Tante Lisbeth. Оноре де Бальзак
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Er kümmert sich somit auch nicht um Hortense, sagte sie sich, obwohl er sie alle Tage sieht. Er wird ihr eines Tages einen Gatten im Kreise seiner liederlichen Frauenzimmer suchen!
Das sagte sie lediglich als Mutter, und die regte sich jetzt stärker in ihr als die Gattin; denn sie hörte grade das Lachen von Hortense und Tante Lisbeth, das närrische Lachen der sorglosen Jugend. Es kam ihr vor, als sei dieses nervöse Lachen ein ebenso bedenkliches Anzeichen wie das verträumte einsame Wandeln durch den Garten mit Tränen in den Augen.
Hortense glich ihrer Mutter, nur hatte sie goldnes, natürlich gelocktes und erstaunlich volles Haar. Etwas wie Perlmutterglanz leuchtete darauf. Auf den ersten Blick erkannte man in ihr das Kind einer ehrsamen Ehe und einer durch und durch edlen und reinen Liebe. Im Gesicht des jungen Mädchens lagen Temperament und Frohsinn. Ihre jugendliche Lebhaftigkeit, ihre volle Frische und die strotzende Gesundheit wirkten wie von ihr ausgehende elektrische Ströme. Hortense zog aller Blicke an. Wenn ihre unschuldigen Augen, blau wie das Meer, im Vorübergleiten auf jemandem haftenblieben, so erzitterte der Betreffende unwillkürlich. Ihren reinen Teint entstellten keine Sommersprossen, mit denen die Goldblondinen doch sonst meist ihre helle weiße Gesichtsfarbe bezahlen müssen. Sie verdiente die Bezeichnung »Göttin«, mit der altmodische Dichter so verschwenderisch umgehen. Denn sie war groß und üppig, ohne stark zu sein, und von demselben rassigen Wuchs wie ihre Mutter. So konnte sich denn auf der Straße keiner, der ihr begegnete, des Ausrufes enthalten: »Gott, was für ein Prachtmädel!« Dabei war sie so unverdorben, dass sie, zu Hause angekommen, sagte: »Mutter, was haben sie nur alle, wenn du mit mir gehst, zu schreien: ›Das Prachtmädel!‹ Bist du denn nicht viel schöner als ich?«
Und in der Tat konnte die Baronin, obwohl sie das siebenundvierzigste Jahr hinter sich hatte, von Verehrern der untergehenden Sonne sehr wohl ihrer Tochter vorgezogen werden, denn sie hatte, wie man sagt, noch nichts von ihren Reizen eingebüßt. Eine wunderbare Ausnahme, zumal in Paris, wo die Ninon de Lenclos Aufsehen erregt hat, die dem 17. Jahrhundert seinen Ruf rauben wollte, an hässlichen Frauen reich zu sein.
Die Gedanken der Baronin sprangen von ihrer Tochter auf den Vater zurück. Sie sah im Geiste, wie er von Tag zu Tag, von Stufe zu Stufe bis in den Schmutz der Gesellschaft hinabsank, um vielleicht eines Tages seines Amtes im Kriegsministerium enthoben zu werden. Der armen Frau war der Gedanke an den Sturz ihres vergötterten Mannes und die unklare Vorahnung des Unglücks, das Crevel prophezeit hatte, eine solche Qual, dass sie wie eine Seherin ohnmächtig wurde.
Tante Lisbeth plauderte mit Hortense, wobei sie von Zeit zu Zeit nachsehen ging, ob sie wieder in den Salon zurückkommen könnten. In dem Augenblick jedoch, als die Baronin die Tür, die zugleich Fenster war, wieder öffnete, ward Lisbeth von ihrer jungen Verwandten so mit Fragen bestürmt, dass sie dies nicht wahrnahm.
Lisbeth Fischer, die Tochter des Ältesten der Gebrüder Fischer, war fünf Jahre jünger als Frau von Hulot. Nicht annähernd so hübsch wie ihre Kusine, war sie denn auch außerordentlich eifersüchtig auf Adeline. Der Neid bildete das Grundelement dieses höchst exzentrischen Charakters. Ein Vogeser Bauernkind im wahrsten Sinne des Wortes, mager, braun, mit glänzend schwarzem Haar, dichten buschigen Augenbrauen, langen knochigen Armen, plumpen Füßen und einigen Warzen im länglichen Affengesicht, das ist die Porträtskizze dieser alten Jungfer.
