Moderne Geister: Literarische Bildnisse aus dem neunzehnten Jahrhundert. Georg Brandes
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Auch die geschilderten Persönlichkeiten sind sehr verschiedener Art. Sie gehören nicht weniger als sechs Nationalitäten an. Allen gemeinsam ist jedoch ein Etwas, das sich leichter empfinden als definiren lässt: es sind moderne Geister. Ich will damit nicht sagen, dass sie alle ohne Ausnahme mit vollem Bewusstsein und von ganzem Herzen dem „Modernen“ in Kunst und Ideen gehuldigt haben, sondern nur, dass sie, wenn auch in sehr ungleichem Grade — was für den Beobachter den Reiz erhöht — die moderne Geistesart vertreten.
Berlin, im October 1881.
Die in der Vorrede zur ersten Auflage dieses Buches ausgesprochene Hoffnung, man möge dem Verfasser, obwohl einem Fremden, in der deutschen Litteratur einen kleinen Platz einräumen, hat sich seitdem insofern erfüllt als er in den deutsch lesenden Ländern ein Publikum gefunden hat. Nur mischt sich für ihn viel Bitterkeit in diese Freude. Der Umstand, dass die dänische Regierung sich fortwährend weigerte, der Berner Convention beizutreten, hatte für ihn die Folge, dass die meisten Bücher, die mit seinem Namen versehen in der deutschen Sprache existiren, nur in grober Verunstaltung durch gewissenlos besorgte Privatausgaben vorliegen, die seine eigenen Ausgaben aus dem Markte vertrieben haben. Es ist für den Schriftsteller gewiss nicht angenehm, des äusseren Lohns für seine Arbeit beraubt zu werden; viel schlimmer ist es jedoch, diese Arbeit selbst von Pfuscherarbeiten, die seinen Namen tragen, verdrängt zu sehen.
Schon seit einigen Jahren ist die zweite Auflage dieses Buches ausverkauft gewesen. In den fünfzehn Jahren, die vergangen sind, seit es zum ersten Mal erschien, hat sich Manches verändert, und die Geister, die damals noch als modern betrachtet werden mussten, können kaum mehr so genannt werden. Ihr Werth hängt jedoch nicht davon ab, ob neuere Geister und Richtungen seither entstanden sind, und der Autor hat gethan was er vermochte, um Mangelhaftes zu berichtigen, Undeutliches zu verschärfen und Fehlendes zu ergänzen. So ist das Buch genau durchgesehen, bedeutend vergrössert und erheblich verbessert worden.
Kopenhagen, im November 1896.
Die vierte Auflage ist noch einmal besonders mit Bezug auf die Sprachform durchgesehen und die beiden letzten Aufsätze nicht wenig vermehrt worden.
Kopenhagen, im November 1900.
Georg Brandes.
Paul Heyse.
(1875.)
Woher kommt es, fragte ich neulich einen ausgezeichneten Portraitmaler, „dass Sie, der Sie früher mit Erfolg sich in mehreren andern Kunstfächern versucht haben, zuletzt sich ganz auf das Portrait beschränkten?“
„Ich glaube daher,“ antwortete er, „weil es mich am meisten ergötzt, so ein Ding, das nie dagewesen ist und nie wieder kommen wird, zu studiren und festzuhalten“.
Er schien mir mit diesen Worten schlagend das Interesse zu bezeichnen, das Einen zu der einzelnen Persönlichkeit, der innern wie der äussern, hinzieht. Auch für den Kritiker ist das Individuum ein besonders verlockender Gegenstand; auch für ihn ist die Ausführung eines Portraits eine seltsam fesselnde Beschäftigung. Leider stehen seine Mittel nur allzusehr hinter denen des Malers zurück. Was kann schwieriger und vergeblicher sein, als das rein Individuelle in Worten ausdrücken zu wollen — das, was seiner Natur nach jeder Wiedergabe durch Worte spottet! Ist die Persönlichkeit in ihrem ununterbrochenen Flusse nicht das wahre perpetuum mobile, das sich nicht construiren lässt?
