Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер
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Während nämlich die Frau Margret die bewegende und erhaltende Kraft in ihrem Haushalte war, den Grund zum jetzigen Wohlstand gelegt hatte und jederzeit das Heft in den Händen hielt, war ihr Mann einer von denjenigen, welche nichts Eigenes gelernt haben noch tun können und daher darauf angewiesen sind, mehr den Handlanger einer tatkräftigen Frau zu machen und auf eine müßige Weise unter dem Schilde ihres Regimentes ein ruhmloses Dasein zu führen. Als die Frau, besonders in frühern Jahren, durch kecke Benutzung der Zeitläufe und originelle Handstreiche in wörtlichem Sinne Gold zusammenhäufte, spielte er nur die Rolle eines dienstbaren Hauskoboldes, welcher, wenn er seine Handleistungen getan hatte, mit dem, was ihm die Frau gab, sich gütlich tat und dazu allerhand Späße trieb, welche männiglich ergötzten. Sein unmännlicher Mangel an Rat und Zuverlässigkeit, die Erfahrung, daß sie in kritischen Fällen nie einen kräftigen Schutz in ihm fand, ließen Frau Margret auch seine sonstigen Leistungen übersehen und erklärten die unbefangene Art, mit welcher sie ihn ohne weiteres von der Mitherrschaft über die Geldtruhe ausschloß. Es hatte auch lange Zeit keines von beiden ein Arges dabei, bis einige Ohrenbläser, worunter auch jener ränkesüchtige Schneider, dem Manne das Demütigende seiner Lage vorhielten und ihn aufhetzten, endlich eine Teilung des Erworbenen und vollständige Mitherrschaft zu verlangen.
Sogleich schwoll ihm der Kamm gewaltig, und er drohte, die schlimmen Ratgeber hinter sich, der bestürzten Frau mit den Gerichten, wenn sie nicht seinen Anteil an dem »gemeinschaftlich erworbenen« Gute herausgäbe. Sie fühlte wohl, daß es mehr um einen gewaltsamen Raub als um ein ehrliches Rechthalten zu tun sei, und sträubte sich mit aller Kraft dagegen, zumal sie wußte, daß sie nach wie vor die einzig erhaltende Kraft im Hause sein würde. Sie hatte aber die Gesetze gegen sich, da diese nicht auf eine Ausscheidung der beitragenden Kräfte eingehen konnten, und zudem gab der Mann vor, sich allerlei mutwilliger Anklagen bedienend, sich nach geschehener Teilung von ihr trennen zu wollen, so daß sie betäubt und beschwatzt wurde und, krank und halb bewußtlos, die Hälfte von allem Besitze herausgab. Er nähete sogleich seine schimmernden Goldstücke, je nach der Art, in lange, wurstartige Beutel, legte dieselben in einen Koffer, den er am Boden festnagelte, setzte sich darauf und schlug seinen Helfershelfern, welche auch ihren Anteil zu erschnappen gehofft hatten, ein Schnippchen. Im übrigen blieb er bei seiner Frau und lebte nach wie vor bei und von ihr, indem er nur dann zu seinem Schatze griff, wenn er eine Privatliebhaberei befriedigen wollte. Sie erholte sich indessen wieder und hatte nach einiger Zeit ihren eigenen Schatz wieder vervollständigt und mit den Jahren verdoppelt; aber ihr einziger Gedanke war seit jenem Tage der Teilung, mit der Zeit wieder in den Besitz des Entrissenen zu gelangen, und das war nur möglich durch den Tod ihres Mannes. Daher ging ihr jedesmal ein Stich durch das Herz, wenn er ein Goldstück umwechselte, und sie harrte unverwandt auf seinen Tod. Er hingegen wartete ebenso sehnlich auf den ihrigen, um Herr und Meister des ganzen Vermögens zu werden und in voller Unabhängigkeit den Rest seines langen Lebens zuzubringen. Dieses grauenhafte Verhältnis hätte man freilich auf den ersten Blick nicht geahnt; denn sie lebten zusammen wie zwei gute alte Leutchen und nannten sich nur Vater und Mutter. Insbesondere blieb die Margret in allem einzelnen auch gegen ihn die gute und freigebige Frau, die sie sonst war, und sie hätte vielleicht ohne den vierzigjährigen Lebensgenossen und sein spaßhaftes Umhertreiben nicht einen Tag leben können; auch ihm war es mittlerweile wohl genug, und er besorgte mit humoristischer Geschäftigkeit die Küche, während sie im Kreise ihrer schwärmerischen Genossen die überfüllte Phantasie entzügelte.
Doch in jeder Jahreszeit einmal, wenn in der Natur die großen Veränderungen geschahen und die alten Menschen an die schnelle Vergänglichkeit ihres Lebens erinnerten und ihre körperlichen Gebrechen fühlbarer wurden, erwachte, meistens in dunklen schlaflosen Nächten, ein entsetzlicher Streit zwischen ihnen, daß sie aufrecht in ihrem breiten altertümlichen Bette saßen, unter dem einen buntbemalten Himmel, und bis zum Morgengrauen, bei geöffneten Fenstern, sich die tödlichen Beleidigungen und Zankworte zuschleuderten, daß die stillen Gassen davon widerhallten. Sie warfen sich die Vergehungen einer fern abliegenden, sinnlich durchlebten Jugend vor und riefen Dinge durch die lautlose Nacht aus, welche lange vor der Wende dieses Jahrhunderts in Bergen und Gefilden geschehen, wo seitdem ganze dichte Wälder entweder gewachsen oder verschwunden, und deren Teilnehmer längst in ihren Gräbern vermodert waren.
