Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

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Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten - Stefan Zweig

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hört, man sucht nicht; man nimmt, man fragt nicht, wer da gibt; wie ein Blitz leuchtet ein Gedanke auf, mit Notwendigkeit, in der Form ohne Zögern ich habe nie eine Wahl gehabt. Eine Entzückung, deren ungeheure Spannung sich mitunter in einen Tränenstrom auslöst, bei der der Schritt unwillkürlich bald stürmt, bald langsam wird; ein vollkommnes Außer-sich-Sein mit dem distinktesten Bewußtsein einer Unzahl feiner Schauder und Überrieselungen bis in die Fußzehen; eine Glückstiefe, in der das Schmerzlichste und Düsterste nicht als Gegensatz wirkt, sondern als bedingt, als herausgefordert, als eine notwendige Farbe innerhalb eines solchen Lichtüberflusses; ein Instinkt rhythmischer Verhältnisse, der weite Räume von Formen überspannt – die Länge, das Bedürfnis nach einem weitgespannten Rhythmus ist beinahe das Maß für die Gewalt der Inspiration, eine Art Ausgleich gegen deren Druck und Spannung… Alles geschieht im höchsten Grade unfreiwillig, aber wie in einem Sturme von Freiheitsgefühl, von Unbedingtsein, von Macht, von Göttlichkeit… Die Unfreiwilligkeit des Bildes, des Gleichnisses ist das Merkwürdigste; man hat keinen Begriff mehr, was Bild, was Gleichnis ist, alles bietet sich als der nächste, der richtigste, der einfachste Ausdruck. Es scheint wirklich, um an ein Wort Zarathustras zu erinnern, als ob die Dinge selber herankämen und sich zum Gleichnis anböten (›– hier kommen alle Dinge liebkosend zu deiner Rede und schmeicheln dir; denn sie wollen auf deinem Rücken reiten. Auf jedem Gleichnis reitest du hier zu jeder Wahrheit. Hier springen dir alles Seins Worte und Wort-Schreine auf; alles Sein will hier Wort werden, alles Werden will von dir reden lernen –‹). Dies ist meine Erfahrung von Inspiration; ich zweifle nicht, daß man Jahrtausende zurückgehen muß, um jemanden zu finden, der mir sagen darf: es ist auch die meine.«

      Dieser taumelnde, dieser selbst-hymnische Glückston, ich weiß es, die Ärzte sehen heute darin die Euphorie, das Endlustgefühl des Untergehenden und das Stigma der Megalomanie, jener bei Geisteskranken typischen Selbstüberhebung. Aber doch, ich frage, wann ist mit einer so diamantenen Klarheit je der Zustand des schöpferischen Rausches so ins Ewige gegraben worden? Denn dies ist ja das eigenste, das unerhörte Wunder der letzten Werke Nietzsches, daß ein höchster Grad der Klarheit den höchsten Grad des Rausches traumwandlerisch mitbegleitet, daß sie klug sind wie Schlangen inmitten ihrer bacchantischen, fast bestialischen Kraft. Sonst haben die Überschwenglichen, haben alle jene, denen Dionysos die Seele trunken gemacht hat, eine schwere Lippe, ein von Dunkel durchklungenes Wort. Wie aus Träumen reden sie deutsam und verwirrt; sie haben alle, die in den Abgrund hinabgesehen, den orphischen, den pythischen, den urgeheimnisvollen Ton einer Sprache von drüben her, den nur unsere Sinne fürchtig erahnen und unser Geist nicht mehr ganz versteht – Nietzsche aber ist diamantenklar inmitten des Rausches, unaufzehrbar hart und schneidend bleibt sein Wort in allen Feuern der Trunkenheit. Vielleicht hat sich noch nie ein lebendiger Mensch so weit und so wach, so vollkommen schwindelfrei und klar über den Rand des Irrsinns hinabgebeugt: Nietzsches Ausdruck ist nicht (wie Hölderlin, wie die Mystiker und Pythischen) angefärbt, angedunkelt vom Geheimnis; im Gegenteil, nie war er klarer und wahrer als in seinen letzten Sekunden, ja man könnte sagen: überlichtet von Geheimnis. Freilich, es ist ein gefährliches Licht, das hier auffunkelt, es hat die phantastische kranke Helligkeit einer Mitternachtssonne, die rotglühend über Eisbergen aufsteigt, es ist ein Nordlicht der Seele, das in seiner einmaligen Grandiosität erschauern macht. Es wärmt nicht und erschreckt; es blendet nicht, aber es tötet. Nicht vom dunkel wogenden Rhythmus des Gefühls wie Hölderlin, nicht von flutender Schwermut wird er hinabgerissen: er verbrennt an seiner eigenen Helligkeit, in einer Art Sonnenstich allerhöchster Glut, allerhöchster Leuchtkraft, einer weißglühenden und nicht mehr zu ertragenden Heiterkeit. Nietzsches Zusammenbruch ist eine Art Lichttod, ein Verkohltwerden des Geistes von der eigenen Stichflamme.

      Schon lange flammt und zuckt ihm die Seele von diesen zu starken Helligkeiten; er selbst erschrickt oft, der magisch Wissende, über diese Lichtfülle von oben und die wilden Heiterkeiten seiner Seele. »Die Intensitäten meines Gefühls machen mich schauern und lachen.« Aber nichts vermag diesen ekstatischen Strom mehr zu dämmen, dieses aus dem Himmel gleich Falken Herabstürzen von Gedanken, die ihn klirrend und klingend umschwirren Tag und Nacht, Nacht und Tag, Stunde um Stunde, bis ihm das Blut in den Schläfen dröhnt. In der Nacht hilft Chloral, baut ein schwaches Schutzdach Schlaf gegen den prasselnden Wolkenbruch der Visionen. Aber die Nerven glühen wie brennende Drähte: sein ganzes Wesen wird Elektrizität, zuckendes, zündendes, blitzartig flirrendes Licht.

