Severins Gang in die Finsternis. Paul Leppin

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Severins Gang in die Finsternis - Paul Leppin Bibliothek der Nacht

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war, versprach ihm Lazarus, ihn bei Doktor Konrad einzuführen. Zögernd brachte er seinen Antrag vor wie das letzte Stück eines vorsichtigen Vertrauens. Und er erzählte Severin auf dessen verwunderte Frage von dem großen Atelier in einem der neuen Häuser, die man im Assanationsgebiet an Stelle der Hütten des Judenviertels baute. Hier hatte Doktor Konrad mit den letzten Resten seines vor Jahren einmal bedeutenden Vermögens eine Malerwerkstatt gemietet, die in Wirklichkeit ganz andern Zwecken galt. Palmenkübel und Teppiche gaben den Räumen ein exotisches Aussehen und ein paar Bilderrahmen in der Ecke, eine Staffelei und einige zur Wand gekehrte Studienköpfe markierten das Metier des Bewohners. In Wahrheit hatte Doktor Konrad schon seit langem keine Palette mehr angerührt. Er lag stundenlang auf dem bequemen, türkischen Sofa, rollte parfümierte Zigaretten in der Hand und ließ sich von seinem Diener französischen Kognak mit Selters bringen. Oder er hörte seiner Geliebten zu, wenn sie gelangweilt auf der Mandoline klimperte. Sie war ein blondes und verwöhntes Geschöpf und hieß Ruschena. In den Nachmittagsstunden kam ein Schwarm von Gästen: junge Herren im Smoking, mit mausgrauen Gamaschen über den Lackschuhen; alte und erfahrene Lebemänner im eleganten Straßenkleid, den Elfenbeinknopf ihrer Reitstöcke am Munde; Künstler mit Schlapphüten und unsauberer Wäsche; Modelle in Seidenblusen und engen Röcken, die hier ihre freie Zeit bei den süßen Likören des Doktors verbrachten; und hie und da auch ein Mädchen oder eine Frau aus der besseren Gesellschaft, unsicher und scheu die einen, mit mehr Frechheit, als gerade nötig war, die andern, von jener vielgestaltigen Anziehungskraft hergetrieben, die ein ungebundenes Leben für den Außenstehenden hat. Davon berichtete Lazarus, und Severin erriet an der verkniffenen Aufregung, den fahrigen Händen des Alten das übrige.

      Als er wieder ins Freie trat, kam ihm im Nebel der abendlichen Straße Susanna entgegen. Sie sah ihm mit einem Lächeln ins Gesicht, daß sein Körper plötzlich wie im Schreck zu zittern anfing. Mechanisch nahm er ihre Hand, die sich warm anfühlte, ohne zu zucken.

      Kommen Sie – sagte Susanna zu ihm und hatte noch immer das Lächeln auf den Lippen. Er ging mit ihr in das Haus, wo die Treppen noch im Finstern lagen. Hier küßte er sie auf den Hals, den ihr Kleid im Nacken frei ließ.

      Der Vater ist unten im Laden – sagte er.

      Susanna nickte nur und führte ihn über schmale Stiegen und durch Flurgänge in ihr Zimmer.

      III

      An einem frostklaren Abend im vorigen Winter hatte sich Zdenka in Severin verliebt. Die Straße führte sie zusammen, in der sie beide planlos zwischen den hastenden Leuten gingen. Die kleinen Lokomotiven der Kastanienverkäufer standen mit roten Augen am Rande der Fahrbahn. Langsam und ganz vereinzelt fielen ein paar taumelnde Flocken in das Licht der Lampen. Zdenka sah ihnen zu und dachte an die hellen Flügel der Mücken, die im Sommer um die leuchtenden Kugeln gaukeln. Sie war noch ganz versunken, als Severin sie ansprach. Dann aber lachte sie heiter, und als sie in sein hübsches, von der Kälte verschöntes Knabengesicht schaute, wurde ihr leicht und fröhlich zumute. So gingen sie miteinander durch die Stadt. Sie betrachteten zusammen den lustigen Kram in den Auslagen der Spielwarengeschäfte, wo eine kleine Eisenbahn auf wirklichen Schienen lief, und bewunderten den ausgestopften Tiger, den ein Teppichhändler zur Reklame ins Fenster gestellt hatte. Sie blieben vor den vereisten Scheiben der Delikatessenhandlungen stehen, hinter denen die goldenen Sprotten in den weißen Holzkistchen glänzten. Dann kaufte Severin ein Abendessen für beide, und sie ging mit ihm in seine Junggesellenstube.

      Zdenka arbeitete bis sechs Uhr abends in einem Kontor. Ihre Eltern waren beide gestorben und sie wohnte allein in einem Zimmer auf dem Altstädter Ring. In der Zeit, in der sie ihre unfrohe Jugend selbst betreuen mußte, hatte sie sich schon einige Male an fremde Männer fortgegeben, und sie bat es Severin unter Küssen weinend ab, daß er nicht der erste war, dem sie ihre Liebe schenkte. Er nahm ihre zitternde Zärtlichkeit großmütig entgegen, und auch später, als er sah, wie aus der spielerischen Laune jenes Abends eine Leidenschaft in ihr emporwuchs, gab er sich keine Mühe. Sie war ihm ein Trost in der Leere seines gelangweilten Herzens, das durch die Gläubigkeit und den Glanz ihrer Liebe nicht verwirrt wurde. Er hörte ihr zu, wenn sie mit einer singenden Altstimme von ihrem Glück sprach und freute sich über die ungeübten Worte, die sie wählte. Im Grunde aber ließ sie ihn kalt. Sie hatte nichts von der verzehrenden Flamme, von dem Blitzlicht an sich, das seine Seele brauchte. Sie war eine niedliche und schwärmerische Begebenheit, die ohne Wucht und ohne Fatum geschah und die ihn nicht interessierte.

