Mami Bestseller 19 – Familienroman. Gisela Reutling
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Wie sich ihre weitere Zukunft gestalten würde, wußte sie nicht. Das, was nachher kam, ohne Andreas, lag wie ein finsterer Abgrund irgendwo in der Ferne. Vielleicht würde sie sich in eine Niederlassung der Firma in einer anderen Gegend Deutschlands versetzen lassen. Dort würde sie ihr Kind zur Welt bringen und für es sorgen, wie andere ledige Mütter auch. Eines wußte sie ganz sicher: daß Uwe Hallweg kein Recht auf dieses Kind haben sollte. Wenn sie es schon zur Welt brachte und ihr Lebensglück dafür opferte, dann sollte es auch ihr allein gehören. Mehr als eine finanzielle Unterstützung hatte sie von diesem Mann ohnehin nicht zu erwarten, und darauf konnte sie verzichten, denn sie verdiente genug.
Aber noch schob sie diese düsteren Gedanken so weit wie möglich beiseite, noch war Andreas der Mittelpunkt ihres Lebens – noch!
Es war nun endlich auch in der Natur Frühling geworden, der Himmel spannte sich so blau über der Stadt, daß man hätte glauben können, an der Riviera zu sein. An den Sonntagen fuhren Andreas und Christiane nun oft hinaus, sie liefen zwischen blühenden Wiesen und Feldern entlang, deren zarte Halme sich der Sonne entgegenstreckten. Und manchmal blieben sie stehen und küßten sich. Nie würde Christiane diese Stunden vergessen!
»Im August sollten wir ans Meer fahren«, meinte Andreas eines Nachmittags, als sie auf einem sonnigen Plätzchen am Waldrand saßen. »Ich bin so gern am Meer, du auch?«
Christianes Herz zog sich schmerzhaft zusammen. Wie ahnungslos er war! Im August würde man ihr ihren Zustand schon ansehen, dann wollte sie die Stadt verlassen. Eine grenzenlose Traurigkeit überkam sie. Sie schluckte die Tränen, die ihr plötzlich ihre Kehle beengten, hinunter. »Ich war noch nie da«, murmelte sie und sah einem Zitronenfalter zu, der sich mit zitternden Flügeln auf ihrem Knie niedergelassen hatte.
»Dann wird es aber Zeit!« rief Andreas lebhaft. »Mein Großvater stammt aus Husum, ich habe noch Verwandte dort, die können wir mal besuchen…«
Er machte Zukunftspläne, und Christiane lächelte verkrampft dazu und hoffte, daß er sich täuschen ließ. Nur sie allein wußte, daß diese Pläne nicht in Erfüllung gehen würden.
*
Der Personalchef, Herr Rödern, war ein netter, älterer verständnisvoller Mann.
»Sie können am 1. September in unserer Niederlassung in München anfangen, Fräulein Mellin«, sagte er. »Aber haben Sie sich Ihren Entschluß auch gut überlegt? Wir schätzen Sie alle als tüchtige Mitarbeiterin, und daß Sie ein Kind bekommen, sollte für Sie kein Grund sein, uns zu verlassen.«
»Es sind persönliche Gründe, aus denen ich nicht länger in dieser Stadt bleiben möchte«, erklärte Christiane fest.
Rödern senkte die Lider. »Ich verstehe. Dann werde ich also meinem Münchener Kollegen Bescheid geben. Man soll sich auch gleich um eine Wohnung für Sie bemühen.«
Das wäre also geschafft, dachte Christiane. Doch das Schlimmste stand ihr noch bevor: die Aussprache mit Andreas. Sie ließ sich nun nicht mehr länger hinausschieben.
Manchmal träumte sie davon, daß er sagen würde: Ich liebe dich trotzdem, du darfst nicht fortgehen! Aber das
waren gefährliche, wirklichkeitsferne Träume, die sich nicht erfüllen würden.
