Th. M. Dostojewsky: Eine biographische Studie. Nina Hoffmann
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Die Anklage gegen Dostojewsky lautete: „dass er ebenfalls (gleich Durow) an diesen verbrecherischen Plänen teilgenommen, dass er einen Brief Belinskys an Gogol verbreitet habe, der voll frecher Ausdrücke gegen die rechtgläubige Kirche und die Obrigkeit gewesen sei, und dass er den Versuch gemacht habe, zur Verbreitung von Schriften gegen die Obrigkeit im Verein mit anderen eine geheime Lithographie herzustellen.“
Dostojewskys nervöser Zustand, der schon vor der Arretierung ihm sehr beschwerlich gewesen war, wurde nach seiner acht Monate währenden Untersuchungshaft bedeutend schlimmer durch die wiederholten Verhöre und das eindringliche Zureden, er möge in seinen mündlichen und schriftlichen Antworten die Genossen angeben, so dass er endlich, dessen müde, sich selbst einen bedeutend grösseren Anteil bei der Sache vindicierte, als er in der That daran genommen hatte, und so hoffte, dieselben Qualen des Verhörs von den Mitangeklagten abzulenken.
Seine eingehendste schriftliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen lassen wir hier in getreuer Übersetzung des Original-Manuskripts folgen. Oberflächlichen Kennern Dostojewskys, welche jedoch über die Thatsachen dieses Prozesses vortrefflich unterrichtet sind, ist der Inhalt dieser, im August 1898 in der „N. Fr. Presse“ durch uns veröffentlichten Verteidigungsschrift lediglich ein „advokatorisches Meisterstück“. Wer des Dichters Grundnatur und seinen inneren Entwickelungsgang näher kennt, wird dies nicht schlankweg annehmen. So sehr auch Dostojewsky „das Zeug zum Verschwörer“ haben mochte, wie man von ihm sagte, und so oft er selbst von einer „Umkehr“ spricht, lag doch der slavisch-mystische Wesenskeim zu tief in seiner Natur, um nicht bei der ersten Erschütterung seiner revolutionären Anwandelungen entschieden und endgiltig in seine Rechte zu treten. Ja, der Atheismus, welchem er sicher um jene Zeit gehuldigt haben muss, und der sich dreissig Jahre später im herrlichen Kapitel „Der Grossinquisitor“ wiederspiegelt, dieser Atheismus ist nichts als die Kehrseite eines heissen Gottesdurstes und hat nichts gemein mit dem kühlen Indifferentismus in Glaubenssachen, wie er das endgiltige Merkmal des echten Revolutionärs ist. Wenn wir hier diesen Standpunkt festhalten, wenn wir darauf hinweisen, dass in dieser Verteidigungsschrift bei aller Gewandtheit und berechnenden Wahrheitskühnheit auch viel wirkliche Wahrheit enthalten ist, namentlich an jener Stelle, wo Dostojewsky die bekannte Aksakowsche Geschichts-Anschauung entwickelt, wenn wir sogar gegen seinen eigenen Ausspruch über sich protestieren, so geschieht dies nicht, um ihn „rein zu waschen“ oder „päpstlicher als der Papst“ zu sein, sondern um den Wendungen und Windungen dieser höchst komplizierten Natur nachzugehen, die sich oft „zur Wahrheit durchlog“, mit der Wahrheit spielte und der es doch heiliger Ernst und Wahrheit war, womit der ewig bewegte Geist nicht anders als spielen konnte. Die Verteidigungsrede lautet wie folgt:
Th. M. Dostojewskys Rechtfertigungsschrift im Prozesse Petraschewsky, verlesen in der 42. Sitzung der Untersuchungs-Kommission unter dem Vorsitze des General-Adjutanten Nabokow am 20. Juni 1849.
„Man verlangt von mir, dass ich alles, was ich über Petraschewsky und über jene Leute, welche seine Freitags-Abende besuchten, weiss, aussagen soll, das heisst, man verlangt meine Aussage über Fakten und meine persönliche Meinung über diese Fakten.
Wenn ich die heutigen Fragen mit dem ersten Verhöre zusammenhalte, so schliesse ich, dass man von mir eine genaue Antwort auf folgende Punkte fordert:
1. Darauf, was für einen Charakter Petraschewsky als Mensch im allgemeinen und als Politiker im besonderen hatte.
2. Was an jenen Abenden, welchen ich beiwohnte, bei Petraschewsky vorging, sowie meine Meinung über diese Abende.
3. Ob nicht irgend ein geheimes, verborgenes Ziel der Gesellschaft Petraschewsky zu Grunde lag? Ob Petraschewsky selbst ein für die Gesellschaft schädlicher Mensch und in welchem Grade er es war.
Ich bin niemals in sehr nahen Beziehungen zu Petraschewsky gestanden, obwohl ich an Freitags-Abenden zu ihm kam und auch er mich besuchte.
