Gesammelte Werke von Rudyard Kipling. Редьярд Киплинг
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Rudyard Kipling - Редьярд Киплинг страница 122
Mehr sein Raumgefühl als thatsächliche Wahrnehmung sagte ihm, daß hinter den Wurzeln, worauf er saß, ein Zugang, ein unterirdischer Durchgang sein müsse, und mehr die angeborene amerikanische Neugierde, als eigentliche Abenteuerlust trieb ihn, sich in die Dunkelheit zu stürzen, die sich vor ihm aufthat und hinter ihm zusammenschlug. Er fühlte, daß er behauene Steine mit einer dünnen trockenen Erdschicht unter den Füßen hatte, und als er die Arme ausbreitete, konnte er zu beiden Seiten Mauerwerk fühlen. Er steckte ein Streichholz an und verwünschte seine Unbekanntschaft mit Kuhmäulern, die ihn das Mitbringen einer Laterne hatte versäumen lassen. Das erste Streichholz flammte flackernd auf, um in dem starken Luftzug sofort zu erlöschen, und eh’ noch das Hölzchen verglüht war, hörte er vor sich ein Geräusch, wie es etwa die zurückweichende Welle auf kiesigem Strand hervorbringt. Sehr ermutigend klang der Ton nicht, aber Tarvin arbeitete sich, nachdem er sich mit rascher Kopfwendung überzeugt hatte, daß das Tageslicht noch in gerader Linie hinter ihm glimmte, doch ein paar Schritte weiter und strich ein zweites Zündholz an, das er dieses Mal mit der Hand vor dem Luftzug schützte. Beim nächsten Schritt überlief ihn ein Schauder, sein Stiefelabsatz hatte einen Totenschädel zermalmt.
Das flackernde Lichtchen zeigte ihm, daß er den Durchgang selbst schon hinter sich hatte und jetzt in einem pechschwarzen Raum von unerkennbarem Umfang stand. Er glaubte einen Pfeiler, nein ganze Reihen von Pfeilern zu unterscheiden, die in dem unstäten Lichtschein wie Betrunkene schwankten: sicher war er dessen nicht, um so sicherer aber, daß der Boden unter ihm vollständig bedeckt war mit Totengebeinen. Jetzt wurde er sich auch bewußt, daß ein Paar smaragdgrüner Augen ihn unverwandt anstarrten und daß tiefe schnaubende Atemzüge durch den Raum tönten, die nicht von ihm herrührten. Er warf das Zündholz weg, die Augen zogen sich zurück, ein fürchterliches Rascheln und Krachen ertönte in der Finsternis, ein Geheul erklang, das von Mensch oder Tier herrühren konnte, und Tarvin sprang nach links, schwang sich atemlos keuchend über die Baumwurzeln und floh in wildem Lauf um den Teich herum, bis er wieder auf dem festen Gesims stand, wo er, das Kuhmaul im Rücken, Halt machte und seinen Revolver hervorzog.
In diesem Augenblick der Erwartung, was aus dem unterirdischen Gang hervorkommen werde, lernte Tarvin kennen, was rein physische Todesangst heißt. Dann bemerkte er plötzlich, ohne recht hinzusehen, daß ein Teil des Schlammwalls zur Linken, den er nur deshalb nicht betreten hatte, weil weniger Zweige darüber hinragten, sich in Bewegung setzte. Es war ein sehr beträchtlicher Teil, wohl die Hälfte der ganzen Länge und dieser Teil ruderte langsam über das Wasser, ein langer Streifen von Schleim und Schlamm. Aus dem Loch hinter den Wurzeln des Feigenbaumes kam nichts heraus, aber hart an dem Gesims, worauf Tarvin stand, fast unter seinen Schuhsohlen, fing der Schlammwall zu grunzen an und äugte zwischen hornigen mit grünlichem Schleim verklebten Augenlidern zu ihm hinauf.
Der Amerikaner des Westens ist mit vielen seltsamen Erscheinungen vertraut, aber der Alligator gehört nicht in den Kreis seiner üblichen Lebenserfahrungen. Zum zweitenmal an diesem Tag legte Tarvin einen schwierigen Weg zurück, ohne recht inne zu werden, was er that. Ehe er sich’s versah, saß er im sengenden Sonnenlicht oberhalb des schlüpfrigen steilen Pfades, der in die Tiefe führte. Seine beiden Hände waren voll von heilsamem hartem Dschungelgras und reinlicher trockener Erde, er sah die tote Stadt vor sich und um sich und fühlte sich geborgen.
