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Siebzehntes Kapitel
Martin lernte vielerlei. An einem Nachmittag der ersten Woche bügelten er und Joe an zweihundert Hemden. Joe bediente den »Ziegler«, eine Maschine, in der ein heißes Eisen durch eine Stahlfeder niedergedrückt wurde. Auf diese Weise plättete er Einsatz, Manschetten und Halsansatz, faltete das Hemd im rechten Winkel und verlieh der Brust den letzten Glanz. Sobald er mit seinem Teil der Arbeit fertig war, warf er das Hemd auf ein Brett zwischen ihm und Martin, der es dann ergriff und die ungestärkten Teile plättete.
Es war eine anstrengende Arbeit, die Stunde auf Stunde mit höchster Geschwindigkeit ausgeführt werden mußte. Auf den breiten Veranden des Hotels saßen Männer und Frauen in dünner weißer Kleidung und tranken eisgekühlte Getränke. In der Wäscherei aber war die Luft siedend heiß. Der mächtige Ofen prasselte rot- und weißglühend, und die Eisen, die sich über den feuchten Stoff bewegten, sandten Dampfwolken aus. Diese Eisen waren viel heißer als die, welche die Hausfrau verwendet. Ein Eisen, das sich auf die übliche Art mit einem feuchten Finger probieren ließ, wäre für Joe und Martin zu kalt und eine solche Probe unnütz gewesen. Sie hielten die Eisen dicht an die Backe und maßen die Hitze durch einen geheimnisvollen physischen Prozeß, den Martin bewunderte, aber nicht verstand. Waren die neuen Eisen zu warm, so wurden sie an Eisenstangen gehakt und in kaltes Wasser getaucht. Das erforderte wieder ein genaues und feines Urteil. Den Bruchteil einer Sekunde zu lange im Wasser, und die seidige Schärfe der erforderlichen Hitze war verloren. Und Martin wunderte sich über seine Sicherheit – eine automatische Sicherheit, die sich auf rein mechanische und unfehlbare Kennzeichen stützte.
Aber es blieb ihnen nicht viel Zeit, Betrachtungen anzustellen. Martins ganzes Bewußtsein konzentrierte sich auf die Arbeit. Unaufhörlich waren Kopf und Hände in Tätigkeit. Er war eine denkende Maschine, und alles, was ihn zum Menschen machte, ging in diesem Denken auf. In seinem Hirn war kein Platz mehr für das Universum mit seinen mächtigen Problemen. All die breiten, geräumigen Korridore seines Geistes waren hermetisch verschlossen und versiegelt. Der Echoraum seiner Seele war eine enge Kammer, ein Kommandoturm, von dem aus seine Arm- und Schultermuskeln, seine zehn gewandten Finger und das schnellbewegte Eisen seinen dampfenden Weg in breiten, schnellen Strichen gelenkt wurde. Es waren genau so viele Striche, nicht mehr, und jeder genau so lang und nicht den Bruchteil eines Zolls länger, als sie sein sollten. Und er plättete endlose Mengen von Ärmeln, Seiten, Rücken und Schößen und warf die fertigen Hemden, ohne sie zu zerknüllen auf die Borde. Und in einem Wirrwarr seiner gehetzten Seele streckte er schon die Hand nach dem nächsten Hemd aus. So ging es Stunde auf Stunde, während draußen die ganze Welt unter der brennenden kalifornischen Sonne ruhte. Aber in diesem überhitzten Raum gab es keine Ruhe. Die Gäste auf den Veranden brauchten frische Hemden.
Martin troff von Schweiß. Er trank riesige Mengen Wasser, aber so groß war die Hitze des Tages und seiner Anstrengungen, daß das Wasser sofort wieder durch alle Poren verdampfte. Auf See hatte mit seltenen Ausnahmen die Arbeit ihm reichlich Gelegenheit gegeben, sich mit seinen eigenen Gedanken zu beschäftigen. Der Kapitän des Schiffes war Herr über Martins Zeit gewesen; aber hier war der Leiter des Hotels auch Herr über Martins Gedanken. Er hatte für nichts Sinn als für diese nervenaufreibende, körpervernichtende Arbeit. Darüber hinaus konnte er nicht denken. Er wußte nicht, daß er Ruth liebte. Sie existierte nicht einmal, denn seine gequälte Seele hatte keine Zeit, sich ihrer zu erinnern. Nur, wenn er abends ins Bett kroch, oder wenn er morgens sein Frühstück aß, stand sie ihm einen flüchtigen Augenblick vor Augen.
