schon schwebte die Sonne dicht über dem Waldrande und warf ein feuerfarbenes Band über das dunkelnde Gewässer her, und noch hörte ich nichts von meinen Gastfreunden. Ich setzte mich auf die Stufen vor dem Hause, den Wein und das Brot neben mir, wie ein Arbeiter, der seines Lohnes wert ist. Die Sonne ging hinab und ließ eine hohe Rosenglut zurück welche auf alles einen sterbenden Nachglanz warf und die Zeichnung auf meinen Knien samt meinen Händen wunderbar rötete und etwas Rechtem gleichsehen ließ. Da ich sehr früh aufgestanden war und in diesem Augenblicke auch sonst nichts Besseres zu tun wußte, schlief ich allmählich ein, und als ich erwachte, standen die Zurückgekehrten in der vorgerückten Dämmerung vor mir und am dunkelblauen Himmel wieder die Sterne. Meine Malerei wurde nun in der Stube bei Licht besehen, die Magd schlug die Hände über den Kopf zusammen und hatte noch nie etwas Ahnliches erblickt, der Schulmeister fand mein Werk gut und belobte meine Artigkeit gegen sein Töchterchen mit schönen Worten und freute sich darüber, Anna lächelte vergnügt auf das Geschenk, wagte aber nicht, es anzurühren, sondern ließ es auf dem flachen Tische liegen und guckte nur hinter den anderen hervor darüber hin. Wir nahmen nun das Nachtmahl ein, nach welchem ich aufbrechen wollte; aber der Schulmeister verhinderte mich daran und gab Befehl, mir ein Lager zu bereiten, da ich mich auf dem dunklen Berge unfehlbar verirren würde. Obgleich ich einwandte, daß ich den nächtlichen Weg ja schon einmal zurückgelegt hätte, ließ ich mich doch leicht bereden, aus bloßer Freundschaft dazubleiben, worauf wir in den kleinen Saal mit der Orgel gingen. Der Schulmeister spielte, und Anna und ich sangen dazu einige Abendlieder und, der Magd zu Gefallen, welche gern mitsang, einen Psalm, den sie mit heller Stimme beherrschte. Dann ging der Alte zu Bette. Doch jetzt begann erst die Herrschaft der alten Katherine, welche unten in der Stube einen ungeheuren Vorrat von Bohnen aufgetürmt hatte, welche heute nacht noch sämtlich bearbeitet werden sollten. Denn da sie nachts nicht viel schlafen konnte, beharrte sie hartnäckig auf der ländlichen Sitte, dergleichen Dinge bis tief in die Nacht hinein vorzunehmen. So saßen wir bis um ein Uhr um den grünen Bohnenberg herum und trugen ihn allmählich ab, indem jedes einen tiefen Schacht vor sich hineingrub und die Alte den ganzen Vorrat ihrer Sagen und Schwänke heraufbeschwor und uns beide, die wir wach und munter blieben wie Wieselchen, so lachen machte, daß uns die Tränen über die Wangen liefen. Anna, welche mir gegenübersaß, baute ihren Hohlweg in die Bohnen hinein mit vieler Kunst, eine Bohne nach der anderen herausnehmend, und grub unvermerkt einen unterirdischen Stollen, so daß plötzlich ihr kleines Händchen in meiner Höhle zutage trat, als ein Bergmännchen, und von meinen Bohnen wegschleppte in die grauliche Finsternis hinein. Katherine belehrte mich, daß Anna der Sitte gemäß verpflichtet sei, mich zu küssen, wenn ich ihre Finger erwischen könne, jedoch dürfe der Berg darüber nicht zusammenfallen, und ich legte mich deshalb auf die Lauer. Nun grub sie sich noch verschiedene Wege und begann mich auf die listigste Weise zu necken; die Hand in der Tiefe des Bohnengebirges versteckt, sah sie mich über dasselbe her mit ihren blauen Augen neckisch an, indessen sie hier eine Fingerspitze hervorgucken ließ, dort die Bohnen bewegte, wie ein unsichtbarer Maulwurf, dann plötzlich mit der ganzen Hand hervorschoß und wieder zurückschlüpfte, wie ein Mäuschen ins Loch, ohne daß es mir je gelang, sie zu haschen. Sie trieb es so weit, mir immer auf die Augen sehend, daß sie plötzlich eine Bohne, die ich eben ergreifen wollte, meinen Fingern entzog, ohne daß ich wußte, wo dieselbe hingekommen. Katherine bog sich zu mir herüber und flüsterte mir ins Ohr: »Laßt sie nur machen, wenn ihr der Bau endlich zusammenbricht über den vielen Löchern, so muß sie Euch auf jeden Fall küssen!« Anna wußte jedoch sogleich, was die Alte zu mir sagte; sie sprang auf, tanzte dreimal um sich selbst herum, klatschte in die Hände und rief: »Er bricht nicht! er bricht nicht! er bricht nicht!« Beim dritten Male gab Katherine mit ihrem Fuße dem Tische schnell einen Stoß, und der unterhöhlte Berg stürzte jammervoll zusammen. »Gilt nicht, gilt nicht!« rief Anna so laut und sprang so ausgelassen im Zimmer umher, wie man es gar nicht hinter ihr vermutet hätte. »Ihr habt an den Tisch gestoßen, ich hab es wohl gesehen!«
