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Wie durch einen dichten Nebel sah sie, dass Björn die Kinder nach einem tränenreichen Abschied ins Auto schob. Ihr Herz war nur noch eine große Wunde.
»Mami, Mami, komm doch mit«, flüsterte Heidi kaum hörbar.
Julia ging unwillkürlich rückwärts, ihr Platz war an der Seite ihres Mannes. Allein der Gedanke, mit Björn leben zu müssen, erfüllte sie mit Abscheu. Was sie je für ihn empfunden hatte, es war zerstört.
»Halte mich fest, Matthias«, flüsterte sie, »bitte, halte mich fest.«
Sie lehnte sich an seine Brust und spürte seine Arme, die sich um sie schmiegten.
Björn knallte die Wagentür zu und klemmte sich hinter das Lenkrad.
Heidi und Carsten pressten ihre tränenverschmierten Gesichtchen gegen die Scheibe. Namenlose Angst stand in den aufgerissenen Kinderaugen.
Julia spürte, wie ihre Knie weich wurden. Ihr Verstand schien auszusetzen. Sie gehorchte nur noch ihrem Gefühl. Der mütterliche Instinkt trieb sie vorwärts.
»Verzeih mir, Matthias, verzeih mir!«, flüsterte sie heiser, als sie sich von ihrem Mann losstieß.
Wie in Trance legte sie die kurze Wegstrecke bis zum Wagen zurück, dessen Motor bereits aufheulte.
Sie riss die Tür auf, schob die Kinder zur Seite und warf sich neben sie auf den Rücksitz.
Ein zweistimmiges, unendlich erlöstes »Mami!«, mischte sich in die Geräusche des jäh davonschießenden Wagens.
Björn aber lächelte voller Triumph. Gesiegt!
*
Acht Tage lebten Julia und die Kinder nun schon in der Stadt, in der Björn Hartmann eine Wohnung gemietet hatte. Ganz allmählich gewöhnten sich die beiden in der freien Natur aufgewachsenen Kinder an das Verkehrsgewimmel, den Lärm und den Beton. Julia beobachtete diese Entwicklung mit gemischten Gefühlen. Es war natürlich gut, dass ihre Schützlinge das Heimweh vergaßen, dass sie sich dem Neuen zuwandten – andererseits tat es ihr um Heidi und Carsten leid. Die beiden unverbildeten Naturkinder waren ihr stets als etwas Besonderes erschienen – als Geschöpfe aus dem Garten Eden.
Vielleicht hatte Björn recht, wenn er behauptete, Heidi und Carsten könnten auf die Dauer nicht im Wald leben, in einem Forsthaus in der Abgeschiedenheit. Vielleicht war alles gut so, wie es gekommen war. Mit diesen Überlegungen tröstete sich Julia, versuchte ihren Kummer und die Erinnerungen auszulöschen. Vergeblich. Abends, wenn sie sich in das zweite Kinderzimmer der Vierzimmerwohnung zurückgezogen und die Tür hinter sich fest verschlossen hatte, flossen oft die Tränen. Es kam ihr so vor, als sei sie schon seit Jahren von Matthias getrennt – von ihrem Mann.
Sie hatte sich für ein Leben mit den Kindern entschieden, aber sie liebte ihn – liebte ihn über alles. Wie sollte sie diese Liebe aus ihrem Herzen reißen, ohne innerlich zu verbluten?
Ob Björn eines Tages zur Vernunft kommen würde? Ob er einsehen würde, dass man einen Menschen nicht zur Liebe zwingen kann?
Julia empfand nichts mehr für ihn. Björn Hartmann hatte sich verändert. Er war nicht mehr der liebenswerte, jungenhafte Draufgänger, der sie einst bezaubert hatte. Er war ein egoistischer, herzloser Erpresser!
Das Zusammenleben mit ihm in einer Wohnung wurde zur Qual. Immer wieder versuchte er, zärtlich zu werden. Immer wieder bedrängte er sie, endlich ihren Widerstand aufzugeben.
