Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band. Arthur Conan Doyle
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Sir Arthur Conan Doyle: 52 Krimis & Historische Romane in einem Band - Arthur Conan Doyle страница 38
An den Seitenthüren des Lyceum-Theaters standen die Menschen schon dicht gedrängt, während bei dem Haupteingang Droschken und Kutschen in langer Reihe vorfuhren und sich ihrer Insassen entledigten. Dort stiegen feingekleidete Herren aus und in Shawls gehüllte, von Diamanten strahlende Damen. Als wir die dritte Säule, den Ort unseres Stelldicheins, erreicht hatten, redete uns ein kleiner, schwarzer Mann in Kutschertracht an: »Sind Sie die Personen, welche Fräulein Morstan begleiten?« fragte er. »Fräulein Morstan bin ich, und diese beiden Herren sind meine Freunde,« erwiderte sie. Er richtete sein forschendes Augenpaar mit scharfem durchdringendem Blick aus uns.
»Entschuldigen Sie, Fräulein,« sagte er in mürrischem Ton, »aber ich soll mir von Ihnen die Versicherung ausbitten, daß keiner Ihrer Begleiter ein Polizeibeamter ist.«
»Darauf kann ich Ihnen mein Wort geben,« lautete ihre Antwort. Er ließ nun einen scharfen Pfiff hören, worauf eine Kutsche angefahren kam. Ein Mann führte das Pferd am Zügel und öffnete uns den Schlag. Wir nahmen unsere Plätze im Wagen ein, der fremde Kutscher stieg auf den Bock, schwang die Peitsche und fuhr mit uns in rasender Eile dahin durch die nebligen Straßen. Mir war seltsam zu Mute. Es ging einem unbekannten Ziel entgegen, zu einem unbekannten Zweck. Entweder stellte sich die Aufforderung als ein grober Betrug heraus – was sich nicht wohl annehmen ließ – oder wir durften mit gutem Grund erwarten, daß es sich um wichtige Enthüllungen handelte. Fräulein Morstans Verhalten während der Fahrt war entschlossen und gefaßt wie immer. Ich versuchte zwar, sie durch die Erzählung meiner Abenteuer in Afghanistan zu erheitern und zu zerstreuen, muß aber gestehen, daß ich selbst viel zu aufgeregt war und gespannt auf die Dinge, die da kommen sollten, um einen klaren Bericht zu erstatten. Noch heute behauptet sie, ich hätte ihr eine rührende Anekdote von einem Schießgewehr erzählt, das mitten in der Nacht in mein Zelt guckte, worauf ich mit einer doppelläufigen Tigerkatze danach geschossen hätte. Zuerst konnte ich noch einigermaßen die Richtung verfolgen, in welcher wir fuhren, aber – mochte nun die Schnelligkeit unserer Bewegung schuld sein, oder der Nebel – ich verlor bei meiner ohnehin beschränkten Kenntnis von London bald gänzlich den Faden und wußte nur noch, daß wir einen sehr langen Weg zu fahren schienen. Sherlock Holmes dagegen geriet niemals in Zweifel. Während das Fuhrwerk über verschiedene Plätze und durch zahllose Querstraßen und enge Gassen dahinstürmte, murmelte er die Straßennamen:
»Rochester Row, nun Vincent Square; jetzt kommen wir zur Brückenstraße. Es scheint, wir fahren nach der Surrey-Seite hinüber. Richtig, das dachte ich doch! Nun sind wir auf der Vauxhall-Brücke. Sehen Sie, dort flimmert der Fluß durch!« Einen Augenblick sahen wir wirklich das breite, stille Wasser der Themse im Laternenlicht glänzen; aber unsere Kutsche rasselte weiter und bald steckten wir wieder in einem Straßenlabyrinth auf der andern Seite.
»Wordsworth-Road,« sagte mein Gefährte. »Priory Road, die Larkhall-Gasse. Unser Abenteuer scheint uns nicht gerade in vornehme Stadtteile zu führen.« Wir hatten in der That eine sehr abgelegene, wenig anziehende Gegend erreicht. Erst kamen lange Reihen einförmiger Backsteingebäude, in welche nur die grell erleuchteten Wirtshäuser an den Ecken mit ihrem trödelhaften Aufputz einige Abwechslung brachten. Dann folgten zweistöckige Landhäuser mit winzigen Vordergärtchen und dann wieder endlose Reihen von nagelneuen Ziegelbauten – die Riesenfühlhörner, welche die ungeheure Stadt aufs Land hinaus streckte.
