Die bekanntesten Werke von Jack London. Джек Лондон

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übrigen war auch ihr eigenes Denken so kompliziert und schnell, daß sie für etwas so Einfaches kein rechtes Verständnis hatte, wie andererseits gerade dieses Tasten seines Geistes einen Eindruck von Stärke auf sie machte. Er war ihr wie ein gefesselter Riese vorgekommen, der an seinen Banden riß und zerrte. Und als sie endlich sprach, drückte ihr Gesicht unendliches Mitgefühl aus.

      »Sie wissen ja selbst sehr gut, was Sie brauchen: systematische Ausbildung. Sie sollten zuerst wieder in die Schule gehen und hinterher die Universität besuchen.«

      »Aber das kostet Geld«, warf er ein.

      »Oh!« rief sie. »Daran hatte ich nicht gedacht. Aber Sie müssen doch Verwandte haben – irgend jemand, der Ihnen helfen kann.«

      Er schüttelte den Kopf.

      »Mein Vater und meine Mutter sind tot. Ich habe zwei Schwestern, die eine ist verheiratet, und die andere wird wohl bald heiraten. Dann habe ich noch ein ganzes Schock Brüder – ich bin der Jüngste –, aber die haben noch nie jemand geholfen. Die sind durch die Welt geschweift und haben genug mit sich selbst zu tun gehabt. Der Älteste starb in Indien. Zwei sind in Südafrika, einer ist auf Walfang, und einer zieht mit einem Zirkus herum – er arbeitet am Trapez. Und mir geht es ganz wie ihnen. Seit meinem elften Jahre – als meine Mutter starb – habe ich selbst für mich gesorgt. Ich werde auch wohl auf eigene Faust studieren müssen, und was ich wissen möchte, ist eben, wo ich anfangen soll.«

      »Zu allererst sollten Sie sich eine Grammatik anschaffen. Ihr Satzbau ist ...« Sie hatte »schrecklich« sagen wollen, änderte es aber in »nicht besonders gut«.

      Er errötete und schwitzte.

      »Ich weiß, daß ich eine Menge Slang und Wörter rede, die Sie nicht verstehen. Aber das sind eben die einzigen, von denen ich weiß, wie ich sie aussprechen soll. Ich habe andere Wörter im Kopf – Wörter, die ich in Büchern gefunden habe, aber ich kann sie nicht aussprechen, und deshalb gebrauche ich sie nicht.«

      »Es ist weniger was, als wie Sie es sagen. Sie brauchen nur etwas mehr Grammatik. Jetzt werde ich Ihnen ein Buch holen und zeigen, wie Sie anfangen sollen.« Als sie aufstand, fiel ihm etwas ein, das er in den Büchern über den guten Ton gelesen hatte, und er erhob sich linkisch, in schrecklicher Angst, daß es doch nicht richtig war, und daß sie es als Zeichen seines Aufbruchs ansehen würde.

      Als sie mit der Grammatik wiederkam, schob sie einen Stuhl neben den seinen – er dachte darüber nach, ob er ihr hätte helfen sollen – und setzte sich neben ihn. Sie blätterte in der Grammatik, und ihre Köpfe näherten sich einander. Er hatte Mühe, ihr, als sie ihm jetzt einen Arbeitsplan machte, zu folgen, so bestürzt und benommen war er darüber, daß sie ihm jetzt so nahe war. Als sie ihm aber die Bedeutung der Konjugation zu erklären begann, vergaß er sie über seiner Arbeit. Er hatte nie von diesen Dingen gehört und war vollkommen bezaubert von dem Einblick, den er durch sie in den Mörtel der Sprache erhielt. Er beugte sich tiefer über das Buch, und ihr Haar berührte seine Wangen. Er war nur einmal in seinem Leben ohnmächtig geworden, aber in diesem Augenblick fühlte er sich wieder einer Ohnmacht nahe. Er konnte kaum atmen, und sein Herz preßte ihm das Blut in die Kehle, daß er fast erstickte. Nie war sie ihm so erreichbar erschienen wie jetzt. Es war ihm, als wäre in diesem Augenblick eine Brücke über den Abgrund zwischen ihnen geschlagen. Aber sein Gefühl für sie war deshalb nicht weniger erhaben. Sie war nicht zu ihm herabgestiegen. Er war es, der in die Wolken gehoben und zu ihr getragen wurde. Die Ehrerbietung, die er in diesem Augenblick für sie hegte, glich religiöser Ehrfurcht. Ihm war, als sei er ins Allerheiligste eingedrungen, und langsam und vorsichtig entzog er seinen Kopf der Berührung, die auf ihn wie ein elektrischer Schlag wirkte, und die sie gar nicht bemerkt hatte.