»Es ist nicht wahr«, behauptete Katherine, »Heinrich bekommt einen Kuß von dir, du Hexe!«
»Ei, schäme dich doch, so zu lügen, Katherine«, sagte das verlegene Kind, und die unerbittliche Magd erwiderte »Sei dem, wie ihm wolle, der Berg ist gefallen, ehe du dich dreimal gedreht hast, und du bist dem Herrn Heinrich einen Kuß schuldig!«
»Den will ich auch schuldig bleiben«, rief sie lachend, und ich, selbst froh, der feierlichen Zeremonie entflohen zu sein und doch die Sache zu meinem Vorteile lenkend, sagte »Gut, so versprich mir, daß du mir immer und jederzeit einen Kuß schuldig sein willst!«
»Ja, das will ich«, rief sie und schlug leichtsinnig und mutwillig auf meine dargebotene Hand, daß es schallte. Sie war jetzt überhaupt ganz lebendig, laut und beweglich wie Quecksilber und schien ein ganz anderes Wesen zu sein als am Tage. Die Mitternacht schien sie zu verwandeln, ihr Gesichtchen war ganz gerötet, und ihre Augen glänzten vor Freude. Sie tanzte um die unbehilfliche Katherine herum, neckte sie und wurde von ihr verfolgt, es entstand eine Jagd in der Stube umher, in welche ich auch verwickelt wurde. Die alte Katherine verlor einen Schuh und zog sich keuchend zurück, aber Anna ward immer wilder und behender. Endlich haschte ich sie und hielt sie fest, sie legte ohne weiteres ihre Arme um meinen Hals, näherte ihren Mund dem meinigen und sagte leise, vom hastigen Atmen unterbrochen:
»Es wohnt ein weißes Mäuschen
Im grünen Bergeshaus;
Das Häuslein wollte fallen,
Das Mäuslein floh daraus«;
worauf ich in gleicher Weise fortfuhr:
»Man hat es noch gefangen,
Am Füßchen angebunden
Und um die Vordertätzchen
Ein rotes Band gewunden«;
dann sagten wir beide im gleichen Rhythmus und indem wir uns geruhig hin und her wiegten:
»Es zappelte und schrie
Was hab ich denn verbrochen?
Da hat man ihm ins Herzlein
Ein goldnen Pfeil gestochen.«
Und als das Liedchen zu Ende war, lagen unsere Lippen dicht aufeinander, aber ohne sich zu regen; wir küßten uns nicht und dachten gar nicht daran, nur unser Hauch vermischte sich auf der neuen, noch ungebrauchten Brücke, und das Herz blieb froh und ruhig.
Am andern Morgen war Anna wieder wie gewöhnlich, still und freundlich; der Schulmeister begehrte die Zeichnung bei Tage zu besehen, und da ergab es sich, daß sie von Anna schon in den unzugänglichsten Gelassen ihres Kämmerchens verwahrt und begraben worden. Sie mußte dieselbe aber wieder hervorholen, was sie ungern tat, der Vater nahm einen Rahmen von der Wand, in welchem eine vergilbte und verdorbene Gedächtnistafel der Teuerung von 1817 hing, nahm sie heraus und steckte den frischen bunten Bogen hinter das Glas. »Es ist endlich Zeit, daß wir dies traurige Denkmal von der Wand nehmen« sagte er, »da es selber nicht länger vorhalten will. Wir wollen es zu anderen verschollenen und verborgenen Denkzeichen legen und dafür dieses blühende Bild des Lebens aufpflanzen, das uns unser junge Freund geschaffen. Da er dir die Ehre erwiesen hat, liebes Ännchen, deinen Namen unter die Blumen zu setzen, so mag die Tafel zugleich deine Ehren-und Denktafel in unserm Hause sein und ein Vorbild, immer heiter, mit geschmückter Seele und schuldlos zu leben wie diese zierlichen und ehrbaren Werke Gottes!«
Nach Tisch machte ich mich endlich bereit zur Rückkehr; Anna erinnerte sich, daß heute wieder Tanzübung stattfinde, und erbat sich die Erlaubnis, gleich mit mir gehen zu dürfen. Zugleich verkündete sie, daß sie bei ihren Basen übernachten würde, um nicht wieder so spät über den Berg zu müssen. Wir wählten den Weg längs des Flüßchens, um im Schatten zu gehen, und da dieser Pfad vielfach feucht war und von tiefen Kräutern und Gesträuchen beengt, schürzte