoch weiß, daß sie unstillbar ist! Heiliges Glück – das ist Finden auf reinem Weg. Wer durch Sumpf gewatet ist, darf keinen Tempel mehr betreten.
Ein böser Gedanke! Der hätte mir nicht kommen sollen! Ich will's versuchen, ihn wieder aus mir hinauszustoßen, will zufrieden sein, nur weil ich einsam bin, stadtferne und mir selbst gegeben. Und wie häßlich auch das Leben ist, dem ich entfloh und das mich erwartet – schön ist doch die sommerduftende Stille, in der ich hier atme. Schön ist die Nacht, die da draußen mit großen Sternen leuchtet. Schön ist das tiefblaue Rätsel des schlafenden Himmels und das graue Wunder der nachtverschleierten Berge!
Hättest Du nur den Abend gesehen, der diese Nacht voranging! Aber solche Schönheit läßt sich nur fühlen, nicht mit Worten sagen! Und wie sicher vor allen bösen Gedanken, wie ruhig war ich, als ich einsam da draußen unter den Bäumen saß!«
Da stockte dem Schreibenden die Feder. Er lehnte sich in den Stuhl zurück und blickte nach dem offenen Fenster, in dessen Rahmen sich der schwarz gezahnte Wipfelkamm des nahen Waldsaumes und darüber ein Stück des stahlblauen Himmels mit zwei funkelnden Sternen zeigte.
So saß er eine Weile. Dann schüttelte er unter leisem Lächeln den Kopf – und begann wieder zu schreiben:
»Die schöne Ruhe, die ich draußen gefunden habe, überkommt mich wieder! Ein Trost für die Nacht – ich glaube, daß ich schlafen werde.
Nun Gott befohlen, lieber Goni! Wüßt ich nicht, daß Du in der Stadt bleibst, um als Freund für mich zu handeln, so würd ich Dir schreiben: komm, und laß uns die Schönheit teilen, die mich hier umgibt! Aber ich hoffe doch, daß dieser unbehagliche Freundschaftsdienst Dich nicht allzulange zurückhalten wird, und daß ich Dich bald bei mir begrüßen kann. Mit diesem Herzenswunsch bin ich Dein
dankbar getreuer Heinz.«
Der Fürst schloß den Brief und schrieb die Adresse: »Graf Egon von Sternfeldt –Wien.« Er wollte dem Diener läuten, doch lächelnd nahm er den Brief noch einmal aus dem Kuvert.
»Als Nachschrift eine Bitte. Ein Zufall hat mich heut an Arnold Böcklins Bild ›Das Schweigen im Walde‹ erinnert. Du kennst das Bild: auf dem Einhorn reitet die weiße Waldfee unter den Bäumen, mit großen Märchenaugen, und lauschend, als hätte das Waldschweigen redende Stimmen, die kein Menschenohr vernimmt, nur sie allein. Schon vor drei Jahren, als ich das Bild in einer Ausstellung sah, hätte ich es gerne gekauft. Es hatte schon seinen glücklichen Besitzer. Wie schade! Nun sind Erinnerung und Wunsch in mir wieder wach geworden. Aber wer einen solchen Schatz besitzt, überläßt ihn keinem anderen. Ich werde mich mit einer Reproduktion begnügen müssen. Willst Du mir die besorgen? Einen Stich oder eine Radierung. Willst Du? Ja? Meinen Dank im voraus.
Heinz.«
Der Fürst siegelte den Brief und läutete dem