      Achtes Kapitel

       Inhaltsverzeichnis

      Mehrere Wochen vergingen, in denen Martin Eden seine Grammatik studierte, die Bücher über den guten Ton wieder vornahm und alle Werke, die sein Interesse erregten, verschlang. Von seinen bisherigen Kameraden sah er keinen. Die jungen Mädchen im Lotus-Klub wunderten sich, daß er verschwunden war, und quälten Jim mit Fragen, und einige der jungen Leute, die sich an den Boxkämpfen bei Rileys zu beteiligen pflegten, freuten sich, daß Martin sich nicht mehr zeigte. Er machte eine neue Entdeckung unter den Schätzen der Bibliothek. Wie die Grammatik ihm den Mörtel der Sprache gezeigt hatte, so zeigte dieses Buch ihm den Mörtel der Poesie, und er begann sich über Versmaß, Konstruktion und Form, diese Grundlagen der von ihm geliebten Schönheit, zu unterrichten, ja, er fand jetzt die Ursache der Schönheit. Noch ein Buch fiel ihm in die Hände, das von der Poesie als repräsentativer Kunst handelte – ein erzählendes Buch mit vielen Beispielen aus dem Besten der Literatur. Nie hatte er einen Roman mit der Begeisterung gelesen, mit der er dieses Werk studierte. Und sein unbelasteter, frischer zwanzigjähriger Geist eignete sich unter dem Ansporn seines Verlangens alles, was er lernte, mit einer männlichen Kraft an, die sonst bei Bücherwürmern recht ungewöhnlich ist.

      Wenn er jetzt von seiner höheren Warte aus zurückblickte, so erschien ihm seine frühere Welt – diese Welt von Erde, Meer und Schiffen, mit Seeleuten und schlechten Frauenzimmern – sehr klein; und doch mischte sie sich mit seiner neuen Welt und erweiterte sie. Seine Seele strebte nach Einheit, und er war überrascht, als er die ersten Berührungspunkte zwischen den beiden Welten erblickte. Dazu verwandelten ihn die erhabenen Gedanken und die Schönheit, die er in den Büchern fand. Immer unerschütterlicher wurde sein Glaube, daß jeder, der sozial über ihm stand wie Ruth und ihre Familie, diese Gedanken dachte und nach ihnen lebte. Er lebte in der Niederung und hatte nur den einen Wunsch, sich von dem Niedrigen, das sein ganzes Leben lang an ihm geklebt hatte, zu reinigen, und sich in die höheren Regionen der oberen Klassen zu erheben. Während seiner ganzen Kindheit und Jugend hatte er unter einer Unrast gelitten; was er wünschte, hatte er nie gewußt und er hatte vergebens gesucht, bis er Ruth traf. Und jetzt war diese Unrast qualvoll geworden, und er wußte endlich, klar und sicher, daß es Schönheit, Wissen und Liebe waren, die er suchte.

      In diesen Wochen sah er Ruth ein halb dutzendmal, und jedes Mal war ihm eine neue Inspiration. Sie half ihm bei seinem Sprachstudium, berichtigte seine Aussprache und ließ ihn auf die Arithmetik los. Aber ihre Gespräche drehten sich lediglich um die Arbeit. Er hatte zuviel vom Leben gesehen, und sein Geist war zu reif, um sich mit Brüchen, Kubikwurzeln und Analyse zufriedenzugeben; es kamen Stunden, in denen sie von ganz andern Dingen sprachen – von den letzten Dichtungen, die er gelesen, und den letzten Dichtern, die er studiert hatte. Und wenn sie ihm ihre Lieblingsdichter vorlas, dann war der Gipfel alles Entzückens für ihn erreicht. Keine von all den Frauen, die er je sprechen gehört, hatte eine Stimme wie die ihre gehabt. Ihr leisester Ton war ein Sporn für seine Liebe, und jedes Wort, das sie aussprach, durchbebte ihn mit Freude und Entzücken. Es war diese Stimme an sich, ihre Ruhe und ihr musikalischer Rhythmus, dieses weiche, volle, unbestimmbare Produkt der Kultur und einer sanften, liebevollen Seele. Wenn er ihr lauschte, klangen in seiner Erinnerung ein Echo von rauhen Schreien barbarischer Weiber und – wenn auch in geringerem Maße – die kreischenden Stimmen der Fabrikmädchen seiner eigenen Klasse. Und durch einen rein chemischen Prozeß begannen sie vor seinem inneren Auge aufzumarschieren und die Herrlichkeit Ruths durch den Gegensatz noch zu erhöhen. Was aber sein Glück noch vollkommener machte, war das Bewußtsein, daß ihre Seele mit dem Gelesenen harmonierte und bebend die Schönheit des niedergelegten Gedankens in sich aufnahm. Sie las ihm ein großes Stück aus »Die Prinzessin« vor, und er sah oft ihre Augen sich mit Tränen füllen, so empfänglich war sie. In solchen Augenblicken entrückte ihn ihre Bewegung über den Alltag hinaus, bis er sich wie ein Gott fühlte und ihm war, als sähe er das Antlitz des Lebens und läse darin die tiefsten Geheimnisse. Und wenn er dann gewahr wurde, wie seine Empfänglichkeit gewachsen war, sagte er sich, daß dies Liebe, und daß Liebe das Größte in der Welt war, und durch seine Erinnerung huschten die Gemütsbewegungen

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