Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

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Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten - Stefan Zweig

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er verbrennt vor ehrgeiziger Sehnsucht nach Macht. Nichts ist ihm genug, unersättlich sind sie alle, jeder ein Welteroberer, ein Umstürzler, ein Anarchist und ein Tyrann zugleich. Sie haben ein napoleonisches Temperament. Auch die Helden Dostojewskis sind feurig und ekstatisch, ihr Wille verwirft die Welt und greift in herrlichster Ungenügsamkeit über das wirkliche Leben nach dem wahren Leben; sie wollen nicht Bürger und Menschen sein, sondern in jedem von ihnen funkelt durch alle Demut der gefährliche Stolz, ein Heiland zu werden. Ein Held Balzacs will die Welt unterjochen, ein Held Dostojewskis sie überwinden. Beide haben sie eine Anspannung über das Alltägliche hinaus, eine Pfeilrichtung gegen das Unendliche. Die Menschen bei Dickens sind alle bescheiden. Mein Gott, was wollen sie? Hundert Pfund im Jahr, eine nette Frau, ein Dutzend Kinder, einen freundlich gedeckten Tisch für die guten Freunde, ihr Cottagehaus bei London mit einem Blick von Grün vor dem Fenster, mit einem kleinen Gärtchen und einer Handvoll Glück. Ihr Ideal ist ein spießerisches, ein kleinbürgerliches: damit muß man sich bei Dickens zurechtfinden. Hinter dem Werke steht als der Schöpfer nicht ein zorniger Gott, gigantisch und übermenschlich, sondern ein zufriedener Betrachter, ein loyaler Bürger. Das Bürgerliche ist die Atmosphäre aller Romane von Dickens.

      Seine große und unvergeßliche Tat war darum eigentlich nur: die Romantik der Bourgeoisie zu entdecken, die Poesie des Prosaischen. Er hat als erster den Alltag ins Dichterische umgebogen. Er hat Sonne durch dieses stumpfe Grau leuchten lassen; und wer in England einmal gesehen hat, wie strahlend der Goldglanz ist, den dort die erstarkende Sonne aus dem trüben Knäuel des Nebels spinnt, der weiß, wie sehr ein Dichter seine Nation beseligen mußte, der ihr künstlerisch diese Sekunde der Erlösung aus dem bleiernen Hindämmern gegeben hat. Dickens ist dieser goldene Reif um den englischen Alltag, der Heiligenschein der schlichten Dinge und simplen Menschen, die Idylle Englands. Er hat seine Helden, seine Schicksale in den engen Straßen der Vorstädte gesucht, an denen die anderen Dichter achtlos vorbeigingen. Die suchten ihre Helden unter den Kronleuchtern der aristokratischen Salons, auf den Wegen in den Zauberwald der fairy tales, sie forschten nach dem Entlegenen, Ungewöhnlichen und Außerordentlichen. Ihnen war der Bürger die Substanz gewordene irdische Schwerkraft, und sie wollten nur feurige, kostbare, in Ekstasen aufstrebende Seelen, den lyrischen, den heroischen Menschen. Dickens schämte sich nicht, den ganz einfachen Tagwerker zum Helden zu machen. Er war ein Selfmademan; er kam von unten und bewahrte diesem Milieu eine rührende Pietät. Er hatte einen sehr merkwürdigen Enthusiasmus für das Banale, eine Begeisterung für ganz wertlose altväterische Dinge, für den Kleinkram des Lebens. Seine Bücher sind selbst so ein curiosity shop voll mit Gerümpel, das jeder für wertlos gehalten hätte, ein Durcheinander von Seltsamkeiten und schnurrigen Nichtigkeiten, die jahrzehntelang vergeblich auf den Liebhaber gewartet hatten. Aber er nahm diese alten wertlosen, verstaubten Dinge, putzte sie blank, fügte sie zusammen und stellte sie in die Sonne seiner Heiterkeit. Und da fingen sie plötzlich an zu funkeln mit einem unerhörten Glanz. So nahm er die vielen kleinen verachteten Gefühle aus der Brust einfacher Menschen, horchte sie ab, fügte ihr Räderwerk zusammen, bis sie wieder lebendig tickten. Plötzlich begannen sie da wie kleine Spieluhren zu surren, zu schnurren und dann zu singen, eine leise altväterische Melodie, die lieblicher war als die schwermütigen Balladen der Ritter aus Legendenland und die Kanzonen der Lady vom See. Die ganze bürgerliche Welt hat Dickens so aus dem Aschenhaufen der Vergessenheit aufgestöbert und wieder blank zusammengefügt: in seinem Werk erst wurde sie wieder eine lebendige Welt. Ihre Torheiten und Beschränktheiten hat er durch Nachsicht begreiflich, ihre Schönheiten durch Liebe sinnfällig gemacht, ihren Aberglauben verwandelt in eine neue und sehr dichterische Mythologie. Das Zirpen des Heimchens am Herd ist Musik geworden in seiner Novelle, die Silvesterglocken sprechen mit menschlichen Zungen, der Zauber der Weihnacht versöhnt Dichtung dem religiösen Gefühl. Aus den kleinsten Festen hat er einen tieferen Sinn geholt; er hat allen diesen schlichten Leuten die Poesie ihres täglichen Lebens entdecken geholfen, ihnen noch lieber gemacht, was ihnen schon das Liebste war, ihr »home«, das enge Zimmer, wo der Kamin mit roten Flammen prasselt und das dürre Holz zerknackt, wo der Tee am Tische surrt und singt, wo die wunschlosen Existenzen sich absperren von den gierigen Stürmen, den wilden Verwegenheiten der Welt. Die Poesie des Alltäglichen wollte er alle die lehren, die in den Alltag gebannt waren. Tausenden und Millionen hat er gezeigt, wo das Ewige in ihr armes Leben hinabreichte, wo der Funke der stillen Freude verschüttet unter der Asche des Alltags lag, er hat sie gelehrt, ihn aufflammen zu lassen zu heiter behaglicher Glut. Helfen wollte er den Armen und den Kindern. Was über diesen Mittelstand des Lebens materiell oder geistig hinausging, war ihm antipathisch; er liebte nur das Gewöhnliche, das Durchschnittliche von ganzem Herzen. Den Reichen und den Aristokraten, den Begünstigten des Lebens war er gram. Die sind fast immer Schurken und Knauser in seinen Büchern, selten Porträts, fast immer Karikaturen. Er mochte sie nicht. Zu oft hatte er als Kind dem Vater ins Schuldgefängnis, in die Marshalea, Briefe gebracht, die Pfändungen gesehen, zu sehr die liebe Not des Geldes gekannt; jahraus, jahrein war er in Hungerford Stairs ganz oben in einem kleinen, schmutzigen, sonnenlosen Zimmer gesessen, hatte Schuhwichse in Tiegel eingestrichen und mit Fäden hunderte und hunderte täglich umwickelt, bis ihm die kleinen Kinderhände brannten und die Tränen der Zurücksetzung aus den Augen schössen. Zu sehr hatte er Hunger und Entbehrung gekannt an den kalten Nebelmorgen der Londoner Straßen. Keiner hatte ihm damals geholfen, die Karossen waren vorübergefahren an dem frierenden Knaben, die Reiter vorbeigetrabt, die Tore hatten sich nicht aufgetan. Nur von den kleinen Leuten hatte er Gutes erfahren: nur ihnen wollte er darum die Gabe erwidern. Seine Dichtung ist eminent demokratisch – nicht sozialistisch, dazu fehlt ihm der Sinn für das Radikale –, Liebe und Mitleid allein geben ihr pathetisches Feuer. In der bürgerlichen Welt – in der mittleren Sphäre zwischen Armenhaus und Rente – ist er am liebsten geblieben; nur bei diesen schlichten Menschen hat er sich wohlgefühlt. Er malt ihre Stuben mit Behaglichkeit und Breite aus, als wollte er selbst darin wohnen, webt ihnen bunte und immer mit sonnigem Feuer überflogene Schicksale, träumt ihre bescheidenen Träume; er ist ihr Anwalt, ihr Prediger, ihr Liebling, die helle, ewig warme Sonne ihrer schlichten, grautönigen Welt.