      Ist es ein Wunder, wenn in diesem Wirbel inspirativer Geschwindigkeiten, in diesem unaufhörlichen Sturzbach von rauschenden Gedanken er den harten ebenen Boden unter den Füßen verliert, wenn Nietzsche, der von allen Dämonen des Geistes Zerrissene, nicht mehr weiß, wer er ist, wenn er, der Grenzenlose, seine Grenzen nicht mehr erkennt? Schon lange scheut sich seine Hand (seit sie sich dem Diktat höherer Mächte und nicht mehr dem Ich gehorsam fühlt), unter Briefe seinen eigenen Namen Friedrich Nietzsche zu setzen. Denn der protestantische kleine Pfarrerssohn aus Naumburg, so mag er dunkel fühlen, er ist es längst nicht mehr, der so Ungeheures erlebt, sondern irgendein Wesen, das noch keinen Namen hat, etwas Übergewaltiges, ein neuer Märtyrer der Menschheit. So unterschreibt er immer nur mit symbolischen Zeichen: »Das Untier«, »Der Gekreuzigte«, »Der Antichrist«, »Dionysos«, seine letzten Botschaften, seit er sich mit den Mächten, den übergewaltigen, als eins fühlt, selbst nicht mehr als Mensch, sondern als Macht und Sendung. »Ich bin kein Mensch, ich bin Dynamit.« »Ich bin ein welthistorisches Ereignis, das die Geschichte der Menschheit in zwei Teile spaltet« – so schreit er in gewaltigster Hybris ins schauerliche Schweigen. Wie Napoleon im brennenden Moskau, vor sich den unendlichen russischen Winter, rings um sich nur jämmerliche Trümmer der gewaltigen Armee, noch immer die monumentalsten, drohendsten Proklamationen erläßt (großartig bis an den Rand der Lächerlichkeit), so verfaßt Nietzsche mitten im brennenden Kreml seines Gehirns die furchtbarsten Pamphlete: er befiehlt, daß der deutsche Kaiser nach Rom komme, damit er ihn füsilieren lasse; er fordert die europäischen Mächte zu einer militärischen Aktion gegen Deutschland auf, das er in eine eiserne Zwangsjacke schließen will. Nie hat apokalyptischere Wut wilder ins Leere gewütet, nie so herrliche Hybris einen Geist über alles Irdische hinausgetrieben. Wie Hammerschläge fallen seine Worte gegen das ganze Weltgebäude: er verlangt, daß der Kalender umgestellt werde von der Geburt Christi auf das Erscheinen seines Antichrists, er stellt sein Bildnis über alle Gestalten der Zeiten – selbst der kranke Wahn Nietzsches ist noch größer als jener aller andern im Geist Geblendeten; auch hier wie in allem durchwaltet ihn das herrlichste, das tödlichste Zuviel.

      Nie ist auf einen schaffenden Menschen ein solcher Strom von Inspiration gefallen wie auf Nietzsche in diesem einzigen Herbst. »So ist nie gedichtet, nie gefühlt, nie gelitten worden: so leidet ein Gott, ein Dionysos« – diese Worte mitten im beginnenden Wahn, sie sind furchtbar wahr. Denn dies kleine Zimmer des vierten Stockes und die Höhle von Sils-Maria, sie beherbergen zugleich mit dem kranken, nervenzuckenden Menschen Friedrich Nietzsche die kühnsten Gedanken, die herrlichsten Worte, die das Jahrhundert an seinem Ende empfunden: der schöpferische Geist hat sich geflüchtet unter das niedere sonnenverbrannte Dach und wirft über einen armen, einen einzigen, namenlosen, scheuen, verlorenen Menschen seine ganz Fülle – unendlich mehr als ein einzelner Mensch ertragen kann. Und in diesem engen Raume, erstickt von Unendlichkeit, taumelt und tappt der erschreckte, der arme irdische Sinn unter der Wucht der Blitzschläge, peitschenden Erleuchtungen und Verkündungen. Ein Gott, so fühlt er ganz wie der geistgeblendete Hölderlin, ein Gott ist über ihm, ein feuriger Gott, dessen Blick die Augen nicht ertragen und dessen Anhauch verbrennt… immer hebt sich der Zitternde auf, sein Antlitz zu erkennen, und lose stürzen ihm die Gedanken auseinander… Denn er, der dies Unsagbare fühlt und dichtet und leidet… ist er – ist er nicht selber Gott… ist wieder ein Gott der Welt, nachdem er den andern getötet… Wer, wer ist er?… Ist er der Gekreuzigte, der tote Gott oder der lebendige… Der Gott seiner Jugend, Dionysos… oder ist er beides zugleich, der gekreuzigte Dionysos… Immer mehr verwirren sich die Gedanken, der Strom braust zu laut von zu viel Licht… Ist es noch Licht? Ist es nicht Musik? Das kleine Zimmer im vierten Stock der Via Alberto beginnt zu tönen, alle Sphären leuchten und schwingen, alle Himmel sind verklärt… Oh, welche Musik: die Tränen fluten ihm in den Bart, warm, heiß… oh, welche göttliche Zärtlichkeit, welches smaragdene Glück… Und jetzt… wieviel Helligkeit… Und unten auf

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