Dies ist eine jener Bekanntschaften, an denen mir nicht allzu viel gelegen war, da ich weder im Charakter noch in vielen Anschauungen mit Petraschewsky übereinstimmte. Darum erhielt ich diese Beziehung nur insoweit, als es die Höflichkeit verlangte, das heisst, ich besuchte ihn etwa jeden Monat einmal, manchmal auch seltener. Ihn aber vollständig aufzugeben, hatte ich keinerlei Ursache; überdies war es mir manchmal interessant, seine Freitage zu besuchen.
Mich haben immer viele Excentrizitäten und Absonderlichkeiten im Charakter Petraschewskys frappiert. Unsere Bekanntschaft begann sogar damit, dass er bei der ersten Zusammenkunft durch seine Absonderlichkeiten meine Neugierde erweckte. Ich fuhr jedoch nicht oft zu ihm; es geschah, dass ich manchmal ein halbes Jahr nicht bei ihm war. Im vorigen Winter war ich vom September angefangen nicht mehr als achtmal bei ihm. Wir waren niemals intim mit einander, und ich glaube, dass wir während der ganzen Zeit unserer Bekanntschaft niemals mehr als eine halbe Stunde unter vier Augen mit einander gesprochen haben. Ich habe sogar entschieden bemerkt, dass er, indem er zu mir kam, gleichsam eine Pflicht der Höflichkeit erfüllte, dass aber zum Beispiel ein langes Gespräch mit mir ihm lästig war. Bei mir war dasselbe der Fall, da wir, wie ich wiederhole, weder in den Ideen noch in den Charakteren Vereinigungspunkte hatten. Wir fürchteten beide, länger mit einander zu sprechen, da wir vom zehnten Worte an mit einander gestritten hätten, dies aber uns beiden zuwider war. Es scheint mir, dass unsere gegenseitigen Eindrücke die gleichen waren; wenigstens weiss ich, dass ich zu seinen Freitags-Abenden sehr oft nicht sowohl um seiner selbst willen und wegen der „Freitage“ fuhr, als um dort manche Leute zu treffen, die ich, obwohl ich mit ihnen bekannt war, ausserordentlich selten sah und welche mir gefielen. Übrigens habe ich Petraschewsky immer als einen ehrenhaften und edlen Menschen geachtet.
Über seine Excentrizitäten und Absonderlichkeiten sprechen viele, fast alle, welche ihn kennen oder von ihm gehört haben, und beurteilen ihn sogar danach. Ich habe mehreremale die Meinung äussern hören, dass Petraschewsky mehr Geist als Vernunft habe; thatsächlich wäre es sehr schwer, sich viele seiner Sonderbarkeiten zu erklären. Es geschah nicht selten, dass man ihn bei einer Begegnung auf der Strasse fragte, wohin er gehe und was er vorhabe, worauf er etwas so Absonderliches antwortete, einen so sonderbaren Plan mitteilte, den er soeben auszuführen ginge, dass man nicht wusste, was man vom Plan und von Petraschewsky selbst denken sollte. Um einer Sache willen, welche keinen Deut wert ist, machte er so viel Wesens, als ob es sich um sein ganzes Vermögen handle. Ein andermal eilt er auf eine halbe Stunde irgend wohin, um ein ganz kleines Geschäftchen abzumachen, beendet aber dieses „kleine Geschäftchen“ ungefähr in zwei Jahren. Er ist ein Mensch, der sich fortwährend etwas zu schaffen macht, immer in Bewegung ist, den immer irgend etwas treibt. Er liest viel, schätzt das System Fouriers und hat es sich bis ins Detail angeeignet. Ausserdem beschäftigt er sich hauptsächlich mit dem Studium der Gesetzgebung. Dies ist alles, was ich von ihm als Privatperson nach Daten weiss, welche zu unvollständig sind, um einen Charakter solcher Art vollkommen zu beurteilen. Denn das wiederhole ich noch einmal, ich habe niemals in all zu nahen Beziehungen zu ihm gestanden.
Es ist schwer zu sagen, dass Petraschewsky (als politische Person betrachtet) irgend ein bestimmtes System in seinen Meinungen, irgend eine bestimmte Anschauung in politischen Dingen gehabt hätte. Ich habe bei ihm nur Ein folgerichtiges System bemerkt, und dieses war nicht das seine, sondern das Fouriers. Es scheint mir, dass besonders Fourier es ist, welcher ihn daran hindert, die Dinge selbständig anzusehen. Ich kann übrigens unbedingt sagen, dass Petraschewsky weit entfernt von der Idee ist, dass eine unmittelbare Anwendung des Fourierschen Systems auf unsere gesellschaftlichen Zustände möglich sei. Davon war ich immer überzeugt.
Die Gesellschaft, welche sich an Freitag-Abenden bei ihm versammelte, bestand fast ausschliesslich