Dann stellten sie sich darüber zur Rede, welchen Grund das eine denn zu haben glaube, das andere überleben zu können, und verfielen in einen elenden Wettstreit, wer von ihnen wohl noch die Genugtuung haben werde, den andern tot vor sich zu sehen.
Wenn man am Tage darauf in ihr Haus kam, so wurde der greuliche Streit vor jedem Eintretenden, ob fremd oder bekannt, fortgeführt, bis die Frau erschöpft war und in Weinen und Beten verfiel, indes der Mann anscheinend munterer wurde, lustige Weisen pfiff, sich einen Pfannkuchen buk und fortwährend irgendeine Flause dazu hermurmelte. Er konnte auf diese Weise einen ganzen Morgen hindurch nichts sagen als immer: »Einundfunfzig! einundfunfzig! einundfunfzig!« oder zur Abwechslung einmal: »Ich weiß nicht, ich glaube immer, die alte Kunzin da drüben ist heute früh spazierengeritten! sie hat gestern einen neuen Besen gekauft! ich habe so was in der Luft flattern sehen, das sah ungefähr aus wie ihr roter Unterrock; sonderbar! hm! einundfunfzig« usf. Dabei hatte er Gift und Tod im Herzen und wußte, daß seine Frau durch das Betragen doppelt litt; denn sie hatte keine Bosheit noch Mutwillen, um den Kampf auf diese Weise fortzusetzen. Was aber beide in diesem Zustande sich zuleide taten, bestand dann gewöhnlich in einer verschwenderischen Freigebigkeit, womit sie alles beschenkten, was ihnen zu nahe kam, gleichsam als wollte eines vor des andern Augen den Besitz aufzehren, nach dem ein jedes trachtete.
Der Mann war gerade kein gottloser Mensch, sondern ließ, indem er in der gleichen wunderlichen Art wie an Gespenster und Hexen, so auch an Gott und seinen Himmel glaubte, denselben einen guten Mann sein und dachte nicht im mindesten daran, sich auch um die moralischen Lehren zu bekümmern, welche aus diesem Glauben entspringen sollten er aß und trank, lachte und fluchte und machte seine Schnurren, ohne je zu trachten, sein Leben mit einem ernstern Grundsatze in Einklang zu bringen. Aber auch der Frau fiel es niemals ein, daß ihre Leidenschaften mit dem religiösen Gebaren im Widerspruche sein könnten, und sie zeichnete sich vor ihren schmausenden Adeptinnen darin aus, daß sie niemals dem Ausdrucke dessen, was sie bewegte, einen Zügel anlegte. Sie liebte und hafte, segnete und verwünschte und gab sich unverhüllt und ungehemmt allen Regungen ihres Gemütes hin, ohne je an eine eigene mögliche Schuld zu denken und sich unbefangenerweise stets auf Gott und seinen mächtigen Einfluß berufend.
Jede der Ehehälften hatte eine zahlreiche Verwandtschaft blutarmer Leute, welche im Lande zerstreut wohnten. Diese teilten unter sich die Hoffnung auf das gewichtige Erbe um so mehr, als Frau Margret, zufolge ihrer hartnäckigen Abneigung gegen unverbesserlich arm Bleibende, ihnen nur spärliche Gaben von ihrem Überflusse zukommen ließ und sie nur an Feiertagen gastlich speiste und tränkte. Alsdann erschienen von beiden Seiten her die alten Vettern und Basen, Schwestern und Schwäger mit ausgehungerten langnasigen Töchtern und bleichen Söhnen und trugen Säcklein und Körbe herbei, welche die kümmerlichen Gaben ihrer Armut enthielten, um die alten launenhaften Leute für sich zu gewinnen, und worin sie reichere Gegenspenden nach Hause zu tragen hofften. Diese Sippschaft war schroff in zwei Lager geschieden, die sich in dem Streite, der zwischen den Hauptpersonen herrschte, ebenfalls den Hoffnungen auf den frühern Tod des Gegners hingaben, um einst ein vergrößertes Erbe zu erhalten. Sie haßten und befeindeten sich ebenso stark untereinander, als die Leidenschaften Margrets und ihres Mannes das Vorbild dazu abgaben, und es entstand jedesmal, nachdem die zahlreiche Gesellschaft sich an dem ungewohnten Überflusse gesättigt und gewärmt hatte und der Übermut den anfänglichen Zwang auflöste, ein mächtiger Zank zwischen beiden Parteien, daß sich die Männer die übriggebliebenen Schinken, ehe sie dieselben in ihre Reisesäcke steckten, um die Köpfe schlugen und die armen Weiber sich gegenseitig