Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band. Arthur Conan Doyle
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band - Arthur Conan Doyle страница 158
Hier warf sich Ryder plötzlich zu Boden und umfaßte die Kniee meines Freundes. »Um Gottes willen, haben Sie Erbarmen«, rief er, »denken Sie an meinen Vater, an meine Mutter! Es würde ihnen das Herz brechen! Ich habe noch nie etwas Schlechtes begangen und will es auch nie wieder tun, ich schwöre es. Ich beschwöre es bei allem, was heilig ist. Oh, bringen Sie mich nur nicht vor Gericht, um Christi willen nicht!«
»Setzen Sie sich wieder in Ihren Stuhl«, erwiderte Holmes streng. »Es ist keine Kunst, sich jetzt zu winden und zu krümmen, aber den armen Horner unter ungerechtem Verdacht in Haft zu bringen, das machte Ihnen wenig Kopfzerbrechen.«
»Ich will fliehen, Mr. Holmes, ich will außer Landes gehen, dann wird man die Untersuchung gegen ihn einstellen.«
»Hm. Darüber reden wir noch. Und jetzt erzählen Sie uns wahrheitsgemäß, wie es weiter ging. Wie kam der Stein in die Gans, und wie kam die Gans auf den Markt? Sagen Sie uns die Wahrheit. Darin liegt für Sie die einzige Hoffnung auf Rettung!«
Ryder fuhr sich mit der Zunge über seine trockenen Lippen. »Ich will es Ihnen erzählen, ganz wie es gegangen ist«, begann er dann. »Als Homer festgenommen war, dachte ich, es werde das beste für mich sein, mich mit dem Stein ohne Verzug aus dem Staub zu machen, es konnte ja der Polizei jeden Augenblick einfallen, mich und mein Zimmer zu durchsuchen. Im ganzen Bereich des Hotels gab es kein sicheres Versteck dafür. Ich ging deshalb aus, als hätte ich etwas zu besorgen, und suchte meine Schwester auf. Sie ist an einen namens Oakshott verheiratet und wohnt in Brixton Road, wo sie Geflügel zum Verkauf mästet. Auf dem ganzen Weg hielt ich jeden, der mir begegnete, für einen Schutzmann oder einen Detektiv, sodaß trotz der kalten Nacht der Schweiß an mir herunter lief, noch ehe ich in Brixton Raod war. Meine Schwester fragte mich, was es denn gebe, und warum ich so blaß sei, aber ich machte ihr weiß, ich habe wegen Diebstahls im Hotel aufbleiben müssen. Dann ging ich in den Hinterhof und dachte bei einer Pfeife darüber nach, was jetzt wohl das Geratenste für mich wäre.
Ich hatte früher einen Freund gehabt Namens Maudsley, der auf schlechte Wege geriet und jetzt eben seine Zeit abgesessen hat. Dieser hatte mir eines Tages einmal von den Schlichen der Diebe erzählt und wie sie die gestohlenen Sachen sich aus den Händen schaffen. Ich wußte, daß er mich nicht verraten würde, denn ich wußte auch ein oder zwei Sachen von ihm; so kam ich zu dem Entschluß, ihn ohne weiteres in Kilburn aufzusuchen und ihn ins Vertrauen zu ziehen. Er würde mir sicher Mittel und Wege zeigen, wie ich den Stein zu Geld machen könnte. Aber wie unbehelligt zu ihm gelangen? Ich dachte an die Schrecken, die ich auf dem Herweg ausgestanden hatte. Jeden Augenblick konnte man mich fassen und durchsuchen, und dann fand man den Stein in meiner Westentasche. Ich hatte unterdessen an der Wand gelehnt und den Gänsen zugeschaut, die mir vor den Füßen herumwatschelten; auf einmal fuhr mir ein Gedanke durch den Kopf, wie ich den schlauesten Detektiv auf der ganzen Welt hinters Licht führen könnte.
Meine Schwester hatte mir ein paar Wochen vorher das Prachtstück von ihren Gänsen auf Weihnachten versprochen, und ich wußte, daß ich jederzeit auf ihr Wort bauen konnte. Diese Gans wollte ich jetzt mitnehmen und in ihrem Kropf meinen Stein nach Kilburn tragen. In dem Hofe steht ein kleiner Schuppen und hinter diesen trieb ich eine von den Gänsen, eine schöne, große, weiße mit gestreiftem Schwanz. Ich fing sie ein, sperrte ihr den Schnabel auf und stopfte ihr den Stein in den Hals hinunter, soweit mein Finger reichte. Sie schluckte, und ich fühlte, wie der Stein durch den Schlund in ihren Kropf hinabglitt. Aber sie flatterte und strampelte dermaßen dabei, daß meine Schwester herauskam und fragte, was los sei. Wie ich ihr eben Antwort geben wollte, riß sich das Vieh los und flog mitten unter die andern hinein.