Das Kuhmaul kicherte und gluckste unsichtbar, wie es gegluckst hatte, als der Teich angelegt worden war, und das mag geschehen sein, als die Zeit überhaupt entstand. Ein verkrüppelter alter Mann, fast vollständig nackt, kam mit einem jungen Zicklein, das er am Strick zog, durch das hohe Gras geschritten und rief von Zeit zu Zeit: »Ao, Bhai! Ao! Komm, Bruder! Komm!« Tarvin war erst starr vor Staunen, überhaupt ein menschliches Wesen zu erblicken, und noch mehr, dieses Wesen mir nichts dir nichts zu den Greueln der Finsternis hinabsteigen zu sehen. Er wußte eben nicht, daß dem heiligen Krokodil beim Kuhmaul allmorgendlich sein Frühstück gebracht wurde, wie es ihm gebracht worden war in den Tagen, wo Gunnaur von Menschen gewimmelt und seine schönen Königinnen noch nichts geahnt hatten von Tod und Verödung.
Schluß des ersten Bandes.
Zweiter Band
Dreizehntes Kapitel.
Eine halbe Stunde später verzehrten Tarvin und Fibby einträchtiglich ihr Frühstück in dem sonndurchspähten Schatten des Buschwerks am Fuße der Mauer. Das Pferd vergrub die Nase in seinen Futtersack und sagte gar nichts, und der Mann verhielt sich nicht weniger schweigsam. Zwei-oder dreimal sprang er auf, betrachtete prüfend die unregelmäßigen Linien von Mauer und Wall und schüttelte den Kopf. Nein, er hatte keine Lust, dorthin zurückzukehren. Als die Sonne heißer und heißer zu brennen anfing, suchte er sich einen geeigneten Ruheplatz in einem Kreis von Dornbüschen, schob sich den Sattel unter den Kopf und legte sich zum Schlafen nieder. Fibby fand das Beispiel seines Herrn durchaus nachahmenswert und wälzte sich wohlig im Gras. So pflegten die beiden der Ruhe, während die Luft vor Hitze brodelte und vom Summen der Insekten schwirrte, und die werdenden Ziegen mit tapp tapp kletterten oder durch die Wasserrinnen platschten.
Der Schatten vom Turm des Ruhmes wuchs, er fiel über die Mauer hinüber und streckte sich lang hinaus ins flache Land, die Weihen senkten sich paarweise oder zu dreien aus der Höhe herab, nackte Kinder, die einander mit schallender Stimme anriefen, sammelten die zerstreuten Ziegen, um sie heimzutreiben in die rauchigen Hütten der nahen Dörfer, und nun erst schickte sich Tarvin zur Heimreise an.
Als er die Anhöhe gegenüber der Stadt wieder erreicht hatte, hielt er Fibby an, um einen letzten Blick auf Gunnaur zu werfen. Die Sonne hatte sich schon von den Mauern verabschiedet, die nun pechschwarz aus der dunstbedeckten Ebene und dem bläulichen Zwielicht in die Luft aufragten. Aus einem Dutzend Höhlen rings am Fuß des Bollwerks zwinkerten Hirtenfeuer auf, aber längs der Umfassung des trostlosen Orts schimmerte kein Licht.
»Ein trübseliges Nest, Fibby,« sagte Tarvin, die Zügel aufnehmend. »Wir halten nicht viel von unsrer Landpartie und werden in Rhatore nicht darüber reden, merk’ dir das, mein Sohn!«
Er trieb das Pferd an und Fibby jagte heimwärts, daß die Funken stoben; er hatte es so eilig, daß er unterwegs nur ein einziges Mal eine Stärkung verlangte. Tarvin that auf dem langen, langen Ritt den Mund nicht mehr auf, aber als er im hellen Morgensonnenschein vor dem Rasthaus abstieg, entrang sich ein tiefer Atemzug der Erleichterung seiner Brust.
Als er dann in seinem Zimmer saß, bereute er es zwar tief, sich nicht in Gunnaur eine Fackel zurecht gemacht und das unterirdische Gewölbe genauer untersucht zu haben, aber sobald ihm die grünen Augen und der Moschusgeruch in Erinnerung kamen, schauderte ihn. Das Ding war unausführbar. Nie wieder, mochte ihn locken, was da wollte, würde er, solang er im gesegneten Licht der Sonne wandelte, einen Fuß in die Höhle des Kuhmauls setzen, so fremd seiner Natur die Furcht war.
Es war sein Stolz, in allen Stücken immer zu wissen, wann er genug hatte. Vom Kuhmaul hatte er genug gehabt, und das Einzige, wonach ihn in Beziehung darauf noch gelüstete, war, dem Maharadscha die Meinung darüber zu sagen. Daran war aber unglücklicherweise gar nicht zu denken. Der müßige Monarch, der ihn, wie er nun deutlich sah, dorthin gewiesen