Die bekanntesten Werke von Jack London. Джек Лондон
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Die Tage waren nur allzu kurz. Es gab so vieles, das er studieren wollte. Er gewöhnte sich daran, sich mit fünf Stunden Nachtschlaf zu begnügen, und kam zu der Erkenntnis, daß er damit auskam. Dann versuchte er es mit viereinhalb Stunden, kehrte aber mit Kummer zu den fünf zurück. Er hätte mit Freude seinen ganzen Tag mit jedem einzelnen der Gegenstände verbracht, mit denen er sich beschäftigte. Nur mit Bedauern unterbrach er sein Schreiben, um Bücher zu lesen, oder legte die Bücher beiseite, um auf die Bibliothek zu gehen, und nur mit Bedauern riß er sich los aus dem Kompaßhaus der Kenntnisse oder von den Zeitschriften im Lesesaal, die so voll waren von den Geheimnissen, welche die Autoren, deren Arbeiten gekauft wurden, kannten. Und wenn er mit Ruth zusammen war, so hieß es fast den Lebensfaden zerschneiden, wenn er sich erheben und gehen mußte; und er eilte durch die dunklen Straßen, um mit dem geringsten Zeitverlust wieder zu seinen Büchern zu kommen; am allerschwersten aber war es, mit Mathematik und Physik aufzuhören, Heft und Bleistift beiseitezulegen und die müden Augen zum Schlaf zu schließen. Er haßte den Gedanken, daß er, selbst für eine so kurze Weile, aufhören sollte zu leben, und sein einziger Trost war, daß ihn die Weckuhr in fünf Stunden rufen sollte. Er sollte nur fünf Stunden verlieren, dann riß ihn der Klang der Glocke aus seiner Bewußtlosigkeit, und er erwachte zu einem neuen, herrlichen neunzehnstündigen Tage.
Unterdessen aber verstrichen die Wochen, sein Geld ging auf die Neige, und es kam kein neues. Einen Monat, nachdem er seine lange Geschichte an die Jugendzeitung gesandt hatte, kam sie zurück. Die gedruckte Ablehnung war in so taktvolle Ausdrücke gekleidet, daß er dem Redakteur ganz freundlich gesinnt war. Weniger freundlich aber war er dem San Francisco Examiner gesinnt. Nach zwei Wochen hatte er an das Blatt geschrieben. Eine Woche später schrieb er wieder. Als ein Monat vergangen war, fuhr er nach San Franzisko und bat, den Redakteur sprechen zu dürfen. Dank einem minderjährigen rothaarigen Laufburschen, der die Pforte wie ein zweiter Zerberus bewachte, traf er die erhabene Persönlichkeit nicht. Nach fünf Wochen kam das Manuskript mit der Post ohne eine Bemerkung zurück. Es gab keine gedruckte Ablehnung, keine Erklärung, nichts. Ebenso lagen seine andern Aufsätze bei den andern größeren Blättern San Franziskos. Als er sie zurückerhielt, schickte er sie an die Zeitschriften in den östlichen Staaten, von denen er sie ebenfalls, aber schneller und von den üblichen gedruckten Ablehnungen begleitet, zurückerhielt.
Ebenso wurden auch die Kurzgeschichten zurückgesandt. Er las sie immer wieder, und sie gefielen ihm so gut, daß er sich durchaus nicht denken konnte, warum er sie zurückerhielt, bis er eines Tages in einer Zeitung las, daß Manuskripte stets mit der Maschine geschrieben sein müßten. Das erklärte alles. Selbstverständlich hatten die Redakteure zuviel zu tun, um Zeit und Kräfte darauf zu verschwenden, Handschriften zu lesen. Martin mietete sich eine Schreibmaschine und verbrachte einen ganzen Tag damit, ihre Hantierung zu erlernen. Täglich schrieb er auf der Maschine das verfaßte Pensum ins reine und schrieb ferner seine älteren Manuskripte ebenso schnell ab, wie sie zurückkamen. Er war überrascht, als auch die mit der Maschine geschriebenen Manuskripte zurückzukommen begannen. Aber er preßte nur die Lippen zusammen, schob das Kinn vor und schickte die Manuskripte an andere Redaktionen.
