Schopenhauer. Kuno Fischer
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Mündig und selbständig, kehrt er nach Jahren zeitweiliger Trennung im November 1813 für längere Zeit in das mütterliche Haus zurück. Als er der Mutter seine Promotionsschrift »Über die vierfache Wurzel« usw. überreichte, hatte sie für ihn keinen Glückwunsch, sondern eine Kränkung in Bereitschaft: »Das ist wohl etwas für Apotheker!« Verletzt erwiderte der Sohn: »Man wird meine Schrift noch lesen, wenn von der deinigen kaum mehr ein Exemplar in einer Rumpelkammer zu finden ist«. Die Mutter replizierte: »Von der Deinigen wird noch die ganze Auflage zu haben sein!« Ein recht charakteristischer Wortwechsel zwischen Mutter und Sohn, wie zwischen zwei literarischen Nebenbuhlern! Noch merkwürdiger ist, dass beide recht hatten. Es kam eine Zeit, wo die Werke Arthur Schopenhauers eingestampft und die seiner Mutter gesammelt, neu aufgelegt und viel gelesen wurden; heutzutage liegen die Werke der Johanna Schopenhauer in der Rumpelkammer, wo sie für immer bleiben, während die ihres Sohnes in Volksausgaben von Hand zu Hand gehen.
Mehr und mehr verbitterten sich damals die Stimmungen von beiden Seiten und durch beiderseitige Schuld. Dass nach der Schlacht bei Leipzig der Sohn imstande sein konnte, von dem nationalen Aufschwung, den Heldentaten und der Siegesfreude der Deutschen teilnahmslos und spöttisch zu reden, musste die patriotischen Gefühle der Mutter auf das äußerste empören.137
3. Die häuslichen Differenzen
Seit einiger Zeit lebte in ihrem Hause ein jüngerer ihr befreundeter Mann, den Arthur schon im Mai zu seinem großen Verdruss hier angetroffen hatte: Friedrich Müller aus Ronneburg im Altenburgischen (später durch die Adoption eines Oheims mütterlicherseits »von Gerstenbergk« genannt), Verfasser der »Kaledonischen Erzählungen« und der Gedichte, die in dem Roman »Gabriele« eingeflochten wurden. Es kam zwischen den beiden Männern sehr bald zu heftigen Auftritten, denen heftige Auftritte zwischen Mutter und Sohn folgten. Am Ende verkehrten diese beiden unter demselben Dache nur noch schriftlich, bis ihm zuletzt die Mutter die Wohnung kündigte und den Absagebrief schrieb.
Er ging und hat seine Mutter, die noch vierundzwanzig Jahre zu leben hatte, nicht wiedergesehen, auch nicht die Schwester, die mit der Mutter vereinigt blieb und, obwohl sie für deren Schwächen nicht blind war, ihre Herzensgüte stets gepriesen hat. Der Sohn hat ihr vorgeworfen, dass sie den Vater nicht geliebt und sein Andenken nicht in Ehren gehalten habe, was mit den Bekenntnissen, welche sie selbst kurz vor ihrem Tod niedergeschrieben hat, nicht wohl übereinstimmt. Um so eifriger war er bestrebt, nachdem der letzte Funken der Pietät für die Mutter erloschen war, dem Vater Altäre des Dankes zu errichten. Wäre es nach dem Vater gegangen, so wäre er ein elender Kaufmann geworden. Da die Mutter ihm half, wurde er ein genialer Denker und Schriftsteller.
Drittes Kapitel
Der dritte Abschnitt der Jugendgeschichte. Neue Werke und neue Wanderjahre (1814 – 1820)
I. Der Dresdner Aufenthalt
1. Glückliche Jahre
Unter den deutschen Städten, die er noch am Schluss jener großen Reise gesehen hatte, war ihm Dresden in guter Erinnerung geblieben. Jetzt wählte er diesen Ort zu einem mehrjährigen Aufenthalt (vom Mai 1814 bis in den September 1818), um hier in voller Muße seine Ideen auszuarbeiten, systematisch zu ordnen und darzustellen. Nach seiner eigenen Aussage war er schon während des Jahres 1814 mit den Grundgedanken ins Reine gekommen, aber die Ausführung des Hauptwerkes geschah erst in der Zeit vom März 1817 bis in den März 1818. Andere Arbeiten waren dazwischengetreten.
