Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Gesammelte Werke von Gottfried Keller - Готфрид Келлер

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wir schauen, ob sich ein Handel machen läßt. Gehen Sie, gehen Sie, Bewegung ist immer gesund!«

      Heinrich ging abermals nach seiner Wohnung und ergriff den größten Karton, einen mit Papier bespannten Blendrahmen von acht Fuß Breite und entsprechender Höhe. Dies Ungetüm war leicht von Gewicht, aber ungefüg zu tragen wegen seiner Größe, und als der unmutige Träger damit auf die Straße gelangte, blies sofort ein lustiger Ostwind darein, daß es Heinrich kaum zu halten vermochte. Überdies mußte er, da die große Fahne nur auf der Rückseite an der Kreuzleiste zu halten war, die bemalte Seite nach außen kehren, und so begann er, sich dahinter bestmöglich verbergend, mit seiner Oriflamme durch die belebten Straßen zu ziehen. Alsobald zog eine Schar Knaben und Mädchen vor der wandelnden Landschaft her, und jeder Erwachsene ging ebenfalls ein Dutzend Schritte daneben hin und stolperte, während er die offenbaren und preisgegebenen Erfindungen Heinrichs zu enträtseln suchte, über die Steine. Zwei wohlhabende und angesehene Künstler gingen vorüber und betrachteten vornehm und verwundert den beschämten Träger, der ihnen bekannt vorkam; er fuhr mit seiner spanischen Wand gegen einen Wagen, den er nicht sehen konnte, so daß die Pferde scheu wurden, der Fuhrmann fluchte, und zugleich brachten starke Windstöße das ganze Wesen ins Schwanken, und dieses stieß Heinrichs Hut herunter, so daß er nun nicht wußte, sollte er den im Kote dahinrollenden oder sein behextes Werk fahrenlassen. Diese Flucht seines Hutes war einer jener kleinen lächerlichen Unfälle, welche einen tiefen Verdruß oder grämliches Leiden auf den Gipfel bringen, und so stand Heinrich ganz elend und ratlos da und unterdrückte einen bitterlichen Zorn im Herzen. Er war in der Verwirrung mitten auf den Gemüsemarkt geraten und konnte sich vollends nicht mehr rühren. Fluchend tat er einen Ruck und schwang seinen Karton über seinen Kopf, um ihn dort in die andere Hand und in eine bequemere Lage zu bringen; als das unselige Werk aber in der Luft schwebte, fand er nicht mehr Raum, es wieder herunterzunehmen, und hielt es so über den wogenden Köpfen der Menschenmenge. Erst jetzt gab es einen rechten Auflauf auf dem Markte, denn das Luftphänomen zog alle Leute herbei, die Fenster in den umliegenden Häusern taten sich auf, alles lachte, schimpfte und rief »Wer wird denn mit solchem Ofenschirm über den Markt gehen um diese Zeit?« Da drängte sich Heinrichs Gönnermännchen aus dem Dickicht, im grauen Schlafrock und seine weiße Zipfelkappe auf dem Kopfe, über die Schulter ein Netz mit Gemüse und Fleisch geworfen und Heinrichs übel zugerichteten Hut in der Hand. Freundlich winkte die lächerliche Gestalt ihm zu, und Heinrich streckte sehnlich die Hand nach seinem Hute. Aber der Alte rief mit wahrer Dämonenfreude »Nicht doch! mitnichten, Freundchen! Ihr kommt so viel besser fort! will Euch den Hut schon tragen und den Weg bahnen!« und der Ärmste, er mochte flehen, wie er wollte, mußte mit bloßem Kopfe, den mächtigen Rahmen über demselben schwingend, den übrigen Weg zurücklegen, den schlurfenden Alten mit seinem Netz vor sich her, der sich zu größerer Bequemlichkeit den Hut über die Zipfelkappe gestülpt hatte und schreiend und lärmend voranschritt.

      Als sie endlich vor dem Häuschen des Alten angekommen und die Unheilsfahne mit vieler Mühe in den engen Laden hineingezwängt hatten, schien das freundliche boshafte Greischen befriedigt. Er öffnete ausnahmsweise sein kleines Pult zur Hälfte, denn bisher hatte er seine winzigen Auszahlungen immer aus der Hosentasche bestritten, und griff behutsam unter den Deckel, wie einer, der eine Maus aus der Falle herausgreifen will, und indem er die Hand zurückzog, drückte er dem ausruhenden Heinrich zehn nagelneue Guldenstücke in die Hand für die beiden Schildereien, ohne ihn zu fragen, ob er damit einverstanden sei. »Für einmal«, sagte er zutraulich leise, »will ich es mit diesen beiden Tausendsassas von Bildern wagen! Wenn ich sie auch behalten muß, was tut’s? Ihr seid mir darum nicht feit, Freundchen, Schweizerchen! habt Euch heute gut gehalten, wie? hä hä hä, hi hi hi, was ist das für ein Kreuz mit so hochfahrendem Blute!«

