Schopenhauer. Kuno Fischer
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2. Heinrich Floris Schopenhauer
Mit allen Eigenschaften ausgerüstet, die zur kaufmännischen Laufbahn befähigen und treiben, hatte er durch Reisen im Ausland, namentlich in Frankreich und England, sich die dazu nötige Weltbildung erworben und in dem großen Handlungshaus Bethmann zu Bordeaux seine Schule gemacht;118 dann hatte er mit seinem Bruder Johann Friedrich einen Großhandel in Danzig gegründet und war ein wohlhabender hanseatischer Kaufherr geworden von ausgeprägt patrizischer und reichsstädtischer Gesinnung, von englischen Sitten und Lebensformen, die er allen andern vorzog. Er las täglich die Times und fühlte sich dann über den Weltlauf orientiert.
Bei seiner Gesinnungsart von unbeugsamer Willensstärke und oft eigensinniger Härte konnte er es nicht ertragen, dass Danzig, welches unter polnischer Herrschaft die Freiheiten der Hansestadt bewahrt hatte, nunmehr eine preußische Provinzialstadt werden sollte. Den polnischen Hofratstitel hatte er sich gefallen lassen, ohne ihn je zu brauchen; aber gegen die preußischen Gefälligkeiten, die man ihm erzeigen wollte, verhielt er sich schroff ablehnend. Selbst die Auszeichnung, die dem Danziger Kaufmann bei seiner Durchreise durch Potsdam Friedrich der Große erwiesen, indem er ihn zu sich einlud und in der Früh des Morgens ein zweistündiges Gespräch mit ihm führte, hatte nicht vermocht ihn zu gewinnen. Aus freien Stücken hatte der König ihm und seinen Nachkommen durch ein Patent vom 9. Mai 1773 volle Niederlassungsfreiheit in den preußischen Staaten verliehen.
3. Johanna Schopenhauer
Den 16. Mai 1785 begründete Heinrich Floris durch seine Heirat mit Johanna Henriette Trosiener, der Tochter eines Danziger Ratsherrn, seinen Hausstand: sie war neunzehn alt, klein, anmutig, nicht schön, er noch einmal so alt, hochgewachsen und hässlich mit seinem breiten Gesicht, der aufwärts gestülpten Nase und dem hervorspringenden Kinn. Die junge Frau hatte den ersten schmerzlichen Liebestraum bereits erlebt, aber sie war nicht empfindsam oder gar zur Schwermut geneigt, sondern weltdurstig, phantasievoll und zu heiterem, geselligem Lebensgenuss wie geschaffen. Gewiss sind es diese Eigenschaften gewesen, welche die Wahl des ernsthaften Handelsherrn auf sie gelenkt hatten. Ohne erotische Zuneigung, aber auch ohne jedes Bedenken hatte sie die Hand des so viel älteren, charakterfesten und angesehenen Mannes ergriffen, der ihr hohe Achtung einflößte und ein glänzenderes Los, als sie erwarten konnte, zu bieten hatte. An seiner Seite konnte sie nun die Welt kennen lernen und genießen.
In dem Hause Schopenhauer herrschte ein düsterer, in dem Hause Trosiener ein lebensfroher Geist. Einen Zug hatte Heinrich Floris mit seinem Schwiegervater gemein: das heftige ungestüme Wollen. Es heißt, dass der Ratsherr Trosiener bisweilen solche Ausbrüche unbezähmbarer Heftigkeit gehabt habe, dass alles in Schrecken vor ihm floh.
