Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf. Selma Lagerlöf
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Читать онлайн книгу Ausgewählte Werke von Selma Lagerlöf - Selma Lagerlöf страница 28
Wäre der Frühling ein wenig weiter vorgeschritten, so daß die Nachtigallen im Djupadaler Park zu Hause gewesen wären, so würden sie noch viele Nächte hinterher von Gripes Kampf mit dem Wasserfall gesungen haben. Denn der Otter wurde wieder und wieder von den Wellen mit fortgerissen, arbeitete sich aber jedesmal wieder in die Höhe. Er schwamm durch seichtes Wasser, er kletterte über Steine, und nach und nach kam er den wilden Gänsen näher. Es war ein Wagestück, das wohl verdient hätte, von den Nachtigallen besungen zu werden.
Reineke folgte ihm mit den Augen, so gut er konnte. Schließlich sah er, daß der Otter im Begriff war, zu den wilden Gänsen hinaufzuklettern. Aber im selben Augenblick ertönte ein wilder, gellender Schrei, der Otter stürzte rücklings ins Wasser und wurde von den Wellen mit fortgerissen, als sei er ein blindes junges Kätzchen. Gleich darauf ertönte abermals der harte Flügelschlag der wilden Gänse. Sie schwangen sich empor und flogen davon, um sich einen neuen Schlafplatz zu schaffen.
Der Otter kam gleich an Land. Er sagte nichts, machte sich aber daran, seine eine Vorderpfote zu lecken. Als Reineke ihn verhöhnte, weil er Unglück gehabt hatte, rief er aus: »Das kam nicht daher, weil ich nicht schwimmen kann, Reineke. Ich war ganz bis zu den Gänsen gelangt und wollte gerade zu ihnen hinaufklettern, als ein kleiner Knirps gelaufen kam und mich mit einem scharfen Eisen in den Fuß stach. Das tat so weh, daß ich ins Gleiten geriet, und da entführte der Gießbach mich.«
Er konnte es sich ersparen, mehr zu sagen. Reineke war schon weit weg, hinter den Gänsen drein.
Noch einmal mußten Akka und ihre Schar in die dunkle Nacht hinausfliehen. Glücklicherweise war der Mond noch nicht untergegangen, und mit Hilfe seines Scheines gelang es ihr, noch einen der Schlafplätze zu finden, die ihr dort in der Gegend bekannt waren. Sie folgte abermals dem glitzernden Bach gen Süden. Ohne sich niederzulassen, schwebte sie über Schloß Djupdal und über den dunklen Dächern von Rönneberg dahin. Aber ein Stück südlich von der Stadt, nicht weit von der See, liegt Bad Rönneberg mit Badehaus und Kurhaus, mit großen Hotels und Sommerwohnungen für die Kurgäste. Dies alles steht den ganzen Winter leer und öde, worüber alle Vögel genau Bescheid wissen und gar manch eine Vogelschar sucht in strengen Sturmzeiten Schutz auf den Balkons und Veranden der leeren Häuser.
Hier ließen sich die wilden Gänse auf einen Balkon nieder und schliefen wie gewöhnlich sofort ein. Der Junge aber wollte nicht schlafen, denn er wollte nicht unter den Flügel des Gänserichs kriechen.
Der Balkon lag nach Süden, so daß der Junge Aussicht über die See hatte. Und da er nicht schlafen konnte, saß er da und beobachtete, wie schön es sich ausnahm wenn Meer und Land sich hier in Bleking begegneten.
Nun können sich ja Meer und Land auf viele verschiedene Art begegnen. An vielen Stellen geht das Land mit flachen Wiesen voll kleinen Erderhöhungen an das Meer hinab, und das Meer nimmt das Land mit Flugsand in Empfang, den es zu Schanzen und Dünen auftürmt. Es ist, als könnten die beiden einander so wenig leiden, daß sie sich nur von ihrer allerschlechtesten Seite zeigen wollten. Aber es kann auch geschehen, daß das Land, wenn es nach dem Meer hinabgeht, eine Felswand vor sich aufrichtet, als sei das Meer etwas Gefährliches, und wenn das Land das tut, geht ihm das Meer mit erzürnten Brandungen entgegen, schäumt und bullert und schlägt gegen die Felsen und sieht so aus, als wolle es den Erdboden in Stücke zerreißen.