      Aber wie reich ist sie durch ihn geworden, diese bescheidene Wirklichkeit der kleinen Existenzen! Das ganze bürgerliche Beisammensein mit seinem Hausrat, dem Kunterbunt der Berufe, dem unübersehbaren Gemisch der Gefühle ist noch einmal Kosmos geworden, ein All mit Sternen und Göttern in seinen Büchern. Aus dem flachen, stagnierenden, kaum wellenden Spiegel der kleinen Existenzen hat hier ein scharfer Blick Schätze erspäht und sie mit dem feinmaschigsten Netz ans Licht gehoben. Aus dem Gewühl hat er Menschen gefangen, oh, wie viele Menschen, Hunderte von Gestalten, genug, eine kleine Stadt zu bevölkern. Unvergeßliche sind unter ihnen, Gestalten, die ewig sind in der Literatur und schon mit ihrer Existenz hinausreichen in den wirklichen Sprachbegriff des Volkes, Pickwick und Sam Weller, Pecksniff und Betsey Trotwood, sie alle, deren Namen in uns lächelnde Erinnerung zauberisch entfachen. Wie reich sind diese Romane! Die Episoden des David Copperfield genügten für sich allein, das dichterische Lebenswerk eines anderen mit Tatsächlichkeiten zu versorgen; Dickens’ Bücher sind eben wirkliche Romane im Sinn der Fülle und unablässigen Bewegtheit, nicht wie unsere deutschen fast alle nur ins Breite gezerrte psychologische Novellen. Es gibt wenig tote Punkte in ihnen, wenig leere sandige Strecken, sie haben Ebbe und Flut von Geschehnissen, und wirklich, wie ein Meer sind sie unergründlich und unübersehbar. Kaum kann man das heitere und wilde Durcheinander der wimmelnden Menschen überschauen; sie drängen herauf an die Bühne des Herzens, stoßen einer wieder den andern hinab, wirbeln vorbei. Keine der Gestalten, die nur spaziergängerisch vorbeizustreifen scheinen, geht verloren; alle ergänzen, befördern, befeinden einander, häufen Licht oder Schatten. Krause, heitere, ernste Verwicklungen treiben in katzenhaftem Spiel den Knäuel der Handlung hin und her, alle Möglichkeiten des Gefühls klingen in rascher Skala auf und nieder, alles ist gemengt: Jubel, Schauer und Übermut; bald funkelt die Träne der Rührung, bald die der losen Heiterkeit. Gewölk zieht auf, zerreißt, türmt sich aufs neue, aber am Schlusse strahlt die vom Gewitter reine Luft in wundervoller Sonne. Manche dieser Romane sind eine Ilias von tausend Einzelkämpfen, die Ilias einer entgötterten irdischen Welt, manche nur eine friedfertige bescheidene Idylle; aber alle Romane, die vortrefflichen wie die unlesbaren, haben dies Merkmal einer verschwenderischen Vielfalt. Und alle haben sie, selbst die wildesten und melancholischsten, in den Felsen der tragischen Landschaft kleine Lieblichkeiten wie Blumen eingesprengt. Überall blühen diese unvergeßlichen

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