In der gemeinsam lebenden großen Familie wurde das hübsche Mädchen dem hässlichen vorgezogen, so wie man die farbenprächtige Blüte der herben Frucht vorzieht. Lisbeth musste auf dem Felde arbeiten, während ihre Kusine verhätschelt wurde. So geschah es eines Tages, dass sie, allein mit Adeline, ihr die Nase abbeißen wollte, eine echt griechische Nase, das Entzücken der alten Frauen. Trotz Schläge zerriss und beschmutzte Lisbeth die Kleider und die Halskrausen dieses Lieblings der andern.
Angesichts der märchenhaften Heirat ihrer Kusine beugte sich Lisbeth vor dieser Schickung, wie die Brüder und Schwestern Napoleons sich vor seinem Purpurglanz und seiner Herrschermacht gebeugt hatten. Denn in Paris erinnerte sich Adeline, die außerordentlich gutherzig und sanft war, an Lisbeth und ließ sie im Jahre 1809 zu sich kommen. Sie wollte sie dem Elend entreißen und gut unterbringen. Als man aber die Unmöglichkeit einsah, dieses Mädchen mit den dunklen Augen und den kohlschwarzen Brauen, das obendrein weder schreiben noch lesen konnte, ohne weiteres unter die Haube zu bekommen, was Adeline am liebsten getan hätte, verschaffte ihr der Baron fürs erste eine Stellung als Lehrmädchen in der Kaiserlichen Hofstickerei, bei der berühmten Firma Gebrüder Pons.
So wurde die Kusine, die man »Tante Lisbeth« zu nennen pflegte, Gold- und Silberstickerin. Energisch wie alle Bergbewohner, hatte sie den Mut, noch lesen, rechnen und schreiben zu lernen. Ihr Vetter, der Baron, hatte ihr klargemacht, dass diese Kenntnisse notwendig seien, um später ein Stickereigeschäft selbständig leiten zu können.
Lisbeth wollte auf jeden Fall reich werden, und so wandelte sie sich in zwei Jahren durch und durch. Um 1811 war aus dem Landmädchen bereits eine ganz nette und recht geschickte und kluge Vorstickerin geworden.
In dieser Industrie, der Gold- und Silberstickerei, wurden die Epauletten, Portepees, Achselschnuren und all die Unmenge von glänzenden Dingen verfertigt, die auf den prunkenden Uniformen der französischen Armee und Beamtenschaft blinkten. Als Italiener war der Kaiser ein großer Freund prächtiger Tracht. Er hatte sämtliche Nähte an den Röcken seiner Staatsdiener mit Gold und Silber bespickt – und sein Reich zählte 133 Departements! Diese Zutaten wurden gewöhnlich an die reichen und soliden Schneiderfirmen geliefert oder auch unmittelbar an die Würdenträger. Diese Fabrikation war ein sicheres Geschäft.
In dem Augenblick, als Tante Lisbeth, die geschickteste Arbeiterin im Hause Pons, die Leiterin der Manufaktur, sich hätte selbständig machen können, kam es zum Sturze des Kaiserreichs. Die Friedenspalme in der Bourbonen Hand schreckte Lisbeth ab; sie fürchtete einen Niedergang in ihrem Handelszweig, da nur noch 86 Departements an Stelle von 133 mit Goldstickereien zu versehen waren, abgesehen von der bedeutenden Verminderung des Heeres. Kurz und gut, das wechselnde Glück in der Industrie verblüffte sie derartig, dass sie das Angebot des Barons zurückwies. Er hielt sie daraufhin für verrückt und ward darin bestärkt, denn sie überwarf sich mit Rivet, dem Erwerber der Firma Pons, mit dem der Baron sie hatte assoziieren wollen. So wurde sie wieder einfache Arbeiterin, und die Familie Fischer sank in die unsichere Lage zurück, der sie dereinst durch den Baron Hulot enthoben worden war.
Durch die Katastrophe von Fontainebleau zugrunde gerichtet, traten die drei Brüder aus lauter Verzweiflung in die Freischaren von 1815 ein. Der älteste, Lisbeths Vater, fiel. Adelines Vater, von einem Kriegsgericht zum Tode verurteilt, flüchtete nach Deutschland und starb im Jahre 1820 in Trier. Der jüngste, Hans, kam nach Paris und warf sich der »Königin der Familie« zu Füßen, die angeblich in Gold und Silber schwamm und auf den Bällen die ihr vom Kaiser geschenkten Brillanten trug, die so groß waren wie Haselnüsse. Damals dreiundvierzig Jahre alt, bekam Hans Fischer vom Baron Hulot zehntausend Francs ausgezahlt, um in Versailles einen kleinen Getreidehandel anzufangen, der vom Kriegsministerium durch den heimlichen Einfluss von Freunden, die der ehemalige Generalintendant dort immer noch hatte, unterstützt wurde.
Die Schicksalsschläge