Steh' endlich auf!. Martin Fieber

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Steh' endlich auf! - Martin Fieber

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ihre Arme mit einem Messer und sagte mir, das seien meine Schmerzen, die sie für mich trägt und umwandelt, da ich für sehr viel Böses in der Welt verantwortlich sei, und ich meine ganzen dämonischen Taten einfach nicht einsehen wolle. In diesen Momenten, wenn der Barbar so mit mir sprach, explodierte immer eine Bombe in mir. Meine Seele zerriss es in Stücke. Ich konnte mit diesen Vorgängen nicht umgehen. Ganz versteckt waren immer Zweifel da, sie waren aber viel zu schwach, um in mein Tagesbewusstsein zu dringen.

      Dann kam der Tag, an dem ich mich auf dem Hannoveraner Bahnhof befand. Ich wartete auf den Anschlusszug, aß eine Käsestulle und schaute gedankenverloren in die Menschenmenge. Plötzlich lief ein Mann in einem weinroten Anzug an mir vorbei. Irgendetwas war komisch an ihm, dachte ich. Er drehte sich abrupt um, schaute mich an und ging weiter, bis er um die Ecke verschwunden war. Fassungslosigkeit überwältigte mich. Es war Adolf Hitler. Er war genauso klein, hatte diesen blöden Scheitel und den noch blöderen Schnauz. Es war Adolf Hitler. Ich musste mich kneifen. Nein, ich träumte nicht.

      Ich ging ihm hinterher, aber als ich um die Ecke schaute, war er weg. Und da war keine Tür oder der Aufgang zum Bahnsteig, wo er hätte verschwinden können. Er war einfach weg. Ich erzählte dieses Erlebnis Bärbel. Ihre Antwort war: „Jetzt ist mir alles klar.“ Dazu kam noch, dass ich in der darauffolgenden Nacht zwei Träume hatte: Zum einen lag ein Schäferhund bei meinen Füßen (Hitler liebte seinen Schäferhund über alles). Zum anderen befand ich mich an einer Kriegsfront und stand befehlend hinter den Soldaten. Für Bärbel, den Barbaren, kein Zweifel: Ich muss Hitler gewesen sein. Und ich hatte, wie schon gesagt, Spaß daran, mich auf unmenschliche Art zu erniedrigen und meinem Peiniger damit auch noch eine Freude zu machen. Ich glaubte es und war froh, dass jetzt mein Aufstieg aus dem Schlund der Hölle ins Licht begann. Denn irgendwie konnte ich es nicht glauben, dass es jetzt noch schlimmer werden konnte.

      Adolf Hitler. Jetzt wusste ich scheinbar, wer ich war. Aber es kam noch schlimmer. Irgendwann lud mich Bärbel von meinem Erspartem zum Kaffeetrinken ein. Wir gingen wie immer in unser Stammcafé um die Ecke. Sie sprach erst über dies und jenes, bis sie mir sagte, dass sie mir etwas übermitteln müsse. Sie erzählte, dass sie Bücher über Hitler gelesen und viel geforscht habe. Schließlich fragte sie mich, was ich glaubte, welche Seele ich wohl sei? Ich, die Seele, die Judas und Hitler war. Ich vergaß ganz zu erzählen, dass ich ca. 2000 Jahre früher auch Judas war, der bekannteste Verräter der Menschheitsgeschichte. Ich wusste nicht, worauf sie hinauswollte, bis sie den Begriff des Antichristen immer öfter in den Mund nahm. Ah ja, Luzifer. Dann erst registrierte ich, dass ich gemeint war. Adolf Hitler und Judas. Und Luzifer. Meine Seele schrie: „Um Himmelswillen. Das glaube ich wirklich nicht“. Aber der Bann

      war größer. Ich wollte ihr wieder eine Freude bereiten, sagte „Ja, jetzt verstehe ich alles.“ Und somit war ich Satan, Luzifer, Beelzebub, der Antichrist, Herr der Finsternis, Widersacher Gottes, Baphomet, Teufel, Azrael und noch viele mehr. Ich, der kleine Martin Fieber, der in einer mittelgroßen hessischen Stadt geboren wurde, der jahrelang stotterte, der Mitglied im CVJM war und kaum in der Schule nachsitzen musste?

      Nun eine kleine Geschichte, damit Sie einen greifbaren Eindruck bekommen, wie das damals so bei uns ablief. Von außen an den Haaren herbeigezogen, für Bärbel, den Barbaren, war sie aber Beweisstück Nummer 3 dafür, dass ich wirklich Luzifer sei. Als Hintergrund müssen Sie noch wissen, dass Jesus Christus und Luzifer vor langer, langer Zeit sich liebende Brüder waren und durch den Willen von Luzifer, Jesus Christus übertrumpfen und Gott gleich sein zu wollen, den Fall von Luzifer aus dem göttlichen Haus nach sich zog. Wie es in der Bibel und anderen Quellen sehr oft beschrieben wird.