Eines Abends, nachdem die Kinder zu Bett gebracht worden waren und Julia sich ebenfalls mit einem knappen »Gute Nacht« zurückziehen wollte, vertrat er ihr den Weg, schob sie ins Wohnzimmer und fragte: »Wann willst du endlich zum Rechtsanwalt gehen, um deine Ehe annullieren zu lassen?«
»Das ist ganz bestimmt nicht so einfach, wie du es dir vorstellst«, sagte sie ausweichend.
»Ich sehe Schwierigkeiten nur, wenn du selbst welche machst, Julia. Warum ziehst du nicht endlich einen Schlussstrich unter die Vergangenheit?«
»Und wie soll die Zukunft aussehen?«
»Ganz einfach, wir beide heiraten.«
Julia grub die Zähne in die Unterlippe, bis sie den salzigen Geschmack des Blutes spürte.
»Du willst mich auch dann heiraten«, fragte sie endlich, »wenn ich dir sage, dass ich dich nicht liebe?«
Björn lachte. »Natürlich! Momentan bist du störrisch wie ein Maulesel, und das kann ich sogar verstehen. Später wirst du einmal einsehen, dass ich dich lediglich zu deinem Glück gezwungen habe.«
»Zu meinem Glück?« Falten der Bitterkeit kerbten sich in Julias Mundwinkel. »Björn, warum willst du nicht begreifen, dass alles vorbei ist? Ich empfinde nichts mehr für dich.«
»So ein Unsinn!« Sein Gesicht rötete sich. »Du gibst ja weder dir noch mir eine Chance, um auszuprobieren, was du noch empfindest, wenn …« Mit einem blitzschnellen Satz war er bei ihr. Packte sie wie ein Raubtier. Riss sie an sich. Julia roch, dass er getrunken hatte.
»Nein!« Sie wollte sich befreien. Sie kämpfte verzweifelt gegen seine Bärenkräfte.
»Diesmal kommst du mir nicht davon!«, keuchte Björn. »Diesmal nicht!« Er fasste in ihr Haar, zwang sie stillzuhalten und küsste sie.
Julia sah rot. Sie kam sich gedemütigt und schrecklich erniedrigt vor. Ihr rechtes Bein schnellte nach vorn und traf das Schienbein des Mannes so schmerzhaft, dass Björn mit einem unterdrückten Aufschrei rückwärts taumelte.
»Kommst du jetzt wieder zur Vernunft?«, stieß Julia atemlos hervor.
Doch in seinen Augen las sie, dass er die Kontrolle über sich verloren hatte, dass er ihr seinen Willen aufzwingen wollte um jeden Preis. Da gab sie den Kampf auf. Im Vorbeigehen riss sie ihre Umhängetasche von der Garderobe. Wie von Furien gehetzt flüchtete sie aus der Wohnung.
Es war schon finstere Nacht, als ein Taxi vor dem einsamen Forsthaus anhielt. Doch im Wohnzimmer brannte noch Licht. Anheimelnd schimmerten die erhellten Fenstervierecke durch die Dunkelheit. Augenblicklich fühlte Julia sich ruhiger, denn Geborgenheit umschloss sie. Sie atmete tief die würzige Waldluft ein. Wieder zu Hause!
Matthias, der den Wagen gehört hatte, trat aus der Haustür. Ihr Mann! Der Schein der Lampe über dem Eingang fiel auf sein ernstes, gesammeltes Gesicht. Wie sie ihn liebte! Wie von unsichtbaren Faden gezogen, stürzte sie auf ihn zu.
»Julia!« Er drückte sie zärtlich an die Brust, doch schon im nächsten Moment fragte er rau: »Was ist passiert? Ist etwas mit den Kindern?«
»Nein, nein, Heidi und Carsten geht es gut, besser, als ich befürchtet hatte. Aber – aber ich muss mit dir reden. So geht es nicht weiter.« Sie ließ sich auf die Bank vor der Haustür sinken und blickte zu den Sternen empor, als suche sie dort oben einen Hoffnungsschimmer.
»Nein, so geht es nicht weiter«, sagte Matthias dumpf, als er sich neben ihr niederließ und ihre Hand umfasste. »Zu der Überzeugung bin ich auch gekommen. Und darum, Julia, darum habe ich mich schweren Herzens entschlossen, dich freizugeben.«
»Wie – wie?« Verstört sah sie ihren Mann an.
»Ich