Der Bergpfarrer 152 – Heimatroman. Toni Waidacher
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»Was ist denn hier los?« rief Thomas und bog sich vor Lachen, als er die beiden Madln sah. »Ihr seid aber früh auf. Wolltet ihr net ausschlafen?«
»Nö!« Seine Schwester schüttelte den Kopf. »Saskia wollte unbedingt lernen, wie gemolken und der Stall ausgemistet wird.«
»Na, dann viel Spaß«, grinste Thomas und verschwand wieder.
Beim Ausmisten ahnte Saskia, warum Kathis Bruder so unverschämt gegrinst hatte – es war ein sehr strenger Geruch, der im Stall herrschte...
»Du gewöhnst dich dran«, tröstete Kathi sie. »Und wenn du wieder daheim bist, dann wirst den Geruch richtig vermissen.«
»Na, ich weiß ja net«, prustete Saskia und stieß die Mistgabel in den Mist.
*
Beim Frühstück herrschte ausgesprochen gute Laune. Die Eltern wunderten sich zwar, daß ihre Tochter und deren Besuch schon so früh auf den Beinen waren, aber gegen eine helfende Hand hatte niemand etwas einzuwenden.
Anschließend wurde geduscht und sich umgezogen. Gegen acht Uhr verließen die beiden Madln den Hof und wanderten ein Stück die Bergstraße hinauf. Hoch über ihnen ragten die Gipfel in den wolkenlosen Himmel, und die Sonne strahlte mit den Freundinnen um die Wette.
»Das ist der ›Himmelsspitz‹ und gleich daneben die ›Wintermaid‹«, erklärte Kathi die Namen des Zwillingsgipfels, dessen schneebedeckte Spitzen scheinbar in den Himmel stießen. »Und irgendwo dazwischen ist die Kandereralm. Aber das kannst von hier aus freilich net sehen. Auf der Alm steh’n unsre anderen Kühe. Mal sehen, wenn wir keine Gelegenheit für eine Wanderung haben, fahren wir eben mit dem Auto über den Wirtschaftsweg und besuchen den Franz mal da droben. Aber schöner wär’s schon, wenn wir richtig aufsteigen täten.«
Saskia hatte ihren Fotoapparat mitgenommen und machte fleißig Bilder. Dann fotografierten sie sich gegenseitig, und zwischendurch aßen sie vom Proviant und tranken von dem mitgebrachten Tee.
Das Mittagessen wollten sie ausfallen lassen und erst am Abend warm essen. Sie hatten genügend belegte Brote mitgenommen, und wenn der Tee ausgetrunken war, würden sie unterwegs an Bachläufe kommen, aus denen sie trinken konnten, hatte Kathi versichert.
Jetzt lagen sie faul auf der Bergwiese und schaute ins Tal hinunter.
»Komisch«, meinte Saskia, »obwohl es gestern ja wirklich spät geworden ist, bin ich kein bissel müd’.«
»Geht mir genauso«, nickte die Freundin. »Aber das kommt noch. Wenn wir wieder auf dem Hof sind, legen wir uns am besten erstmal ein bissel hin, bevor wir ins Dorf fahren, um die Kirche zu besichtigen.«
Am frühen Mittag machten sie sich wieder auf den Rückweg. Jetzt spürte Saskia tatsächlich die Anstrengungen der Wanderung und den fehlenden Schlaf. Erschöpft sank sie auf ihr Bett und schlief ein.
Erst gegen drei Uhr weckte Burgl Raitmayr ihre Tochter und Saskia.
»Wenn ihr weiterschlaft, dann braucht ihr erst gar net aufstehen«, meinte die Bäuerin.
Es waren nur knapp zwei Stunden gewesen, aber die hatten gereicht, um die beiden zu erfrischen. Nach einer Tasse Kaffee fuhren sie ins Dorf hinunter.
»Mal schauen, ob Hochwürden daheim ist«, meinte Kathi, als sie ihr Auto an der Straße vor der Kirche abgestellt hatte.