Auf dem reizenden Landsitz ihres Mannes zu Oliva, in herrlicher Waldes- und Meeresgegend, mit der Aussicht auf die Leuchttürme von Hela und Danzig, umgeben von einem nach englischer Art eingerichteten Garten, in einem künstlerisch ausgestatteten Heim lebte Johanna Schopenhauer damals goldene Tage, an die sie nach einem halben Jahrhundert, am Ende ihres langen schicksalsreichen Lebens noch mit Entzücken zurückdenkt. Die Wochentage verflossen still und einsam, am letzten Wochenabend kam der Gatte mit befreundeten Gästen und brachte Leben und Geselligkeit mit sich.119
Wie grundverschieden ihre Gemüter geartet waren, so stimmten doch die Gatten in einer Neigung völlig überein: in der Lust zu reisen. Es sind für die Frau in ihrer zwanzigjährigen Ehe wohl die schönsten Jahre gewesen, die sie an der Hand ihres weltkundigen Führers auf großen Reisen zugebracht hat. In den Lebenserinnerungen, die sie kurz vor ihrem Tod aufgezeichnet, ist ein Kapitel mit den Worten Goethes überschrieben:
»Ich sah die Welt mit liebevollen Blicken,
Und Welt und ich, wir schwelgten im Entzücken;
So duftig war, belebend, immer frisch,
Wie Fels, wie Strom, so Bergwald und Gebüsch.«120
Heinrich Floris pflegte über das Schicksal der Seinigen in der besten Absicht Entschließungen zu fassen und Entscheidungen zu treffen, ohne deren eigene Art und Beschaffenheit mit in Rechnung zu ziehen. Noch bevor er wusste, ob ihm ein Sohn beschieden sei, hatte er schon beschlossen, dass derselbe Großhändler werden, Arthur heißen (da dieser Name in den fremden Sprachen unverändert bleibe) und in England geboren werden soll, um als Engländer auf die Welt zu kommen. Dieses Land galt ihm als das gelobte. Er wusste, dass die Selbständigkeit seiner Vaterstadt sich zu Ende neige, und fasste deshalb wohl den Plan auch seiner Übersiedlung nach England. Also nicht obgleich, sondern weil seine Frau sich im ersten Stadium ihrer Schwangerschaft befand, trat er den 24. Juni 1787 die große Reise an, die durch Holland nach Havre und von dort nach London führte. Schon hatte das Ehepaar sich hier häuslich niedergelassen und alle Einrichtungen für die bevorstehende Katastrophe vorbereitet, als der besorgte Gatte fand, dass diese in der Heimat und in dem eigenen Hause besser durchzumachen sei als in der Fremde. Nun wurde in der ungünstigsten Jahreszeit, unter den größten Beschwerden die Reise nach Danzig schleunigst zurückgelegt, wo sie am letzten Tage des Jahres eintrafen und Freitag den 22. Februar 1788 Arthur Schopenhauer geboren wurde.121
4. Arthurs Kindheit und Knabenalter
Die fünf ersten Jahre verflossen in ländlicher Stille, teils in Oliva, teils in Stutthof, jener Danziger Domäne, deren Pächter nunmehr sein Großvater Trosiener war. Die Gewalten der französischen Revolution waren entfesselt, und die hoffnungsvollen Tage von 1789 längst vorüber. Damals war Heinrich Floris selbst nach Oliva geritten, um seiner Frau triumphierend die Botschaft von der Erstürmung der Bastille zu bringen. Man hatte sich für die französischen Freiheitsfeste begeistert, ohne zu ahnen, dass eine der nächsten Folgen dieser Revolution die zweite Teilung Polens und der Untergang der letzten Freiheit Danzigs sein würde.
Noch bevor ein preußischer Soldat den Boden seiner Heimat betrat, verließ Heinrich Floris mit Weib und Kind seine Vaterstadt und hat sie nie wiedergesehen. Um seinen republikanischen und patriotischen Gefühlen Genüge zu tun, brachte er die schwersten Opfer; die Auswanderungssteuer allein kostete den zehnten Teil des Vermögens. Er eilte nach Hamburg, um dort nicht als Bürger, sondern nur als Beisasse zu leben. Welche seltsame Fügung, dass sein einziger Sohn, der das Andenken dieses Vaters in heiligen Ehren hielt, zwei Menschenalter später den »Volksdank für preußische Krieger« zu seinem Universalerben eingesetzt hat!
In demselben Frühjahr, wo Arthur Schopenhauer als Kind aus seiner Vaterstadt auswanderte, verließ die Nähe Danzigs Johann Gottlieb Fichte, der in Krockow einige Zeit als Hauslehrer verweilt und seiner ersten, soeben erschienenen Schrift, für deren Verfasser Kant gehalten worden war, den Anfang seiner Berühmtheit zu danken hatte.
Nach der Geburt der Tochter Adelaide Lavinia, genannt Adele, Arthurs einziger Schwester (den 12. Juni 1797), brachte der Vater seinem Erziehungsplan gemäß den Sohn nach Havre in das ihm befreundete Handlungshaus Grégoire de Blésimare, um die französische Sprache und Sitten zu erlernen. Hier wurde er mit dem Sohne des Hauses und gleich diesem erzogen. Voll der angenehmsten Erinnerungen an diesen Aufenthalt und seinen Freund Anthime kehrte Arthur nach zwei Jahren in das elterliche Haus zurück, und zwar zur Freude des Vaters dergestalt französisiert, dass er die deutsche Sprache fast verlernt hatte und ihre harten