Sophienlust Extra 9 – Familienroman. Gert Rothberg
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Heidi trippelte bei dem Rundgang vergnügt zwischen ihrer Mutti und dem Bernhardiner Barri, der sich nun, nachdem Severin nicht mehr da war, als ihr Beschützer aufspielte.
Nick konnte nicht umhin, immer wieder durchblicken zu lassen, dass Sophienlust und alles, was dazugehörte, später sein Eigentum sein würde. Lebhaft erzählte er jedoch auch von dem Tierheim WALDI & CO. »Seit Kurzem gibt es dort ein Liliput-Pferdchen«, berichtete er. »Es heißt Billy und kommt aus Texas. Meine Schwester Andrea hat es einem Pferdezüchter aus Texas abgehandelt. Ihm ist es gelungen, durch Kreuzungen diese winzige Pferderasse zu züchten. Billy ist nur siebzig Zentimeter hoch. Er hat ein braun-weiß gelocktes Fell und ist bildschön.«
Elisabeth war ganz begeistert von Nick. Seine Natürlichkeit war so herzerfrischend, dass sie für ein Weilchen ihren Kummer vergaß.
»Mutti, warum bleiben wir denn nicht für immer hier?«, fragte Heidi plötzlich.
»Wenn du willst, kannst du bei uns bleiben«, entgegnete Nick sogleich voller Begeisterung.
»Bitte, Heidi, sei nicht so aufdringlich«, ermahnte Elisabeth das Kind.
Die Schwestern Angelika und Vicky Langenbach kamen angelaufen. »Herr Holsten ist da!«, rief Angelika. »Er ist mit Tante Isi in der Halle.«
Elisabeth zuckte zusammen. Nun erst dachte sie wieder an die Auseinandersetzung mit ihrem Mann und an die nächste Zeit, die grau in grau vor ihr lag. Morgen schon wollte Axel nach Mannheim abreisen und Heidi und sie allein in dem Gasthof von Maibach zurücklassen. Genauso gut könnten sie doch alle zusammen in einem billigen Hotel in Mannheim leben. Dann würde sie Axel jeden Tag sehen können …
Auch Heidi wurde nun still. Sie erinnerte sich jäh daran, dass der Anlass ihres Fortlaufens eigentlich nicht die Miezekatze gewesen war, sondern die wütende Stimme ihres Vatis. So lieb sie ihn auch hatte, sie fürchtete ihn manchmal doch sehr, besonders dann, wenn er mit Mutti schimpfte.
Scheu fasste Heidi nach Nicks Hand. Erstaunt und auch ein wenig geniert blickte der Junge auf den blonden Scheitel des kleinen Mädchens hinunter. »Ja?«, fragte er. »Willst du mich etwas fragen?«
»Ja, Nick. Vielleicht können Mutti und ich hierbleiben?«, fragte Heidi so leise, dass nur Nick sie verstehen konnte.
»Von mir aus könnt ihr dableiben.«
»Oh, da ist ja Vati«, rief die Kleine plötzlich mit großen ängstlichen Augen.
Der Ausruf des Kindes gab Nick zu denken. Aller Wahrscheinlichkeit nach fürchtete es sich vor seinem Vater.
Elisabeth wurde das Herz schwer, als sie wieder einmal erleben musste, dass Axel sie wie einen Dienstboten behandelte, während er sich Denise von Schoenecker gegenüber wie ein vollendeter Kavalier benahm. Dass sein Benehmen Denise vor den Kopf stieß, ahnte sie allerdings nicht.