Gespannt ging Saskia neben ihr den Kiesweg hinauf. Sie betraten den kleinen Vorraum, und die Studentin hielt unwillkürlich den Atem an.
»Da staunst, was?« flüsterte die Freundin.
Saskia nickte. Langsam gingen sie durch das Kirchenschiff und schauten sich um. Überall gab es etwas zu sehen. Die Fensterbilder zeigten Szenen aus der Bibel, in Ecken und Nischen standen geschnitzte Heiligenfiguren, die zum Teil mit Blattgold verziert waren, und auf dem Altar blitzte ein goldener Kelch neben dem Kreuz.
»Herrlich«, sagte Saskia leise. »Ob man hier fotografieren darf?«
»Freilich«, nickte Kathi und deutete auf die anderen Besucher, die alleine oder in Gruppen standen, »die tun’s doch auch.«
An der Wand neben der Tür zur Sakristei, hing ein großes Bild. Es hieß »Gethsemane« und zeigte den Erlöser, am Abend vor der Kreuzigung, im Gebet versunken. Andächtig standen die Madln davor und betrachteten es. Auch wenn Kathi es schon oft gesehen hatte, war sie doch immer wieder von dem Gemälde angetan.
Gleich daneben war das wertvollste Stück der Kirche zu besichtigen. Eine Madonnenfigur aus Holz geschnitzt und ohne goldene Verzierung. Aber gerade die einfache Anmutigkeit machte sie so prachtvoll. Der unbekannte Schnitzer mußte all seine Liebe und seinen Glauben in das Werk gelegt haben, um so etwas Herrliches zu schaffen.
Kathi erzählte der Freundin, daß die Madonna schon einmal Opfer einer Bande von Kirchenräubern geworden war. Pfarrer Trenker und seinem Bruder, der Polizist in St. Johann sei, war es aber gelungen, die Täter überführen und die Mutter Gottes wiederzubeschaffen.
»Bergsteiger, Detektiv«, schmunzelte Saskia, »euer Pfarrer muß ja wirklich vielseitige Talente haben.«
»Vor allem ist er unser guter Hirte, der für seine Schäfchen immer ein offenes Ohr hat«, sagte die Bauerntochter ernst. »Für unsren Herrn Pfarrer gibt’s kein Problem, das er net lösen könnt’.«
»Das ist aber schön, daß du so eine gute Meinung von mir hast«, hörten die beiden Madln plötzlich eine Stimme hinter sich.
Sie schauten sich um und sahen Sebastian, der unbemerkt hinter sie getreten war.
»Aber manchmal steh’ auch ich vor einem Rätsel, und es will mir net gelingen, es zu lösen.«
Kathi war vor Verlegenheit rot geworden. Aber der Geistliche ging darüber hinweg.
»Das ist also deine Brieffreundin, von der du mir erzählt hast«, sagte er.
»Ja, das ist Saskia Benthof«, stellte Kathi die Studentin vor. »Endlich hat’s mal geklappt, daß sie mich besuchen kann.«
»Grüß dich, Saskia«, nickte der Bergpfarrer ihr zu und reichte der Studentin die Hand. »Herzlich willkommen in St. Johann. Ich wünsch’ dir eine schöne Zeit hier.«
»Dank’ schön, Hochwürden«, antwortete sie. »Es ist wunderschön hier, und Ihre Kirche ist einmalig.«
»Ja«, lächelte Sebastian, »das sagen alle, die sie zum ersten Mal betreten.«
»Sie haben net zufällig eine Bergtour geplant?« fragte Kathi. »Wissen S’, die Saskia ist nämlich noch nie aufgestiegen.«
Saskia hatte ja schon von der Freundin gehört, daß dieser Geistliche etwas ganz Besonderes war. Aber das traf wohl nicht nur für sein Amt zu. Hätte er nicht seine Soutane getragen, würde sie diesen Mann niemals für einen Pfarrer gehalten haben. Mit seinem von vielen Aufenthalten im Freien leicht gebräunten, markanten Gesicht und der durchtrainierten Figur hatte man eher den Eindruck, vor einem prominenten Sportler oder Schauspieler