      Heinrich sagte kurz und bündig »Das versteht Ihr nicht, alter Herr!« – »Was versteh ich nicht?« flüsterte der Alte, und der Junge wollte fortfahren »Es ist nicht das, was Ihr meint, etwa Hochmut oder dergleichen es ist vielmehr der bescheidene Wunsch, nicht aller Welt in die Augen zu fallen und Narrheiten zu treiben auf offener Straße; denn ein Renommist und ein Narr ist, wer mit einer Kleinigkeit einem armen Teufel dienen könnte und ihn das tun lassen, wozu er geschickt und gewöhnt ist, und statt dessen selber auf Abenteuer ausgeht –«; der unbelehrbare Alte ließ ihn aber nicht ausreden, sondern zwang ihn, noch einen Fischschwanz aufzuessen, oder vielmehr die Brühe aufzutunken, welches die Hauptsache sei, und er ließ ihn nicht eher los, bis er den Teller, an welchem ein Stück Rand fehlte, ganz leer gegessen. Erst als das geschehen, sah Heinrich, daß der Tyrann vom Fenster eine große Zeichnung weggenommen hatte, so daß der essende Heinrich in der Spelunke recht sichtbar wurde, und er grüßte dabei mit seiner Zipfelmütze grinsend nach allen Seiten, um die Leute aufmerksam zu machen und herbeizuziehen. Über dieses sonderbare Vergnügen des Männchens mußte endlich Heinrich so herzlich lachen, daß er ganz aufgeweckt wurde und in seiner Freude dem Alten die Zipfelmütze abriß und sich selbst aufsetzte. Zugleich trat aber auf dem kahlen Schädel des Alten eine seltsame Erhöhung oder runder Wulst zutage, ein hügelartiger Auswuchs des Knochens, und auf dieser einsam ragenden Extrakuppe ein stehengebliebenes Wäldchen grauer Haare, was einen höchst lächerlichen Anblick gewährte. Die zornige Verlegenheit des also Beschaffenen bewies, daß dieses sein Geheimnis und seine schwache Seite war; aber Heinrich hatte ihm, als er dies gesehen, unwillkürlich die Zipfelmütze so blitzschnell wieder aufgesetzt und geriet selbst in so harmlose Mitverlegenheit, daß der Alte sich halb schmunzelnd, halb murrend zufriedengab und überdies etwas nachdenklich wurde.

      Heinrich hatte indessen lange nicht soviel Geld besessen wie jetzt, und er beschloß, ehe dasselbe zu Ende gehe, sich neues zu erwerben und, was im großen nicht hatte gelingen wollen, allmählich im kleinen zu versuchen. Da seine guten Studienblätter alle verschwunden waren, so machte er sich daran, welche aus dem Stegreif zu schaffen, und fabrizierte in kurzer Zeit eine Anzahl flüchtiger, aber bunter und kecker Skizzen, ohne An dacht und Liebe, denen man es auf den ersten Blick ansah, daß sie nicht im Freien, sondern in der Stube entstanden. Über dieser herzlosen Beschäftigung stand natürlich alles tiefere und innere Streben und Sein vollends still, wie denn auch, da kein Buch mehr in seinem Besitze war und er sich aus den Hörsälen zurückgezogen, seine Selbstbildung von dieser Seite unterbrochen war, indessen er sich in einer anderen Schule befand, wo der Alte Professor war; denn man kann nicht alles zumal treiben. Der Alte empfing ihn aber ganz vergnügt mit den neuen Sachen, die ihm sehr in die Augen sprangen; er nahm ihm ab, was er ihm brachte, war aber nach einiger Zeit verwundert, daß er hievon auch nicht ein Stück verkaufte und der Käufer, welcher die guten Sachen alle geholt hatte, plötzlich wegblieb. Er teilte dies seinem Schützling mit, schob aber die Schuld auf die Wunderlichkeit und den Eigensinn der Leute und forderte Heinrich auf, nur nicht nachzulassen, sie wollten einmal auf den Vorrat arbeiten, bis sich neue Käufer finden würden. Heinrich konnte das aber nicht länger mit ansehen und sagte dem Alten, daß er wahrscheinlich nie einen Fetzen von dieser neuen Art verkaufen würde und daß er sein Geld, so wenig es sei, wegwerfe. Ganz verblüfft verlangte der Alte eine deutlichere Belehrung, und Heinrich setzte ihm, so gut es ging, auseinander, welcher Unterschied zwischen diesen und den früheren Sachen bestehe, wie jene eben etwas Gewordenes, diese etwas Gemachtes seien, jene ohne des Künstlers besonderes Verdienst von einem ganz bestimmten Stoff und Wert, diese dagegen vollkommen wertlos. Er sei nun sogar froh, setzte er hinzu, daß diese Industrie vollständig mißlungen, und um sein Gewissen vollständig zu beschwichtigen, zog er seinen Geldbeutel, der die zehn Gulden enthielt, und anerbot dem Alten, ihm wieder zu ersetzen, was er ihm für die liederlichen Arbeiten gegeben. Denn er hatte jetzt vollständig das Schmähliche einer hohlen herzlosen Tätigkeit empfinden gelernt, die, ohne nur eine ordentliche ehrliche Handarbeit zu sein, sich den Schein eines edleren Berufes gibt.

      Der Alte hörte aufmerksam zu, nahm eine Prise über die andere, lächelte dann schlau und vergnügt, indem er das angebotene Geld sogleich einstrich, und streichelte dem Jungen die Backen, welcher Liebkosung sich dieser sachte entzog. Er hatte den Ersatz unwillkürlich angeboten und war jetzt doch etwas betroffen, denselben angenommen zu sehen, da seine kleine Barschaft dadurch stark abnahm, ohne nun weiter zu wissen, was er tun sollte.

      Der Alte aber nahm ihn bei der Hand und sagte »Nur munter, Freundchen! wir wollen sogleich eine Arbeit beginnen, die

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