Und doch reizen und locken diese unlöslichen Aufgaben Einen immer auf's neue. Wenn man allmählich mit einem Schriftsteller vertraut geworden ist, sich in seinen Schriften frei bewegt, dunkel fühlt, dass gewisse Charakterzüge bei ihm die andern beherrschen, und dann von Natur einen kritischen Hang hat, so lässt es Einem keine Ruhe, bevor man sich selbst über seinen Eindruck Rechenschaft gegeben und sich das undeutliche Bild eines fremden Ich, das sich in unserm Innern gebildet, klar gemacht hat. Man hört oder liest Urtheile über einen Schriftsteller und findet sie albern. Warum sind sie albern? Andere Aeusserungen über ihn dünken uns halbwahr. Was fehlt ihnen, um völlig wahr zu sein? Ein neues grosses Werk von ihm erscheint. Wie ist es von den früheren schon vorbereitet? Man wird fast neugierig, zu erfahren, wie man selbst sein Talent charakterisiren würde — und man befriedigt seine Neugier.
I.
Wer einen Blick auf die lange Reihe enggedruckter Bände wirft, die Paul Heyse's gesammelte Werke bilden, und sich erinnert, dass der Geburtstag des Verfassers in das Jahr 1830 fällt, wird vermuthlich zuerst ausrufen: Welcher Fleiss! Unwillkürlich wird er diese staunenswerthe Productivität auf eine Willenskraft von seltener Ausdauer zurückführen. Nichts desto weniger entstammt sie einer selten glücklichen Natur. Diese Natur war an und für sich von so üppiger Fruchtbarkeit, dass sie, ohne Willensanspannung oder Kraftanstrengung ihre Ernte geliefert hat; sie hat sie so mannigfach geliefert, dass man glauben möchte, sie sei nach einem bestimmten Plane und mit sorgsamem Willen gepflegt worden; es war ihr jedoch augenscheinlich vergönnt, völlig frei zu walten. Die Natur walten, „sich gehen zu lassen“,[1] das war, wie man fühlt, von Anfang an Heyse's Wahlspruch, und so kommt es, dass er mit Eigenschaften, die zu einer zerstreuten, spärlichen und fragmentarischen Production zu führen pflegen, jedes Unternehmen vollendet und abgerundet, dass er lyrische und epische Gedichte, ein grösseres Epos (Thekla), ein Dutzend Dramen, mehr als fünfzig Novellen, und zwei grosse Romane geschrieben hat. Er begann frühzeitig, schon als Schüler trat er seine literarische Laufbahn an. Und sorglos wie ein Fusswanderer, sein Lied vor sich hinpfeifend, nie sich übereilend, aus jeder Quelle trinkend, stillstehend vor den Sträuchern am Wege, und Blumen wie Beeren pflückend, im Schatten ausruhend und im Schatten wandernd, hat er nach und nach eine Bahn durchschritten, die nur möglich scheint, wenn man das Auge bei athemlosem Marschiren fest auf das Ziel heftet.
Die Stimme, der Heyse als Schriftsteller folgt, ist unzweifelhaft die Stimme des Instincts. Nichts liegt ihm, obwohl er Norddeutscher ist, ferner als Instinctlosigkeit und Absichtlichkeit. Obgleich in Berlin geboren, fasst er in München Wurzel und findet in der vollblütigen süddeutschen Race und dem säftereichen süddeutschen Leben die Umgebungen, die mit seiner Anlage übereinstimmen; obgleich in Süddeutschland zu Hause, fühlt er sich immer nach Italien hingezogen, wie nach dem Lande, wo die Menschenpflanze ein von der Reflexion noch weniger gestörtes, schöneres und üppigeres Wachsthum erreicht hat, und wo die Stimme des Blutes am klarsten und stärksten spricht. Diese Stimme ist die Sirenenstimme, die ihn lockt. Natur! Natur! klingt es in seinem Ohre. Deutschland hat Schriftsteller, die fast instinctlos scheinen, und die nur ein kräftiger norddeutscher Wille zu dem,