Denise fand Axel unsympathisch, doch sie ließ sich das nicht anmerken. Später jedoch sagte sie zu ihrem Mann: »Manchmal ist es für mich unbegreiflich, dass eine so reizende und liebenswerte Frau wie Elisabeth Holsten einen Mann wie Axel Holsten heiraten kann.«
Auch Nick machte sich so seine Gedanken über Heidis Familienverhältnisse. »Weißt du, Mutti«, meinte er, als er Denise gute Nacht sagte. »Irgendetwas stimmt nicht bei Heidis Eltern. Ich habe das Gefühl, dass Heidi eines Tages nach Sophienlust kommen wird.«
»Das wird sie gewiss einmal, mein Junge, aber nur zu Besuch. Frau Holsten hat mich gefragt, ob sie uns besuchen dürfe.«
Nicks dunkle Brauen runzelten sich. Das war ein Zeichen, dass er intensiv nachdachte. »Weißt du«, begann er wieder, »ich finde es mehr als komisch, dass ein Mann ohne seine Familie sein möchte. Heidi hat mir nämlich erzählt, ihr Vati wolle nicht, dass ihre Mutti und sie bei ihm blieben.«
»Manchmal geht’s nicht anders, Nick.«
»Manchmal schon. Aber in diesem Fall ist es trotzdem sonderbar, dass Herr Holsten Frau und Tochter in einem Gasthof in Maibach zurücklässt, während er sich ein Zimmer in Mannheim mietet. Sie könnten doch genauso gut zusammen in einem billigen Hotel in Mannheim leben, wenn sie schon mit dem Geld knapp sind.«
Denise hielt es für klüger, dieses etwas heikle Thema nicht weiterzuverfolgen. Deshalb blieb sie ihrem Sohn die Antwort schuldig. »Nick, geh jetzt schlafen«, bat sie stattdessen. »Es ist schon fast zehn Uhr.«
»Na ja, dann gehe ich halt ins Bett«, seufzte er. Er kannte seine Mutter gut genug, um zu wissen, dass sie sich nicht mehr mit ihm über die Holstens unterhalten würde. Trotzdem war er ganz sicher, dass Heidi eines Tages zu ihnen kommen würde.
*
Elisabeth hatte ihr Töchterchen zu Bett gebracht. Die Kleine schlief während Axels Anwesenheit in einem anderen Zimmer.
Heidi tat alles, um ihre Mutti aufzuhalten, weil sie nicht allein sein wollte. Als Elisabeth ihr dann einen Gutenachtkuss gab, umklammerte die Kleine ihren Hals und bettelte: »Mutti, bitte, lass mich nicht allein. Ohne dich habe ich Angst.«
»Aber warum denn, mein Kleines?«, fragte Elisabeth kopfschüttelnd. »Vati und ich sind doch im Nebenzimmer. Schau, wenn du etwas willst, brauchst du nur an die Wand zu klopfen.«
Heidi ließ ihre Mutter nun zwar los, stieß aber einen so herzerweichenden Seufzer aus, dass sich Elisabeth ein Lachen verkneifen musste.
»Gut, liebe Mutti«, erwiderte Heidi schließlich tapfer. »Aber morgen, wenn Vati nicht mehr da ist, darf ich doch wieder bei dir im Zimmer schlafen?«
»Selbstverständlich, mein Kleines.« Elisabeth drückte den warmen Kinderkörper zärtlich an sich. »Nun schlaf gut, mein Engelchen.«
Lächelnd verließ Elisabeth das Zimmer. Doch draußen auf dem Korridor fiel ein Schatten über ihre Züge. Wieder packte sie quälende Angst vor der Zukunft, die in einem ungewissen Dunkel vor ihr lag. Es war ihr bisher nicht gelungen, Axels Herz zu erweichen. Warum sah er nicht ein, dass Heidi und sie ebenso gut in einem Hotel in Mannheim wohnen konnten? Dort würde sogar die Möglichkeit bestehen, Heidi tagsüber in einem Kindergarten unterzubringen, sodass sie wieder als Apothekerin würde arbeiten können.
Elisabeth nahm sich, als sie nach einem tiefen Atemzug die Tür des Zimmers öffnete, das sie im Augenblick mit ihrem Mann bewohnte, vor, jetzt gleich noch einmal mit ihm zu sprechen.
Axel stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster und rauchte. Er hielt es nicht einmal für notwendig, sich umzuwenden.
»Hast du Heidi endlich zu Bett gebracht?«, fragte er plötzlich und drehte sich um. »Sie ist ein verzogenes Balg. Man müsste sie mehr prügeln.«
»Bitte, Axel, sag das nicht«, flehte sie, denn Heidis Erziehung bildete ein weiteres großes Problem zwischen ihnen. »Heidi ist ein zartes Kind und sehr sensibel. Wenn man sie schlägt, kann man bei ihr nur Schaden anrichten. Ich zum Beispiel habe nie Schläge von meinen Eltern bekommen.«
»Dir hätte es auch nicht geschadet!«, stieß er gereizt hervor. Er selbst hatte als Kind Prügel erhalten und war der Ansicht, Strenge schade keinem Kind.
Elisabeth zwang sich zur Ruhe. Streit mit ihm musste sie vermeiden. Sonst würde sie nichts bei ihm erreichen. Ihr schönes Gesicht nahm unbewusst jenen zerquälten Ausdruck