Endlich hielt der Wagen am dritten Hause einer neu angelegten Straße. Es sah ebenso dunkel und unbewohnt aus wie die Nachbarhäuser; nur aus dem Küchenfenster kam ein matter Lichtschein. Auf unser Klopfen wurde jedoch die Thür augenblicklich von einem indischen Diener geöffnet, der einen gelben Turban, weite, faltige Gewänder und eine gelbe Schärpe trug. Die Gestalt des Orientalen nahm sich höchst wunderbar aus im Rahmen der Hausthüre dieser Vorstadtwohnung dritter Klasse.
»Der Sahib erwartet Sie,« sagte er.
Während er noch sprach, rief drinnen eine hohe, dünne Stimme:
»Führe sie zu mir herein, Kithmutgar, bringe sie gleich zu mir ins Zimmer.«
4. Die Erzählung des kahlköpfigen Herrn
Wir folgten dem Inder durch den unsaubern, schlecht erleuchteten Gang, bis er eine Thür zur Rechten aufstieß. Ein Strahl gelben Lichtes strömte uns entgegen und umleuchtete einen kleinen Mann, der mitten im Zimmer stand. Sein ungewöhnlich hoher Kopf war von einem Kranz borstiger, roter Haare umgeben, aus denen eine kahle, glänzende Glatze hervorragte, wie ein Berggipfel aus Tannenbäumen. Ohne sich vom Platz zu rühren, wand er die Hände krampfhaft ineinander, und in seinen Gesichtszügen zuckte es unaufhörlich; bald kam ein Lächeln zum Vorschein, bald ein mürrischer Ausdruck, aber in Ruhe blieben sie keinen Augenblick. Die Natur hatte ihm eine Hängelippe verliehen und eine allzu sichtbare Reihe unregelmäßiger, gelber Zähne, welche er vergebens zu verbergen trachtete, indem er sich fortwährend mit der Hand über den untern Gesichtsteil fuhr. Trotz seiner auffallenden Glatze machte er einen noch jugendlichen Eindruck. Er hatte auch wirklich erst das dreißigste Jahr zurückgelegt.
»Ergebenster Diener, Fräulein Morstan,« wiederholte er mehrmals mit seiner dünnen, schrillen Stimme. »Ihr Diener, meine Herren. Bitte, treten Sie in mein kleines Heiligtum. Ein enger Raum, aber nach meinem Geschmack eingerichtet: eine Oase der Kunst in der furchtbaren Wüste des südlichen Londons.«
Wir waren alle überrascht beim Anblick des Gemachs, welches wir betraten. Es nahm sich in dem ärmlichen Hause so fremdartig aus, wie etwa ein Diamant reinsten Wassers in einer Fassung von Messing. Die Wände waren mit den reichsten und glänzendsten Tapeten und Vorhängen bekleidet, die sich hier und da öffneten, um ein prachtvoll eingerahmtes Gemälde, oder eine orientalische Vase zur Schau zu stellen. Der Bodenteppich, bernsteinfarben und schwarz, war so dick, daß der Fuß darin versank wie in einem weichen Moosbette. Zwei große Tigerfelle lagen darüber gebreitet, und auf einer Matte in der Ecke stand eine ungeheure indische Wasserpfeife. Von der Mitte der Zimmerdecke hing an einem fast unsichtbaren Golddraht eine brennende Lampe in Form einer silbernen Taube herab und verbreitete einen feinen Wohlgeruch in der Luft – lauter Zeichen von echt morgenländischem Luxus.
»Mein Name ist Thaddäus Scholto,« sagte der kleine Mann unter fortwährendem nervösem Zucken und Lächeln. »Sie sind natürlich Fräulein Morstan, und diese Herren« –
»Dies ist Herr Sherlock Holmes und dies Doktor Watson.«
»Ein Arzt, ja?« rief er sehr erregt. »Haben Sie vielleicht Ihr Stethoskop bei sich? Dürfte ich Sie bitten? – Ich habe ernste Befürchtungen in betreff meiner Herzklappen, wenn Sie vielleicht die große Gefälligkeit hätten. Auf die Hauptschlagader kann ich mich verlassen, aber ich würde gern Ihre Meinung über die Herzklappen hören.«
Seiner Aufforderung gemäß horchte ich an seinem Herzen,