Dann fiel ihm ein, daß er vielleicht, wenn es die eigenen Arbeiten galt, kein guter Richter sei, und er las die Geschichten Gertrude vor, um zu sehen, was sie dazu meinte. Ihre Augen leuchteten, sie sah ihn mit Stolz in den Augen an und sagte:
»Nein, daß du so was schreiben kannst! Ist das nicht großartig?«
»Ja, ja«, sagte er ungeduldig. »Aber die Geschichte – wie gefällt sie dir?«
»Großartig«, antwortete sie. »Großartig und spannend dazu. Ich war ganz hingerissen.«
Er konnte sehen, daß ihr die Sache nicht ganz klar war. Ein verwirrter, verdutzter Ausdruck lag auf ihrem gutmütigen Gesicht. Er wartete.
»Aber sieh mal, Mart«, – und nach einer langen Pause: »Wie ging die Geschichte aus? Hat der junge Mann, der so hochtrabende Dinge redete, sie gekriegt?«
Und nachdem er ihr erklärte, wie die Geschichte ausging, was er seiner Ansicht nach künstlerisch einleuchtend dargestellt hatte, sagte sie:
»Das wollte ich eben gern wissen. Aber warum hast du das nicht in der Geschichte geschrieben?«
Eins wußte er jedenfalls, als er ihr mehrere Geschichten vorgelesen hatte – nämlich, daß ihr die Geschichten am besten gefielen, die glücklich endeten. »Die Geschichte ist großartig!« sagte sie mit einem müden Seufzer, indem sie sich vom Waschzuber abwandte und sich den Schweiß mit der roten nassen Hand von der Stirn wischte. »Aber sie macht mich so trübselig. Ich möchte direkt weinen. Es gibt natürlich viel Trauriges in der Welt, aber ich freue mich nun mal, wenn ich an frohe Dinge denke. Sieh mal, wenn er sie nun geheiratet hätte und ... du bist mir doch nicht böse, Mart?« fragte sie ängstlich. »Ich fühle nun mal so, und das kommt wohl daher, weil ich so müde bin. Aber die Geschichte war wirklich großartig, wahrhaftig – großartig! Wem willst du sie verkaufen?«
»Ja, das ist eine andere Frage«, lachte er.
»Aber wenn du sie verkaufst, wieviel, glaubst du, kriegst du dann dafür?«
»Ach, hundert Dollar. Das wäre das mindeste, wie die Preise sind.«
»Du lieber Gott! Wenn du sie nur verkauftest!«
»Ja, das wäre leicht verdientes Geld, nicht wahr?« Er fügte stolz hinzu: »Ich hab' sie in zwei Tagen geschrieben. Das sind fünfzig Dollar den Tag.«
Er sehnte sich danach, seine Geschichten Ruth vorzulesen, wagte es aber nicht. Er entschloß sich zu warten, bis einige von ihnen gedruckt waren, dann wußte sie ja, wozu er gearbeitet hatte. Im übrigen arbeitete er weiter. Noch nie hatte der Abenteuerdrang ihn so gelockt wie bei dieser verblüffenden Entdeckungsreise ins Reich des Geistes. Er kaufte sich Handbücher über Physik und Chemie, und zu seinen mathematischen Aufgaben kamen jetzt noch physikalische und chemische. Was er über die Experimente las, nahm er auf Treu und Glauben hin, und seine seltene, lebhafte Phantasie schenkte ihm ein größeres Verständnis von der Reaktion der Chemikalien, als der Student, der sie im Laboratorium sah, gewöhnlich hatte. Martin ackerte sich durch die schweren Seiten hindurch, überwältigt von dem Verständnis, das ihm aus dem Zusammenhang aller Dinge aufging. Er hatte sich vor der Weltordnung gebeugt, ohne weiter darüber nachzudenken, jetzt aber begann er zu verstehen, wie die Welt organisiert war, und wie Kräfte und Stoffe ineinanderspielten. Jeden Augenblick fand er die Erklärung von Dingen, die er früher einmal gesehen hatte. Hebel und Flaschenzüge interessierten ihn ungeheuer, und er mußte wieder an die Handspeichen, Blöcke und Taljen aus seiner Seemannszeit denken. Die theoretische Navigation, die Schiffe instand setzte, sicher ihrer Bahn über das unbeugsame Meer zu folgen, wurde ihm jetzt klar. Die Mysterien des Sturmes, des Regens und der Gezeiten offenbarten sich ihm, und die Ursachen, die man den Passatwinden zugrunde legte, ließen ihn jetzt darüber nachdenken, ob sein Aufsatz über diesen Gegenstand nicht ein wenig übereilt gewesen wäre. Auf alle Fälle wußte er, daß er jetzt