»Was in aller Welt hast du nur mit der Gans gemacht, James?« fragte sie.
»Nun«, sage ich, »du hast mir ja eine auf Weihnachten versprochen gehabt, da wollte ich nur fühlen, welche am fettesten sei.«
»Oh«, sagte sie, »die für dich haben wir schon auf die Seite getan, wir heißen sie nur James’ Braten, es ist die große weiße dort drüben. Sechsundzwanzig Stück sind’s, macht eine für dich, eine für uns und zwei Dutzend für den Markt.«
»Schönen Dank, Maggie«, sage ich, »aber wenn dir’s einerlei ist, so möchte ich lieber die haben, die ich eben zwischen den Händen hatte.«
»Die andere ist gut drei Pfund schwerer«, sagte sie, »wir haben sie besonders für dich gemästet.«
»Einerlei, ich will lieber die andere und will sie jetzt gleich mitnehmen«, sagte ich darauf.
»Oh, ganz wie du willst«, sagte sie wieder, ein bißchen verdutzt, »welche willst du denn also?«
»Die weiße dort mit dem gestreiften Schwanz, gerade mitten drin.«
»Oh, ganz recht, tu sie nur ab und nimm sie mit.«
Nun, so macht ich’s auch, Mr. Holmes, und nahm die Gans mit nach Kilburn. Ich erzählte meinem Kameraden frischweg, wie ich es gemacht hatte, und er wollte vor Lachen darüber fast ersticken. Wir nahmen dann ein Messer und schnitten die Gans auf. Mir wollte das Herz stehen bleiben, keine Spur von dem Stein war zu finden, und ich wußte jetzt, daß ein schreckliches Versehen vorgekommen war. Ich ließ die Gans im Stich, rannte zurück zu meiner Schwester und in den Geflügelhof; doch da war kein einziges Stück mehr zu sehen.
»Wo sind sie denn alle hingekommen, Maggie?« rufe ich ihr entgegen.
»Zum Händler sind sie gekommen, James.«
»Zu welchem?«
»Breckinridge in Convent Garden.«
»Aber war denn noch eine da mit gestreiftem Schwanz?« fragte ich, »gerade wie die, die ich mir auserwählte?«
»Freilich, James, zwei waren da mit gestreiftem Schwanz, ich kannte sie nie auseinander.«
Nun, da war mir denn die ganze Sache klar, und ich ging, so schnell mich meine Füße tragen wollten, zu diesem Breckinridge. Aber er hatte die ganze Partie gleich weiter verkauft und wollte mir um keinen Preis sagen, an wen. Sie haben ihn ja heut’ abend selbst gehört. So hat er mich von Anfang an abgetrumpft. Meine Schwester meint, ich werde noch verrückt; und manchmal kommt es mir selber so vor. Und jetzt – jetzt bin ich als Dieb gebrandmarkt und habe den Reichtum, für den ich meinen ehrlichen Namen verkauft habe, noch nicht von weitem verschmeckt. Gott steh mir bei! Gott steh mir bei!« Er begrub sein Gesicht in den Händen und brach in ein krampfhaftes Schluchzen aus. Ein langes Schweigen folgte; nichts unterbrach die Stille, als die schweren Atemzüge des Unglücklichen und das taktmäßige Trommeln der Fingerspitzen meines Freundes auf dem Tischrand.
Endlich erhob sich der letztere und machte die Tür auf. »Gehen Sie fort«, sagte er.
»Was!? O, Gott vergelte es Ihnen!«
»Keine Worte weiter; nur fort!«
Und es bedurfte auch keiner weiteren Worte. Im Nu war er draußen und über die Treppe drunten; man hörte die Tür gehen, und dann verklangen seine eiligen Tritte vor dem Hause.
»Schließlich, Watson«, meinte Holmes, indem er nach seiner Pfeife griff, »bin ich doch nicht gerade dazu bei der Polizei angestellt, um ihr überall nachzuhelfen, wo sie nicht allein fertig wird. Stünde die Sache für Horner bedenklich, so wäre es etwas anderes, aber dieser Bursche wird ja nicht gegen ihn auftreten, und so muß der Fall eingestellt werden. Vielleicht, daß ich ein Unrecht damit begehe, aber es ist auch gerade so gut möglich, daß ich dadurch eine Seele vom Verderben rette. Dieser Bursche wird nichts mehr verbrechen. Seine Angst war zu gräßlich.