      Die Geschichte spielte sich beim Faschingsball meines Tanzkurses ab. Damals war ich 17 Jahre und ging mit einigen Schulkollegen zum Tanzen. Zum Abschluss gab es noch einen Kostümwettbewerb. Und da meine ohne Absicht zusammengestellte Verkleidung die anderen so entzückte, meldete ich mich schließlich widerwillig bei der Jury. Neben mir waren noch neun andere Verkleidungen zu bewerten. Ich nannte meine Verkleidung „Crazy Man“, da mir keine andere Bezeichnung für meine Rastalocken, meine Sonnenbrille, mein kurzes kleidartiges T-Shirt und meine Tights einfiel. Gut. Auf jeden Fall wurde ich zum Abschluss auf den zweiten Platz gewählt. Erster wurde der Junge, der neben mir stand. Und dessen Vorbild war Jesus Christus. Seine Verkleidung sollte Jesus Christus darstellen. Soweit die Geschichte. Aber Bärbel, der Barbar, machte daraus, dass Luzifer, also ich, niemals über Jesus Christus triumphieren kann. Somit wären wir wieder beim Anfang der Geschichte, beim geistigen Fall Luzifers. Solch eine irgendwie schöne Begebenheit aus meiner Kindheit, die wirklich nichts mit meinen höllischen Erfahrungen zu tun hatte, wurde von der negativen Welt wieder über die Gedanken von Bärbel in die Realität hineinmanifestiert. (Ich gewann übrigens solch einen großen Metalleimer, den man als Stuhl und als Papierkorb nutzen konnte.)

      Ich, der kleine Martin Fieber, der sich so sehr über seinen zweiten Platz bei diesem Kostümwettbewerb freute, weil er früher immer zu schüchtern war, um zu solchen Tanzveranstaltungen zu gehen, soll der Satan, der Widersacher Gottes sein, der Jesus Christus in der Wüste zigmal versucht hatte?

      Erste Zweifel

      Der Schmerz ist der große Lehrer der Menschen. Unter seinem Hauche entfalten sich die Seelen. (Marie von Ebner-Eschenbach)

      Ein paar Tage nach diesem Gespräch mit Bärbel dem Barbaren in unserem Stammcafé traten die ersten größeren Zweifel auf. Endlich, möchte ich jetzt schreiben. Endlich. Erst ganz zart: Warum lächeln dich denn noch die Menschen an, wenn du der Herrscher der Schattenwelt sein sollst? Müssten sie nicht schreiend wegrennen? Und warum waren die Menschen zu Mutter Maria so kalt, wenn sie doch das reinste Wesen im Universum ist? Und vor allem: warum war Mutter Maria so kalt zu den Menschen?

      Gott sei gedankt, es war noch nicht zu spät, als diese ersten Zweifel auftraten. Ein Schutzmechanismus setzte ein. Ab einem gewissen Zeitpunkt überzeugte mich nicht mehr alles, was Bärbel mir so auftischte.

      Auch in den tiefsten Abgründen glaubte ich noch an Gott, betete zu ihm. Ich schrie zu ihm aus meiner seelischen Tiefe, weil ich einfach nichts mehr verstand, was in meinem Leben passierte. Endlich kamen die ersten verdrängten Gefühle wieder ans Tageslicht. Angst! Angst! Angst! Angst, weil ich diese starke negative Kraft immer gespürt hatte und ich einfach nur Angst vor dem Barbaren, vor Bärbel und ihrer Bösartigkeit hatte. Einfach nur Angst. Und diese Kraft, mit der ich eine viel zu lange Zeit zu tun hatte, war abgrundtief negativ, war absolut dämonisch, bei vollem Bewusstsein zerstörend. Uneingeschränkt hässlich und hassend. Ähnlich, als wenn man einem Massenmörder gegenübersteht, der gerade mit seinem Schwert ausholt und den Kopf abschlagen möchte. Wie oft hatte ich dieses Bild vor mir.

      Folgeerscheinungen blieben nicht aus. Jahrelang hatte ich Schlafstörungen und Albträume. Wie oft wurde ich von dunklen, zähnefletschenden, tollwütigen Kampfhunden angefallen. Hinzu kam das Bettnässen, und das fast jede Nacht. Zudem eine andauernde innere Hast, die mich einfach nicht in eine Ruhe oder Gelassenheit brachte. Seelische Schäden dieses jahrelangen Missbrauchs waren, wie es die Geistige Welt später einmal ausdrückte, nachdem ich wieder in den schon erwähnten Forschungskreis zurückkehrte: Mangelnde Selbstliebe, fehlendes Selbst-Bewusstsein, mangelnde Möglichkeit des Vertrauens, der Freude, positiv gefühlsmäßig zu reagieren. Summasummarum eine totale Lebensunfähigkeit.

      Endlich vorbei!

      Gott schläft in den Steinen, atmet in den Pflanzen, träumt in den Tieren und wartet in den Menschen auf Sein Erwachen. (Verfasser unbekannt)

      Unterdessen zogen meine Eltern nach Bad Salzuflen, ganz in die Nähe von Herford. Ich hatte also neben der Zeit, die ich mit Bärbel verbrachte, jetzt wieder etwas ‚Normales‘, worum ich mich kümmern konnte. Und diesen Umzug zu organisieren, half mir wiederum, aus

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