Krise am Golf. Robert Fitzthum
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Das Verständnis von Sicherheit als die Abwesenheit von Bedrohung gegen das Fortbestehen der Stammesmonarchien war und ist immer noch weit verbreitet. Obwohl es bereits seit der Unabhängigkeit der kleineren Emirate in den 1960er und 1970er Jahren große Unterschiede in der Bewertung der Bedrohungslage gibt, so besteht dennoch einen Konsens, dass das Überleben des Regimes oberste Priorität hat – ein Konsens, den nur die regionale Supermacht Saudi-Arabien nicht akzeptieren wollte. Für das saudische Königreich waren die Sicherheitsbedürfnisse der kleineren Monarchien immer nur solange wichtig, wie sie mit den eigenen Sicherheitsinteressen vereinbar waren. Der Anspruch auf Souveränität und Selbstbestimmung in Doha, Manama und Abu Dhabi war für Riad schwer zu akzeptieren, das die jungen Stadtstaaten immer nur als Vasallenstaaten wahrgenommen hatte. Saudische Äußerungen, dass ein Angriff auf eine der Herrscherfamilien am Golf einem Angriff auf die eigene Herrscherfamilie gleichkäme,12 waren oft bloß Rechtfertigungen für saudische Einmischungen in »innere Angelegenheiten« in Bahrain 1994 und 2011 oder in Katar 1996.
Es waren auch die Saudis, die in den 1970er Jahren die Initiative ergriffen, um eine kollektive Sicherheitsstruktur am Golf aufzubauen, damals noch einschließlich des vorrevolutionären Iran und Saddams Irak. Die iranische Revolution 1979 sollte dem Prozess der Sicherheitsintegration am Golf neue Dynamik verleihen.
Der Golfkooperationsrat als Sicherheitskomplex
Das Jahr 1979 war in jeglicher Hinsicht ein Schock für die Monarchien am Golf. Nachdem die Rückkehr von Ayatollah Khomeini im Februar das Ende der Pahlavi-Monarchie im Iran einleitete, wurde Saudi-Arabien im November von der gewaltsamen Besetzung der Großen Moschee von Mekka durch militante Islamisten überrascht. Und im Dezember marschierte die Sowjetunion in Afghanistan ein, um die Kommunisten zu unterstützen. Für die sechs Golfmonarchien schien sich die Großwetterlage in der Region fundamental zu ändern, ganz besonders mit der Errichtung eines islamischen Gottesstaates in Teheran, der den Führungsanspruch Saudi-Arabiens in der islamischen Welt infrage stellen sollte. Als dann im September 1980 Saddams Irak versuchte, die Wirren der Revolution im Iran auszunutzen, um seine Vormachtstellung auszubauen, war das für die Monarchen am Golf genug Impetus, den Weg für eine intergouvernementale Organisation zu ebnen, trotz rivalisierender Visionen für eine kollektive Sicherheitsstruktur. Jahre ergebnisloser Verhandlungen, die von konkurrierenden nationalen Sicherheitsagenden untergraben wurden, waren im Angesicht des neuen Sicherheitskontexts plötzlich vergessen.
Als die Vertreter der sechs Golfstaaten im Februar 1981 in Kuwait zusammenkamen, um die Einzelheiten der neuen Organisation zu verhandeln, gab es drei verschiedene Vorschläge aus Saudi-Arabien, Kuwait und dem Oman, die hastig in ein gemeinsames Konzept umgewandelt werden mussten – die übermächtige Verhandlungsmacht des »großen Bruders« Saudi-Arabien sollte dabei das Zünglein an der Waage sein. Dass der dann im Mai 1981 geformte Golfkooperationsrat seinen Sitz in Riad haben sollte, war kein Zufall. Obgleich militärische Kooperation und kollektive Sicherheit in den Statuten des GCC festgehalten wurden, verpassten es die Gründungsväter, diese Konzepte weiter zu definieren. Eine klare Gesamtstrategie, die richtungsweisend eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik vorgeben könnte, fehlte.13 Auf ein gemeinsames Konzept von Sicherheit konnte man sich nicht einigen. Der Golfkooperationsrat legte sich weder auf eine politische Union fest, noch legte er den Grundstein für eine strategische Militärallianz.
