Gesammelte Werke von Gustave Flaubert. Гюстав Флобер
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Als sie ihr Haus von weitem wiedersah, erstarrte sie. Die Beine versagten ihr. Sie konnte nicht weiter … Aber es mußte sein! Wohin hätte sie fliehen können?
Felicie erwartete sie an der kleinen Pforte.
»Gnädige Frau?«
»Es war umsonst!«
Eine Viertelstunde lang gingen sie zusammen alle Yonviller durch, die vielleicht ihr zu helfen geneigt wären. Aber bei jedem Namen, den Felicie nannte, wandte Emma ein:
»Unmöglich! Die tun es nicht!«
»Der Herr Doktor muß jeden Augenblick nach Hause kommen!«
»Ich weiß es! Laß mich allein!«
Sie hatte alles versucht. Nun mußte sie den Dingen ihren Lauf lassen. Karl würde heimkommen. Sie mußte ihm sagen:
»Geh wieder! Der Teppich, auf dem du stehst, ist nicht mehr unser. In diesem Haus gehört uns kein Stuhl mehr, kein Nagel, kein Halm Stroh! Und ich, ich habe dich zugrunde gerichtet. Armer Mann!«
Dann würde es eine große Szene geben, sie würde maßlos weinen, und wenn sich die erste Bestürzung gelegt hätte, würde er ihr verzeihen!
»Ja ! Er wird mir verzeihen!« murmelte sie in verhaltener Wut. »Er! Er, dem ich nicht für eine Million verzeihen kann, daß ich die Seine geworden bin! Niemals! Niemals!«
Der Gedanke, Bovary könnte die Überlegenheit über sie erringen, empörte sie. Ob sie ihm ein Geständnis machte oder nicht, jetzt sofort, nach ein paar Stunden oder morgen: er mußte doch alles erfahren. Und dann war die gräßliche Szene da, und sie hatte die Zentnerlast seiner Großmut zu tragen!
Wiederum überlegte sie, ob sie nicht noch einmal zu Lheureux gehen solle? Aber das nützte ja nichts! Oder ihrem Vater schreiben? Dazu war es zu spät! Beinahe bereute sie es, dem Notar nicht gefügig gewesen zu sein, – da hörte sie den Hufschlag eines Pferdes in der Allee. Es war Karl. Er öffnete das Hoftor. Sie sah ihn: er war weißer als Kalk.
Da lief sie eilends die Treppe hinunter und aus der Haustür hinaus nach dem Markt. Die Frau Bürgermeister stand vor der Kirchentür und sprach mit dem Kirchendiener. Sie beobachtete, wie Emma in dem Hause verschwand, wo der Steuereinnehmer wohnte. Schnell ging sie zu Frau Çaron, die ihm gegenüber in der Ecke des Marktes wohnte, und klatschte ihr diese Neuigkeit. Die beiden Frauen stiegen zusammen auf den Oberboden, wo sie sich, gedeckt durch aufgehängte Wäsche, so aufstellten, daß sie bequem in Binets Dachstübchen sehen konnten.
Er war allein und saß an seiner Drehbank, gerade dabei beschäftigt, eine völlig zwecklose Spielerei aus Holz fertigzustellen. Im Halbdunkel seiner Werkstatt sprühte der helle Holzstaub aus seiner Maschine hervor, wie Funkenbüschel unter den Eisen eines galoppierenden Pferdes. Die beiden Räder schnurrten und kreisten. Binet lächelte mit aufmerksamer Miene, den Kopf etwas vorgebeugt. Er war sichtlich völlig versunken in sein Schöpferglück. Gerade das Handwerksmäßige, das der Intelligenz nur leichte Schwierigkeiten bietet, befriedigt den Menschen ungemein, wenn es vollendet ist, denn es gibt dabei ja kein ideales Darüberhinaus, das man ersehnen könnte.
»Ah, da ist sie!« sagte Frau Tüvache.
Infolge des Geräusches der Drehbank vermochten sie nicht zu verstehen, was drüben gesprochen wurde. Nur einmal glaubten sie, das Wort »Taler« zu hören, worauf Frau Caron flüsterte:
»Sie bittet ihn um Aufschub der Steuern.«
»Es scheint so«, meinte die andre.
Sie beobachteten, wie Emma in Binets Stube hin und her ging und die Serviettenringe, die Leuchter und all seinen andern zur Schau ausgelegten Krimskram besichtigte, während sich der Steuereinnehmer wohlgefällig den Bart strich.
»Will sie bei ihm etwas bestellen?« fragte Frau Tüvache.
»Er verkauft doch nie etwas!«
Dann sah man, daß Binet ihr aufmerksam zuhörte. Er riß die Augen weit auf. Offenbar verstand er sie nicht. Sie redete weiter, eindringlich, flehend. Sie näherte sich ihm. Sie war sichtlich erregt. Jetzt schwiegen sie beide.
»Macht sie ihm gar einen Antrag?« flüsterte Frau Tüvache. Binet bekam einen roten Kopf. Emma erfaßte seine Hände.
»Nein, das ist doch stark!« zischelte Frau Caron.
In der Tat mußte Emma etwas Schändliches von Binet gefordert haben, denn dieser tapfere Veteran, der bei Dresden und Leipzig mitgekämpft hatte und dekoriert worden war, wich plötzlich vor ihr zurück, als ob ihn eine Natter stechen wollte, und rief aus:
»Frau Bovary, was muten Sie mir zu!«
»Solche Frauenzimmer sollte man öffentlich auspeitschen!« eiferte Frau Tüvache.
»Wo ist sie denn mit einem Male hin?« erwiderte die andre.
Wenige Augenblicke später sahen sie Emma die Hauptstraße hinausgehen und dann links verschwinden, wo der Weg zum Friedhof abzweigt. Die beiden Horcherinnen erschöpften sich in allerhand Vermutungen.
Emma lief zur alten Frau Rollet.
»Machen Sie mir das Korsett auf! Ich ersticke!«
Mit diesen Worten trat sie bei ihr ein. Dann sank sie auf das Bett und begann zu schluchzen. Die Frau deckte sie mit einem Rocke zu und blieb vor ihr stehen. Da Emma auf keine ihrer Fragen antwortete, ging sie schließlich hinaus, holte ihr Spinnrad und begann zu spinnen.
»Ach, hören Sie auf!« sagte Emma leise. Es war ihr, als höre sie noch Binets Drehbank.
»Was mag sie nur haben?« fragte sich Frau Rollet. »Warum ist sie hergekommen?«
Was ahnte sie von der Angst, die Frau Bovary aus ihrem Hause gejagt hatte?
Emma lag auf dem Rücken, regungslos, mit stieren Augen, die keinen Gegenstand deutlich sahen, so sehr sie sich mit idiotischer Beharrlichkeit bemühte, scharf zu beobachten. Sie starrte auf die brüchigen Stellen der Mauer, auf das armselige bißchen Holz, das im Kamine qualmte, auf eine große Spinne, die gerade über ihr an einem rissigen Deckenbalken hinkroch….
Endlich kam Ordnung in ihre Gedanken. Erinnerungen tauchten auf … der Tag, an dem sie mit Leo hier gewesen war … Ach, wie weit lag das zurück! Die Sonne hatte im Bache geglitzert, und die Klematisranken hatten sie im Vorübergehen gestreift … Tausend andre Erinnerungen umwirbelten sie wie ein brodelnder Katarakt, und mit einem Male war sie wieder bei ihren jüngsten Erlebnissen.
»Wieviel Uhr ist es?« fragte sie.
Mutter Rollet ging vor das Haus, schaute nach der lichten Stelle des Himmels, die den Stand