Es war an einem Abend im Juli. Die Fenster in Christianes Wohnung standen weit offen, um die laue Luft hereinzulassen. Sie hatten, wie so oft, zusammen zu Abend gegessen, aber Christiane hatte kaum ein paar Happen heruntergebracht. Es wird das letzte Mal sein, daß er mir so gegenübersitzt, munter plaudernd, mit diesem frohen Lächeln in seinem offenen ehrlichen Gesicht. Das letzte Mal, das letzte Mal, hämmerte es in ihren Schläfen. Er würde sich betrogen fühlen, weil sie so lange geschwiegen und ihn in dem Glauben gelassen hatte, es würde eine gemeinsame Zukunft für sie geben. Ach, sie hatte sich doch nur ein paar Wochen Glück stehlen wollen…
Andreas breitete bunte Prospekte auf dem Tisch aus – blauer Himmel, Wasser, weiße Segelschiffe. »Mein Freund Otto will mir seinen Wagen für unsere Ferienfahrt leihen. Er ist zwar schon ein bißchen klapprig, aber er läuft noch. Sieh mal, Christiane, und so habe ich mir unsere Reiseroute vorgestellt…« Er faltete eine Straßenkarte auseinander und nahm einen Bleistift zur Hand, um den geplanten Weg nachzuzeichnen.
Christiane konnte es plötzlich nicht mehr ertragen. »Aus dieser Fahrt wird nichts werden, Andreas«, sagte sie mit spröder Stimme.
Betroffen hob er den Kopf. »Warum nicht? Du brauchst dringend eine Erholung, Christiane!«
»Ich werde zum 1. September in unsere Niederlassung in München versetzt. Im August werde ich alle Hände voll zu tun haben, meine Übersiedlung nach dort vorzubereiten.« Es kam beinahe unbeteiligt über ihre Lippen, und ihre Miene war maskenhaft starr dabei.
Andreas sah sie an, als glaubte er, nicht richtig gehört zu haben. Dann legte er mit einer langsamen Bewegung den Bleistift aus der Hand. »Das ist doch wohl ein schlechter Scherz, Christiane!«
»Mir war noch nie weniger zum Scherzen zumute als jetzt«, entfuhr es ihr. Sie sah ihn mit großen dunklen Augen an, dann nickte sie schwer. »Es stimmt schon, Andreas, ich gehe fort.«
Allmählich schien er zu begreifen, daß ihr jedes Wort bitterer Ernst war. Sein Gesicht wechselte die Farbe. »Warum?« fragte er fassungslos, »warum willst du fort? Wir sind doch so glücklich hier. Wenn du in München bist, können wir uns nur ganz selten sehen.«
Gequält wandte sie sich ab. »Es wird wohl so sein, daß wir uns dann überhaupt nicht mehr sehen«, murmelte sie erstickt.
Andreas schnellte empor. »Was soll das heißen? Willst du Schluß mit mir machen?« Heftig schüttelte er den Kopf. »Was ist das auf einmal für ein Unsinn! Die Firma kann dich doch nicht einfach in eine andere Stadt versetzen, oder doch? Dann mußt du dich dagegen wehren!« hielt er ihr erregt entgegen.
Christiane preßte die Hände gegeneinander. Es war alles noch schwerer, als sie es sich vorgestellt hatte. Sie sah beiseite. »Ich habe ja selbst um meine Versetzung gebeten«, brachte sie hervor.
Sein Atem ging rasch. Unverwandt sah er sie an. »Nun verstehe ich überhaupt nichts mehr!« Als sie regungslos, mit hängenden Schultern, vor ihm stand, faßte er sie hart beim Arm. »Erkläre mir doch endlich, was das alles bedeuten soll!« verlangte er und schüttelte sie leicht. In seinen Augen flackerte Unruhe.
Sie blickte zu Boden. »Ich bekomme ein Kind«, sagte sie tonlos. Es war eine ganze Weile still nach ihren Worten, und als Christiane es endlich wagte, aufzublicken, sah sie, daß die verschiedensten Empfindungen in Andreas’ Gesicht miteinander stritten.
»Deshalb warst du manchmal so sonderbar in letzter Zeit, so wechselhaft in deinen Stimmungen. Meinst du, ich hätte das nicht gemerkt?« Er fuhr sich mit beiden Händen über das Haar, dann glitt ein staunendes Lächeln über seine Züge. »Ein Kind… Aber Christiane, das ist doch kein Grund zum Verzweifeln! Dann heiraten wir eben jetzt schon und nicht erst, wenn ich mit meinem Studium fertig bin. Es gibt doch viele Studentenehen. Zusammen werden wir es schon schaffen, auch mit einem Baby!« Seine Augen blickten hell und zuversichtlich, er war voller Optimismus.
Christiane war wie betäubt über seine Reaktion. Du lieber Himmel, er glaubte, das Kind sei von ihm. Und daß er so dachte, war ja eigentlich ganz natürlich. Erschüttert ließ sie sich in einen Sessel sinken. Wenn es doch ein Mauseloch gäbe, in das sie sich verkriechen könnte.
Andreas