Stattdessen erscheint der GCC bis heute als ein Provisorium, das als unmittelbare Kurzschlussreaktion auf die turbulenten Ereignisse in der Region zwischen 1979 und 1980 zu bewerten ist. Dabei war Riads Angst vor einem konfrontativen und expandierenden Iran unter der ideologischen Führung der Ayatollahs besonders ausschlaggebend – eine Angst, die damals weder in Kuwait oder Bahrain, noch in Katar, den Emiraten oder dem Oman gleichermaßen geteilt wurde. Von Anfang an zeigten sich die kleineren und jüngeren Monarchien am Golf misstrauisch gegenüber Saudi-Arabien, welches zwar als religiöses Oberhaupt der islamischen Welt akzeptiert wurde, das sich aber in der Vergangenheit mehrfach über die Souveränität seiner Nachbarn hinweggesetzt hatte. Das Königreich hatte im 20. Jahrhundert immer wieder versucht, Gebietsansprüche geltend zu machen, gegen Kuwait in den 1920er Jahren, gegen Katar in den 1930er Jahren und gegen Oman und Abu Dhabi in den 1950er Jahren.14 Spannungen zwischen Riad und Abu Dhabi über den Grenzverlauf im Süden der Emirate dauerten noch bis in 2010er Jahre an.15 Aufstände gegen die pro-saudische Khalifa-Dynastie in Bahrain wurden von Riad immer wieder niedergeschlagen; zuletzt 2011 während des Arabischen Frühlings. Und der Anspruch des jungen Emirs Hamad bin Khalifa, Katars Zukunft unabhängig vom »großen Bruder« in Riad zu gestalten, wurde von Saudi-Arabien mit einem Putschversuch 1996 geahndet. Es war daher nicht verwunderlich, dass die Gründungsväter die Souveränität der Mitgliedstaaten als höchstes Gut festhielten: dem Generalsekretariat in Riad wurden keine supranationalen Vollmachten verliehen und alle substanziellen Entscheidungen sollten von intergouvernementalen Gremien getroffen werden, entweder durch den Obersten Rat der einzelnen Staatsoberhäupter oder den Ministerrat. Folglich spricht der GCC jedem Mitgliedsstaat ein Vetorecht zu, was einer Nichtbeteiligungsklausel de facto gleichkommt. Entscheidungen im gegenseitigen Einverständnis werden vor allem dann extrem erschwert, wenn Bedrohungslagen in den einzelnen Hauptstädten unterschiedlich eingeschätzt werden.
Die Versicherheitlichung des Iran, die maßgeblich von Riad vorangetrieben wurde, war noch in den 1980er Jahren ein weitestgehend gemeinsamer Nenner in einem regionalen Sicherheitskomplex, das von Saudi-Arabiens militärischer Übermacht dominiert wurde. Die jüngeren Kleinstaaten am Golf hatten den finanziellen und militärischen Kapazitäten des saudischen Königreichs zumindest in den 1980er Jahren wenig entgegenzusetzen. Viele der Stadtstaaten, wie Katar und Bahrain, setzten in den Anfangsjahren des GCC noch auf »Bandwagoning«, das heißt den Anschluss an Saudi-Arabien als regionale Schutzmacht und die damit einhergehende Synchronisierung von außen- und sicherheitspolitischen Zielen. Riads Sicherheitsnarrative, die die Islamische Republik Iran als das essenzielle Feindbild am Golf betrachteten, wurden in Katar und Bahrain lange Zeit unkritisch übernommen.
Dubai, Kuwait und Oman hingegen vertraten von Anfang an eine neutralere Position gegenüber Teheran, was darin begründet lag, dass man mit dem Iran gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Beziehungen pflegte, die eine direkte Konfrontation mit der Islamischen Republik unmöglich machten. Deshalb stieß die saudische Versicherheitlichung des Iran im Oman und Kuwait immer wieder auf Skepsis. In einem wachsend konfrontativen Kontext am Golf waren Oman und Kuwait stets bemüht, ihre Neutralität aufrechtzuerhalten, um ihre guten Beziehungen mit dem Iran nicht zu gefährden – ein Balanceakt, der in Riad ganz besonders in den letzten Jahren immer wieder negativ aufstieß.16
Die Besetzung Kuwaits durch Saddam Husseins Irak im Jahr 1990 stellte erstmals die Rolle Saudi-Arabiens als Schutzmacht des Golfkooperationsrats in Frage. Die Saudis erschienen selbst hilflos im Angesicht des militärisch überlegenen Saddam-Regimes. Die Entscheidung Riads, zehntausende US-Soldaten ins Land zu holen, um nicht nur Kuwait zu befreien, sondern das Überleben der Al Sauds zu sichern, signalisierte den übrigen Golfmonarchien, dass man im Ernstfall nicht auf den »großen Bruder« zählen konnte. Die eigentliche Schutzmacht des GCC saß in Washington.17
Im Anschluss an die Befreiung Kuwaits 1991 begannen viele der kleineren Golfmonarchien sich neu zu formieren. Allen voran Katar und die Vereinigten Arabischen Emirate setzen nunmehr nicht auf Riad, sondern auf Washington. Gleichzeitig sahen die jüngeren Kronprinzen in Doha, Abu Dhabi und Dubai die Zukunft ihrer Staaten nicht im Schatten Saudi-Arabiens, sondern in einer eigenständigen Außen- und Sicherheitspolitik, in der der Iran als potenzieller Partner und nicht zwangsläufig als Feind definiert wurde. Hamad bin Khalifa al Thani (HbK), der Kronprinz von Katar, und Mohammad bin Zayed al Nahyan (MbZ), einer der Söhne des Herrschers von Abu Dhabi und den VAE, verfolgten einen gewissen Pragmatismus im Umgang mit Teheran.
Besonders