      Für Zdenka aber war Severin ein wundervolles Erlebnis geworden. Mit einer unabwendbaren Kraft hatte es sie ergriffen, als er sie damals von der Straße nach einer kurzen Stunde mit in seine Wohnung nahm. Und einmal sein eigen, liebte sie ihn mit einer scheuen und grenzenlosen Verzücktheit. Das slawische Blut, das bei den Männern ihres Volkes in Haß und Revolten losbrach, hatte in ihr einen Überschwang geboren, dem sich nun alle Schleusen öffneten. Sie fühlte erschreckt, daß sie dagegen nichts vermochte und spürte es zuinnerst mit Seligkeit und Grauen.

      Es kamen schöne Tage für sie. Sie ging mit Severin in der Stadt umher, wie er es seit Jahren gewohnt war. Sie bekam jene Feinhörigkeit für die Geräusche und fernen Rufe in ihr, die ihm innewohnte und die er sie lehrte. An dem Geruch der Steine und des Pflasters erkannte sie die Straße, in der sie schritt, wenn sie die Augen schloß und sich von ihm führen ließ. Er erschloß ihr die monotone Schönheit in der Landschaft der Vorstädte, die Schauer des Wyschehrad mit den großen Steintoren, wo das Denkmal des heiligen Wenzeslaus stand. Sie lernte die Moldau lieben, wenn in der Dunkelheit die Lichter des Ufers auf dem Wasser schwankten, und den Duft des Teers auf den Kettenbrücken. Sie saß mit ihm in den Wirtshäusern der Kleinseite und war bezaubert von der breitspurigen Gemächlichkeit der alten Herren, die hier ihren Schoppen tranken. In dem dicken Zigarrenrauch verschwammen die Bogenwölbungen der niedrigen Decke, die Napoleonbilder an den Wänden in einem farblosen Grau. Sie besuchte mit ihm die Vikarka auf dem Hradschin, wo ein paar Armlängen von der Türe entfernt der Dom in die Höhe ragte, wunderliches Mauerzierat und Steinfiguren in den Nischen. Sie verstand allmählich die stille Sprache der Stadt, die Severin geläufiger war als dem Tschechenmädchen. Sie begriff es, daß zwischen ihren gedunkelten Mauern, ihren Türmen und Adelshäusern, ihrer fremdartigen Abgestorbenheit eine verhaltene Phantastik mit ihm groß geworden war, daß er immer mit dem Gefühl die Straße betrat, daß ihn heute ein Schicksal erwarte.

      Als das Frühjahr und der Sommer sich meldeten, stand sie mit ihm vor den Weihern des Baumgartens und fütterte die Schwäne. Oder sie fuhr mit ihm auf der Fähre nach Troja. Durch die Tore der Schanzwälle und der Festungswerke gingen sie nach Pankraz hinaus und saßen mitsammen bei dem steinernen Gasthaustische im Garten, wo schon der einäugige Žižka in den böhmischen Kriegen gerastet hatte. Unweit erhob sich die Strafanstalt wie eine kleine Stadt im Feld und auf den Rasenplätzen arbeiteten die Gefangenen mit dem Spaten. Hinter den einstöckigen Häusern führte die Straße in das nahe Dorf und in den Wald. Die Melodien der Leierkästen mischte sich mit dem Getöne der Pappeln und der Telegraphenstangen. Ausflügler kamen, und die Fiaker warfen den handhohen Staub nach der Windseite. Manchmal kehrten sie auch in der Straßenschänke »Zum grünen Fuchsen« ein. Vor Jahren, als Severin noch ein Kind war, gab es hier ein vorzügliches Bier und eine gute Küche; auch viele Deutsche machten damals einen Spaziergang zu der Fuhrmannskneipe. Jetzt wurde hier Sonntag für Sonntag getanzt, und die rotweißen Fahnen flatterten über dem Haustor. Aber ein paar Schritte weiter lärmte ein Ringelspiel. Da setzte sich Zdenka zuweilen mit Severin in eine der goldenen Schaukeln und machte eine Reise. Ein Mann mit hohen Stiefeln schlug die Trommel, und die Kinder jauchzten. Die Musik spielte die Barkarole aus »Hoffmanns Erzählungen«.

      Das waren köstliche Stunden für Zdenka. Sie bemerkte es kaum, wenn Severin unwirsch und einsilbig wurde und tröstete sich mit dem nächsten Lächeln, das er ihr gab. Aber als dann der Herbst hereinbrach und ihr Severin immer mehr entfremdete, war sie zaghaft wie nie. Es kam vor, daß sie ihn tagelang nicht zu Gesicht bekam. Still und mit traurigen Schritten ging sie nach Hause und setzte sich in ihr Stübchen. Auf dem großen Platz unter ihrem Fenster war es lebendig, nur die Dienstmänner faulenzten an den Ecken. Zdenka

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