»Das ist die Hölle, nicht wahr?« sagte Joe einmal.
Martin nickte, fühlte sich aber dabei gereizt. Die Bemerkung war einleuchtend und unnötig gewesen. Sie sprachen sonst nicht bei der Arbeit. Wenn sie es taten, kamen sie aus dem Takt, und so ging es denn auch diesmal, denn Martin machte einen falschen Strich mit seinem Eisen und mußte zwei überflüssige Bewegungen machen, um wieder mit Joe in Takt zu kommen.
Am Freitagmorgen war die Waschmaschine an der Reihe. Zweimal wöchentlich mußte die Hotelwäsche, Laken, Kissenbezüge, Überdecken, Tischdecken und Servietten, gewaschen werden, und wenn sie damit fertig waren, ging es an die »Feinwäsche«. Das war eine langsame Arbeit, die große Vorsicht erforderte, und Martin lernte sie nicht so schnell. Hier konnte er auch nichts mit Kunstgriffen ausrichten, denn jeder Fehlgriff war verhängnisvoll.
»Sieh mal hier«, sagte Joe und hob ein kleines spinnwebfeines Leibchen hoch. »Wenn du das verbrennst, kostet es dich zwanzig Dollar von deinem Lohn.«
Martin verbrannte es also nicht und verminderte den Druck seiner Muskeln, und seine Nerven waren höher als je gespannt. Er hörte mitfühlend auf die Blasphemien des andern, während er mit all den schönen Dingen stritt und kämpfte, die Frauen gebrauchen, wenn sie nicht selbst waschen müssen. Die »Feinwäsche« war Martins wie Joes Verzweiflung. Sie raubte ihnen die mühsam ersparten Minuten. Die beiden Männer arbeiteten den ganzen Tag. Um sieben Uhr abends hörten sie auf, um die Hotelwäsche zu mangeln. Um zehn, wenn die Hotelgäste schliefen, arbeiteten die beiden Wäscher weiter an der »Feinwäsche« bis Mitternacht, bis ein, bis zwei Uhr. Um halb drei konnten sie nicht weiter.
Am Sonnabendmorgen gab es wieder »Feinwäsche« und dazu verschiedene Kleinigkeiten, und erst um drei Uhr nachmittags war die Mühsal der Woche beendet.
»Aber du willst doch nicht jetzt noch die siebzig Meilen nach Oakland fahren?« fragte Joe, als sie auf der Treppe saßen und rauchten.
»Ich muß«, lautete die Antwort.
»Was willst du da – ein Mädel?«
»Nein, ich will die zweieinhalb Dollar sparen, die die Eisenbahn kostet. Ich muß ein paar Bücher in der Bibliothek abliefern.«
»Warum schickst du sie nicht als Postpaket? Das macht nur fünfundzwanzig Cent.«
Martin dachte über den Vorschlag nach.
»Und dann kannst du dich morgen ausruhen«, fuhr der andere fort. »Du hast es nötig. Ich weiß jedenfalls, was ich tue. Ich bin vollkommen fertig.«
Man sah es ihm an. Unbeugsam, wie er war, nie rastend, die ganze Woche um Sekunden und Minuten kämpfend, Verzögerungen vorbauend und alle Hindernisse aus seinem Wege räumend, eine Quelle ewiger Energie, der keiner widerstehen konnte, eine menschliche Hochdruckmaschine, ein Teufel bei der Arbeit, war er jetzt, da die Arbeitswoche zu Ende war, einem Zusammenbruch nahe. Er war vollkommen erschöpft, und seine hübschen Züge waren vor Müdigkeit erschlafft. Er paffte mutlos seine Zigarette, und seine Stimme war ungewöhnlich tot und monoton. Es war, als hätte alle Energie, alle Kraft ihn verlassen. Sein Triumph schien ein recht kläglicher zu sein.
»Und nächste Woche fangen wir wieder von vorne an«, sagte er traurig. »Und wozu das alles? Manchmal möchte ich, ich könnte als Vagabund leben. Die arbeiten nicht und haben doch, was sie brauchen. Du lieber Gott! Ich möchte ein Glas Bier trinken, aber ich kann nicht auf die Beine kommen, um ins Dorf zu gehen. Du bleibst, wo du bist, und schickst deine Bücher als Postpaket, oder du bist ein blöder Narr.«