Es war eine glückliche, schaffensfreudige Zeit, die er hier in Dresden verlebte: voller Ideen und Arbeitsdrang, in frohem Erstaunen über die Entstehung und Geburt seines Werkes, gehoben von den sichersten Hoffnungen künftigen Ruhmes. Er sah seine Schöpfung vor sich aufsteigen, »wie aus dem Morgennebel eine schöne Landschaft«. Sein Lebensbaum stand in voller Blüte und die Früchte reiften schnell. Als er einmal an einem Frühlingsmorgen, mit Blüten bedeckt, aus dem Zwinger heimkehrte, rief ihm die Hauswirtin zu: ,,Sie blühen, Herr Doktor!« »Jawohl«, erwiderte er, »die Bäume müssen blühen, wenn sie Frucht tragen sollen!«
Im Kreise ästhetischer und belletristischer Schriftsteller, die ihn »Jupiter tonans« nannten, da er im Ausdruck seiner Affekte zu donnern und zu blitzen verstand, fand er nach angestrengter Geistesarbeit gesellige Zerstreuung; und die Ausflüge, die er in die benachbarten Gegenden unternahm, im Sommer 1817 nach Teplitz, im nächsten Sommer in die Sächsische Schweiz, gewährten ihm angenehme Erholung. Unter jenen Dresdner Freunden befand sich der Kunstkenner Joh. Gottlob von Quandt, der bis ans Ende einer seiner treuesten Freunde geblieben und noch zuletzt auch ein enthusiastischer Anhänger seiner Lehre geworden ist.138
Hier in Dresden lernte ihn der Freiherr von Biedenfeld kennen und wurde im Fortgang des persönlichen Verkehrs von soviel Interesse und Bewunderung für den Philosophen und sein Werk erfüllt, dass er dem Buchhändler Brockhaus dringend riet, dieses Werk zu verlegen. Noch vierzig Jahre später hat er im Stuttgarter »Morgenblatt« den Schopenhauer der Dresdner Jahre ad vivum geschildert. »Als Sohn der hochbegabten Johanna Schopenhauer, völlig unabhängig durch ein hübsches Vermögen und früh in philosophisches Studium vertieft, hatte Arthur schon vor seiner Ankunft in Dresden sehr reiche Bekanntschaft mit dem geselligen Leben in verschiedenen Gegenden Deutschlands gemacht, ohne seinen Eigentümlichkeiten im mindesten zu entsagen, noch in die Schwächen anderer sich geduldig zu fügen. In dieser Hinsicht war er unverkennbar ein wenig enfant gâté, von offenherzigster Ehrlichkeit, geradeheraus, herb und derb, bei allen wissenschaftlichen und literarischen Fragen ungemein entschieden und fest, Freund und Feind gegenüber jedes Ding bei seinem rechten Namen nennend, dem Witze sehr hold, oft ein wahrhaft humoristischer Grobian, wobei nicht selten der Blondkopf mit den blaugrau funkelnden Augen, der langen Wangenfalte auf jeder Seite der Nase, der etwas gellenden Stimme und den kurzen heftigen Gestikulationen mit den Händen ein gar grimmiges Aussehen gewann. Mit seinen Büchern und Studien lebte er fast gänzlich isoliert und ziemlich einförmig, suchte keine Freundschaft, schloss sich auch niemandem besonders an, sah sich aber bei seinen weiten und großen Spaziergängen gern begleitet, unterhielt sich dabei sehr lebhaft über einzelne literarische Vorkommenheiten, wissenschaftliche Gegenstände, hervorragende Geister, besonders gern über Drama und Theater. Wer ihn liebenswürdig, anziehend, belehrend haben wollte, der musste mit ihm allein spazieren gehen. Mir wurde dieser Genuss oft zuteil, und dieser Umstand erwarb mir sein Wohlwollen, womit er mich noch jetzt erfreut. So galt er allgemein für einen Sonderling und war es auch gewissermaßen wirklich. Obschon entschiedener Gegner jenes Abendzeitungs-, Almanachs- und Liederkranzwesens, der sämtlichen Teilnehmer daran, die er nur die literarische Clique nannte, besonders aber Böttigers, den er laut als den gestiefelten Kater verhöhnte, fand er sich doch sehr häufig an den öffentlichen Orten ein, wo diese Männer gewöhnlich sich vergnügten. In der Regel entspann sich alsdann bald ein Kampf, wobei er mit seinem unverblümten Geradeheraus sehr den Unangenehmen spielte, mit den beißendsten Sarkasmen den Kaffee versalzte, seinem kritischen Humor ungeniert die Zügel schießen ließ, die ärgsten Brocken von Goethen und Shakespeare den Leuten ins Gesicht warf und dabei immer mit übereinandergeschlagenen Beinen an ihrem Whisttisch saß, dass sie Bock über Bock schossen. Dabei erschien er ihnen stets als ein Wauwau, alle fürchteten ihn, ohne dass einer jemals gewagt hätte, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Zum Glück blieb er über solche Dinge beim Reden stehen und bewahrte seine Tinte für anderes: Journalgeträtsche war nicht seine Sache, erschien ihm als zu kleinlich und verächtlich.«139
Schon in Göttingen war ihm Ludwig Sigismund Ruhl, ein Maler aus Kassel, nahegetreten. Als beide in Dresden von ungefähr wieder zusammentrafen, erneuerte sich ihr persönlicher Verkehr, und hier befestigte sich ein freundschaftliches Verhältnis von lebenslänglicher Dauer. Ruhl, der als Direktor der hessischen Kunstsammlungen zu Kassel im Jahre 1887 gestorben ist, neunzig Jahre alt, hat fünf Jahre