Aber in Blekinge geht es ganz anders zu, wenn Meer und Land sich begegnen. Da zersplittert sich das Land in Landspitzen und Inseln und Weiden, und das Meer teilt sich in Buchten und Föhrden und Sunde, und daher kommt es wohl, daß es so aussieht, als begegneten sie sich in Freude und Eintracht.
Denke nun zuvörderst an das Meer! Weit da draußen liegt es öde und leer und schwarz und tut nichts weiter als seine grauen Wogen rollen. Wenn es sich dem Lande nähert, begegnet es der ersten Schäre. Über die macht es sich gleich zum Herrn, reißt all das Grün ab und macht sie ebenso kahl und grau, wie es selber ist. Dann begegnet es noch einer Schäre. Mit der geht es ebenso. Und noch einer. Ja, auch mit der geht es nicht anders. Sie wird entkleidet und geplündert, als sei sie unter Räuber gefallen. Aber dann kommen immer mehr Schären, und nun versteht das Meer wohl, daß das Land ihm seine kleinsten Kinder entgegensendet, um es zu Milde zu bewegen. Es wird auch freundlicher und freundlicher, je weiter es hineingelangt, rollt seine Wellen weniger hoch, dämpft seine Stürme, läßt das Grün in Rissen und Spalten stehen, teilt sich in kleine Sunde und Buchten und wird schließlich ganz in der Nähe des Landes so wenig Furcht einflößend, daß sich kleine Boote darauf hinaus wagen. Es kann sich gewiß kaum selbst wiedererkennen, so licht und freundlich ist es geworden.
Und dann denke an das Land! Es liegt so einförmig da, und ein Fleck gleicht dem andern. Es besteht aus flachen Feldern, hier und da mit einem Birkenhain dazwischen, oder auch aus langen waldbedeckten Höhenzügen. Es sieht aus, als dächte es an nichts weiter als an Hafer und Rüben und Kartoffeln und Tannen und Fichten. Dann kommt ein Fjord, der sich tief hineinschneidet. Es macht kein Aufhebens davon, sondern säumt ihn mit Birken und Erlen, ganz als sei er ein gewöhnlicher Süßwassersee. Dann kommt noch ein Fjord dahergefahren. Auch von dem macht das Land kein Aufhebens, aber er erhält dieselbe Bekleidung wie der erste. Nun aber beginnen die Fjorde sich zu erweitern und zu teilen. Sie zersplittern die Felder und Wälder, und dann kann das Land nicht umhin, sie zu beachten. »Ich glaube wahrhaftig, da kommt das Meer selber,« sagt das Land, und dann fängt es an, sich zu schmücken. Es bekränzt sich mit Blumen, schlängelt sich in Hügeln und Tälern und wirft Inseln ins Meer hinaus. Es will nichts mehr wissen von Fichten und Tannen, es wirft sie weg wie ein vertragenes Alltagsgewand und prangt statt dessen mit großen Eichen und Linden und Kastanien und mit blühenden Hainen und wird so zierlich wie ein Schloßpark. Und als es sich mit dem Meer begegnet, ist es so verändert, daß es sich selbst nicht mehr wieder zu erkennen vermag.
Das alles kann man ja nicht wirklich sehen, ehe es Sommer wird, aber der Junge konnte doch merken, wie mild und freundlich die Natur war und ihm war ruhiger zumute wie sonst wahrend der Nacht. Da vernahm er plötzlich ein lautes, unheimliches Heulen unten vom Kurpark her, und als er sich erhob, sah er in dem weißen Mondlicht auf dem Platz vor dem Balkon einen Fuchs stehen. Denn Reineke verfolgte die Gänse noch einmal. Als er aber den Platz sah, auf dem sie sich aufgestellt hatten, begriff er, daß es diesmal unmöglich war, ihnen etwas anzuhaben, und da konnte er sich nicht bezwingen, er mußte vor Wut heulen.
Als der Fuchs so heulte, erwachte die alte Akka, die Führergans, und obwohl sie fast nichts sehen konnte, war es ihr doch, als müsse sie die Stimme kennen. »Bist du es, Reineke, der in dieser Nacht auf Raub ausgeht?« sagte sie. – »Ja,« antwortete Reineke, »ich bin es, und ich möchte euch jetzt fragen, wie ihr Gänse über die Nacht denkt, die ich euch bereitet habe?« – »Willst du damit sagen, daß du uns sowohl den Marder als auch den Otter auf den Hals geschickt hast?« fragte Akka.